Weiden in der Oberpfalz
29.01.2018 - 20:40 Uhr

Kliniken Nordoberpfalz trennen sich von Leiter der Notaufnahme: Chefarzt stolpert über Verurteilung von Oberarzt wegen Kindesmissbrauchs

Die Kliniken Nordoberpfalz haben sich vom Leiter der Notaufnahme getrennt. Der Chefarzt (56) stolpert über die Verurteilung eines Oberarztes wegen Kindesmissbrauch. Er hatte dem Kollegen für den Gerichtsprozess ein Empfehlungsschreiben unterzeichnet.

Die Zentrale Notaufnahme am Klinikum Weiden. Ein kommissarischer Leiter ist schon benannt: Roman Wijenayake hat nach dem überraschenden Ausscheiden des bisherigen Chefarztes die Führung übernommen. Bild: Schönberger

Auf dem Brief vom 4. November 2016 prangt der Briefkopf der Kliniken Nordoberpfalz AG. Der Inhalt: Man sei über das Ermittlungsverfahren "in Kenntnis gesetzt". In neun Zeilen bescheinigt der Chefarzt seinem Oberarzt "untadeliges" Verhalten. Er genieße "vollstes Vertrauen", "unabhängig vom Ausgang des Strafverfahrens". Abschließend bittet er um "Milde" bei der Bestrafung. Auf Basis dieses Schreibens soll die Staatsanwaltschaft Magdeburg davon ausgegangen sein, dass der Arbeitgeber in Weiden über die Anklage wegen schweren sexuellen Missbrauchs informiert war. Dem war nicht so, betont die Klinikleitung.

Der Leitung der Kliniken Nordoberpfalz AG liege das Papier erst seit gut einer Woche vor. Vorstand Josef Götz: "Dieses Schriftstück war uns nicht bekannt. Das haben wir erst jetzt erhalten, nachdem unser Rechtsanwalt Akteneinsicht bekommen hat." Selbstverständlich sei der Brief "nicht im Sinne der Geschäftsleitung". "Wenn wir das früher gewusst hätten, hätten wir früher reagieren können. Ich mag mir gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn einem Kind etwas geschehen wäre."

Seit 2014 war gegen den 50-Jährigen ermittelt worden. Damals war ein Kinderporno-Ring in Quedlinburg ausgehoben worden. Im Zentrum stand eine Mutter, die ihre Tochter ab dem 10. Lebensjahr gegen Geld Männern angeboten hatte - so auch dem Weidener Arzt. Dieser war von Beginn an geständig: Ja, er habe sich aus dem Bereitschaftszimmer per Skype zum Missbrauch an dem Mädchen zugeschaltet. Zwei Mal fuhr er nach Sachsen-Anhalt, wo er die 13-Jährige selbst missbrauchte.

Am 10. November 2016 wurde er vom Amtsgericht Wernigerode verurteilt (3 Jahre 3 Monate). Am 22. November 2017 korrigierte das Landgericht Magdeburg in der Berufung das Strafmaß auf 2 Jahre 9 Monate. Am Tag darauf platzte die Bombe in Weiden aufgrund von Medienanfragen.

Bis dahin hatte der Arzt seine Situation offenbar geschickt verborgen und heruntergespielt. Inwieweit dem Leiter der Notaufnahme die Tragweite der Taten bekannt war, ist nicht bekannt. Es heißt, der "Persilschein" sei vom Angeklagten aufgesetzt und dem Chef zwischen Tür und Angel zur Unterschrift vorgehalten worden.

Die Staatsanwaltschaft Magdeburg hatte 2016 die Approbationsstelle und die Landesärztekammer München per "Mistra" (Mitteilung einer Straftat) informiert. Die Kliniken erfuhren davon nichts. Die Ärztekammer darf laut einer Sprecherin den Arbeitgeber erst nach einem rechtskräftigen Urteil informieren. "Uns sind die Hände gebunden." Bis dahin können Jahre vergehen: Im Fall des Oberarztes ist Revision am Oberlandesgericht eingelegt, bestätigt Verteidiger Rouven Colbatz.

Der Brief

Folgendes Schreiben wurde in der Berufungsverhandlung am Landgericht Magdeburg am 22. November 2017 verlesen: "Sehr geehrter Herr X., hiermit bestätigte ich Ihnen, dass Sie uns über das gegen Sie anhängige Ermittlungsverfahren in Kenntnis gesetzt haben. Unabängig vom Ausgang des Strafverfahrens darf ich Ihnen bestätigen, dass Sie mein vollstes Vertrauen genießen. Ihre Tätigkeiten in der Notfallversorgung der Kliniken AG sind jederzeit untadelig. Weiterhin dürfen wir Ihnen bestätigen, dass die Notfallversorgung der Kliniken ohne Ihre Mitarbeit schwer leiden würde. Wir bitten daher die zuständigen Stellen, bei der Frage einer etwaigen Bestrafung bzw. der Frage der Approbation hier Milde walten zu lassen, da - wie bereits ausgeführt - Ihnen in beruflicher Hinsicht keinerlei Verfehlungen zu attestieren sind." Unterzeichnet hat diesen Brief der Chefarzt. (ca)

Getäuscht und getrickst

Angemerkt von Christine Ascherl

Der geschasste Chefarzt war seit 2011 maßgeblich am Aufbau der Zentralen Notaufnahme beteiligt. Das rettet ihn nicht. Er stolpert über eine fahrlässig geleistete Unterschrift. Er unterschrieb ein Dokument, das einem Sexualstraftäter die Weiterarbeit an einem so sensiblen Ort wie der Notaufnahme ermöglichte. Ein ganzes Jahr lang, ehe die Bombe trotzdem platzte.

Der Kliniken Nordoberpfalz AG ist hoch anzurechnen, sich selbst bei der Aufklärung der Affäre nicht zu schonen. Mit dem Chefarzt geht ein wichtiger Mann. Das Klinikum möchte auch das künftige Vorgehen geklärt wissen: Solch ein Informationsdefizit will hier keiner mehr erleben.
Wie kam’s soweit? Zum einen hat der Beschuldigte übel getrickst und getäuscht. Schützenhilfe leistete ihm unfreiwillig der Gesetzgeber. Die „Mistra“ durch die Staatsanwaltschaft richtet sich an die Ärztekammer und die Approbationsstelle, in dem Fall die Regierung Oberbayern. Der Arbeitgeber erfährt erst vom rechtskräftigen Urteil. Das Klinikum Weiden wäre heute noch ahnungslos.

 
 

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