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Öffentliche Spitäler kauften rostige und verbogene Kanülen

Aus einer Kanüle zum Absaugen von Blut tropfte Rost, Nasensauger, die benutzt werden, um bei Patienten Schleim abzusaugen, waren verbogen, und bei einem operativen Eingriff brach der hintere Teil einer Kanüle sogar ab.

Dies sind keine Vorkommnisse in einem Spital eines Entwicklungslandes. Es passierte in drei grossen, öffentlichen Kliniken in der Schweiz – und zwar über Jahre immer wieder.

Die Schweizer Heilmittelbehörde Swissmedic hat Anfang 2017 gegen drei Spitäler Strafverfahren eröffnet und sie im Juli mit einer Busse bestraft, wie Recherchen zeigen. Es handelt sich um das Universitätsspital Zürich, das Universitätsspital Basel und das Kantonsspital St. Gallen. Die drei Spitäler haben laut Swissmedic «auf schwerwiegende Weise» ihre Meldepflicht verletzt. Sie kauften über Jahre bei einer Firma Medizinprodukte ein, die zum Teil grob fehlerhaft waren – ohne dass sie die Missstände den Behörden gemeldet hätten.

Swissmedic erhielt 2011 eine anonyme E-Mail. Der Verfasser informierte die Behörde, dass die Firma Swsi Medical AG im Kanton Zug Medizinprodukte vertreibe, die aus Pakistan stammten. Sie würden lediglich in einer Geschirrspülmaschine gewaschen und mit einer Luftdruckmaschine ausgeblasen.

«Ware ist verbogen und rostig»

Darauf eröffnete Swissmedic ein Verwaltungsstrafverfahren gegen zwei Swsi-Verantwortliche, das noch nicht abgeschlossen ist. Bei einer Hausdurchsuchung beschlagnahmten die Fahnder neben grossen Mengen an mangelhaften Produkten auch Computerdaten. Daraus war ersichtlich, dass die Firma seit Jahren die beiden Universitätsspitäler und das Kantonsspital in St. Gallen belieferte. Und nicht nur das: Swissmedic fand gegen ein Dutzend E-Mails, in denen sich die Kliniken bei der Firma über fehlerhafte Produkte beklagten. Die Behörden informierten sie darüber nicht, obwohl sie gesetzlich verpflichtet wären.

Ein Einkaufsverantwortlicher des Kantonsspitals St. Gallen schrieb am 10. Oktober 2013 an die Firma: «Heute werde ich eine Schachtel mit Kanülen zuschicken. Es befindet sich Rost auf diesen Instrumenten.» Einen Monat später: «Die Ware ist verbogen, rostig, und der Durchmesser stimmt nicht mit dem vorherigen Modell überein. Kurz: inakzeptabel.» Am 9. Juli 2014 meldeten die St. Galler der Firma falsch beschriftete Packungen. Und eine Woche später kam der Hinweis, dass in der Chirurgie Packungen aufgetaucht seien, aus denen Rost tropfte.

Die Produkte der Swsi AG waren auch im Universitätsspital Zürich ein Ärgernis – und trotzdem informierte auch dort niemand das Heilmittelinstitut. Im März 2013 schrieb eine Spitalangestellte an die Lieferfirma: «Grüezi Herr K., ich habe von der Neurochirurgie diese Sugi (Saugkanülen, Anm. Red.) bekommen, während des Eingriffs ist der hintere Teil abgebrochen.» Eine leitende Ärztin, ebenfalls von der Neurochirurgie, bemängelte im August 2013, dass die Sauger schnell verstopften, weil sich Bluttropfen bildeten. Zudem seien sie an einer bestimmten Stelle «teilweise scharf, das kann unter Umständen gefährlich für den Patienten sein». Weiter zeigten Saugkanülen gut sichtbare ­Rückstände, manchmal waren es Metallsplitter.

«Die in der Schweizer Spitallandschaft herrschende Gleichgültigkeit ist gravierend.»

Swissmedic

Im Universitätsspital Basel stellte ein Einkäufer ebenfalls «gravierende Qualitätsprobleme» fest, auch dort fanden sie an den sterilen Saugern Metallspäne. In einer E-Mail ist von 245 verunreinigten Kanülen die Rede. Swissmedic kritisiert: Dort sei «zu keinem Zeitpunkt eine Meldung an Swissmedic in Erwägung gezogen worden, obwohl mindestens vier Personen über das schwerwiegende Vorkommnis informiert waren».

Die Untätigkeit der Spitäler führte dazu, dass die Firma über Jahre mutmasslich rechtswidrige Geschäfte machen konnte. Ein ehemaliger Verwaltungsrat der Firma, die sich in Liquidation befindet, sagt dazu: «Wir haben auf Beanstandungen immer sofort reagiert und die Ursache abgeklärt. Ansonsten hatten wir von den Spitälern immer gute Rückmeldungen.»

Erbin um 4,5 Millionen gebracht

Im Kanton Solothurn läuft gegen den ehemaligen Geschäftsführer der Firma Swsi AG seit zwei Jahren ein Strafverfahren. Er soll mit Komplizen eine reiche Erbin um 4,5 Millionen Franken gebracht haben. Sie überredeten sie, in die Firma Swsi zu investieren. Dabei verlor sie ihr Geld. Die Staatsanwaltschaft notierte laut «Basler Zeitung» in den Akten: «Der Kontosaldo der Firma beträgt 22 000 Franken.» Das bei der Hausdurchsuchung angetroffene Materiallager sei bescheiden gewesen. «Der Warenwert von zwei Millionen Franken konnte nicht ausgemacht werden», schrieb der zuständige Ermittler. In der Einvernahme eines Bankangestellten wurde die Swsi als «Scheinfirma» bezeichnet. Die Vorgängergesellschaft war im Fleischhandel tätig, zentrale Figuren sind ein Garagist und ein Rohstoffhändler.

Das St. Galler Kantonsspital sagt auf Anfrage, es treffe zu, dass die Meldepflicht verletzt worden sei, doch aus den Rückmeldungen an die Lieferfirma sei ersichtlich, dass die Mitarbeitenden nach der Entdeckung der schadhaften Medizinprodukte die Situation sehr ernst genommen hätten. Die betroffenen Medizinprodukte seien aus dem Materiallager entfernt und nicht mehr eingesetzt worden. Das Spital habe ab Mai 2017 die Schulungen für Mitarbeiter in diesem Bereich intensiviert und seit dem Strafbescheid die Überprüfung der Lieferanten verschärft.

Auch das Universitätsspital Zürich betont, die Ausbildung des Personals sei verstärkt worden – und man habe klinikintern über den Fall informiert. Ebenso seien die Verantwortlichkeiten bezüglich Meldungen verbessert worden. Keines der Spitäler streitet das Fehlverhalten ab. Das Unispital Basel schreibt: «Für das Nichtmelden haben wir zu Recht eine Busse erhalten.» Die schadhaften Kanülen seien aber aussortiert und nie an Patienten angewendet worden. Das Spital unternehme grosse Anstrengungen zur Sensibilisierung der Angestellten – bereits mit Erfolg. Die Meldungen des Unispitals Basel an Swissmedic hätten in jüngster Zeit stark zugenommen.

Gravierende Gleichgültigkeit

Swissmedic bestraft die betroffenen Spitäler mit einer Busse von 5000 Franken – das ist die vom Gesetz vorgesehene Höchststrafe. Erst im Wiederholungsfall kann Swissmedic Verantwortliche in einem Spital mit bis zu 50'000 Franken büssen.

In den Strafbescheiden hält Swissmedic fest, «dass nach wie vor schwerwiegende Vorkommnisse, welche das Leben oder die Gesundheit einer Vielzahl von Patienten unmittelbar gefährden oder gefährden könnten, nicht gemeldet werden». Die in der Schweizer Spitallandschaft herrschende Gleichgültigkeit sei gravierend. «Es bedarf einer konsequenten strafrechtlichen Verfolgung», schreibt die Heilmittelbehörde.