Im Kanton Zürich droht die erste Spitalschliessung seit 20 Jahren

Zwei Gemeinden wollen dem Spital Affoltern den Rücken kehren. Es könnte der Anfang vom Ende sein. Ein privater Betreiber wittert bereits seine Chance.

Jan Hudec
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Das Spital im Säuliamt steht auf der Kippe. (Bild: Annick Ramp / NZZ)

Das Spital im Säuliamt steht auf der Kippe. (Bild: Annick Ramp / NZZ)

Die nächsten Monate entscheiden über das Schicksal des Spitals Affoltern. Die Situation ist allerdings reichlich verworren. Da wären einmal die Gemeinden Hedingen und Bonstetten. Sie sind heute noch Teil des Zweckverbandes, wollen aber aussteigen. Darüber werden die Hedinger und Bonstetter am 4. März abstimmen. Sie könnten die Ersten sein, die das sinkende Schiff verlassen, weitere Gemeinden könnten folgen.

Auf der anderen Seite steht die Betriebskommission, so etwas wie der Verwaltungsrat des Spitals. Sie will das defizitäre und nach langjährigen Streitigkeiten angeschlagene Krankenhaus retten. Um die veraltete Infrastruktur wieder auf Vordermann zu bringen, sollen 140 Millionen Franken investiert werden. Auch darüber wird abgestimmt, und zwar voraussichtlich am 10. Juni. Wobei nicht das konkrete Projekt zur Abstimmung kommt. Einerseits wird über die Auflösung des Zweckverbands entschieden, andererseits über die Gründung einer innerkantonalen Anstalt für die Langzeitpflege und einer gemeinnützigen AG für das Spital. Erst die Gründung der AG wäre dann die Grundlage für die Erneuerung des Spitals. Über die Investitionen müsste dann separat entschieden werden.

Hedingen und Bonstetten könnten am 4. März die Ersten sein, die das sinkende Schiff verlassen, weitere Gemeinden könnten folgen.

Und damit nicht genug. Mittlerweile hat sich auch noch ein privater Player ins Spiel gebracht: die Solviva AG. Sie hat kürzlich an einer Informationsveranstaltung eine alternative Lösung für das Spital präsentiert. Sie würde es als Gesundheits- und Pflegezentrum weiterbetreiben, Chirurgie, Geburtenabteilung und Akutpflege würden jedoch gestrichen und damit der Hauptteil des Akutspitals.

Hohe Risiken

Für Bertram Thurnherr, Gemeindepräsident von Hedingen, ist die Schliessung eines Teils des Spitals der einzige realistische Weg in die Zukunft. So könnten zumindest die Arbeitsplätze in der Pflege sowie in den Bereichen Palliative Care, Geriatrie und Psychiatrie, wo das Spital Affoltern schon heute stark ist, erhalten und vielleicht gar ausgebaut werden: «Man kann das auch als Chance sehen», sagt er. Bei einem Weiterbetrieb des Spitals seien dagegen die finanziellen Risiken viel zu hoch. Das ist letztlich auch der Hauptgrund, weshalb Hedingen aussteigen will. Gemäss Abstimmungsvorlage rechnet die Gemeinde mit einer jährlichen Defizitdeckung während der Bau- und Übergangszeit von 300 000 bis 400 000 Franken pro Jahr, zudem müssten die Gemeinden Bürgschaften für einen Investitionsbetrag in der Höhe von rund 100 Millionen Franken übernehmen, davon entfielen auf Hedingen 7 Millionen.

Die Investitionen seien aber noch längst kein Garant dafür, dass die Wachstumsstrategie der Betriebskommission aufgehe, sagt Thurnherr. «Gesundheitsdirektor Thomas Heiniger hat kürzlich an einer Pressekonferenz nochmals betont, dass er den Druck auf die Spitäler hoch halten wird.» So droht das Spital Affoltern wegen der erhöhten Mindestfallzahlen und auch wegen der hohen Behandlungskosten Leistungsaufträge des Kantons zu verlieren. Affoltern ist das drittteuerste Spital im Kanton. Zudem wollen sich die umliegenden Spitäler künftig ebenfalls ein grösseres Stück des Kuchens sichern. Die Konkurrenz schläft nicht. Tatsache ist auch, dass die medizinische Versorgung im Kanton Zürich auch ohne das kleine Spital Affoltern gewährleistet wäre. Die Patienten aus Affoltern könnten ohne weiteres auch im Triemlispital oder im Spital Limmattal behandelt werden.

Drohender Dominoeffekt

Den Zweckverband zu verlassen, ist für Thurnherr deshalb nur konsequent. Selbst bei einem Ja am 4. März wäre Hedingen noch bis Ende 2020 im Verband und könnte über das weitere Vorgehen mitentscheiden. Der Gemeindepräsident ist sich allerdings auch bewusst, dass dieser Schritt eine gewisse Signalwirkung auf andere Gemeinden haben könnte. Ein Scherbenhaufen drohe aber vor allem dann, wenn es am 10. Juni nicht gelinge, den Zweckverband aufzulösen. Dazu müsste nur eine einzige Gemeinde dagegen stimmen.

Und bereits regt sich Widerstand. Auf der Homepage des Vereins «Pro Zweckverband Spital Affoltern» schreibt Hans Roggwiler gegen die Auflösung an. Mit dem «Durchblick» hat das Enfant terrible gar eine eigene Zeitung gegründet, die sich vor allem dem «Erhalt unseres Spitals» verschrieben hat. Er wettert gegen «Konzept-faule Chefärzte» und grössenwahnsinnige Spitalbehörden. Und er ist nicht zu unterschätzen. Schon 2013 kämpfte er gegen die Umwandlung des Spitals in eine AG an, und das mit Erfolg. Das Vorhaben wurde an der Urne abgelehnt.

Scheitert die Auflösung des Zweckverbands, droht ein Dominoeffekt. «Wir gehen davon aus, dass die Gemeinden den Zweckverband dann fast fluchtartig verlassen werden,» sagt Kommissionsmitglied Stefan Gyseler.

Sollte die Auflösung des Zweckverbands scheitern, könnten auch die Zukunftspläne der Betriebskommission nicht umgesetzt werden. Und dann droht ein Dominoeffekt. Das räumt auch Kommissionsmitglied Stefan Gyseler ein. «Wir gehen davon aus, dass die Gemeinden den Zweckverband dann fast fluchtartig verlassen werden.» Schliesslich will keine Gemeinde die letzte sein, die im Zweckverband bleibt und damit das ganze Risiko tragen muss. Gyseler gibt sich aber zuversichtlich: «Die Abstimmung wird eine grosse Herausforderung, aber ich glaube daran, dass wir gewinnen können.» Für die Umwandlung des Spitals in eine AG ist keine Einstimmigkeit nötig. Es müssen aber so viele Gemeinden zustimmen, dass mindesten 75 Prozent des Kapitals im Spital bleiben. Danach ginge es dann darum, das Spital zu sanieren und Marktanteile hinzuzugewinnen.

In Grenchen ein Erfolg

Das Solviva-Modell löst aus Gyselers Sicht die Probleme nicht. «Das kann zwar durchaus eine Idee sein, aber im Wesentlichen würde damit die Langzeitpflege erhalten, und diese ist ohnehin unbestritten.» Das Spital würde damit nicht ersetzt, «das muss man den Leuten klarmachen». Er ist überzeugt, dass die Menschen im Bezirk das Spital behalten wollen, und das nicht nur wegen der 700 Arbeitsplätze.

Derweil versucht es die Solviva AG mit einer Charmeoffensive. Im Affoltermer «Anzeiger» wirbt sie für das neue Gesundheitszentrum mit altersgerechten Wohnungen, das grosse Anerkennung finden werde. «Die Bevölkerung und die politischen Gremien sollen auch noch Jahre später mit Stolz feststellen können, dass sie mit Solviva die richtige Wahl getroffen haben», heisst es in der Anzeige. Solviva will das Land im Baurecht übernehmen und die Investitionen und damit auch das Risiko selbst tragen.

Das Unternehmen hat bereits Erfahrung mit verfahrenen Situationen wie in Affoltern. «In Grenchen war es ähnlich», sagt Betriebsleiter Ulrich Kläy auf Anfrage. Gegen grosse Widerstände aus Bevölkerung und Politik wollte der Kanton Solothurn die beiden Spitäler in Grenchen schliessen. Solviva erwarb das Areal und errichtete ein Gesundheitszentrum, wie es auch für Affoltern vorgesehen wäre. «Es wurde eine Erfolgsgeschichte», sagt Kläy. Tatsächlich loben heute auch frühere Gegner des Verkaufs den «Sunnepark». Der ehemalige Grenchner Stadtpräsident Boris Banga lässt sich im SRF-«Regionaljournal» so zitieren: «Das, was nach dem Spital Grenchen kam, war das Beste, was der Stadt passieren konnte.»