Gesundheitswesen
Franziska Roth kritisiert neue Spitalfinanzierung: «Gesundheit darf nicht im Ausverkaufsdilemma enden»

Regierungsrätin Franziska Roth spricht im Interview zu den Vorschlägen von Avenir Suisse für mehr Wettbewerb und eine Eindämmung der Kostensteigerung im Gesundheistswesen. Der bürgerliche Think-Tank will unter anderem Patienten belohnen, die teure Operationen in einem günstigen Spital machen lassen.

Mathias Küng
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Spitäler (im Bild eine Operation in Baden) sind im Fokus der Avenir-Suisse-Ideen.

Spitäler (im Bild eine Operation in Baden) sind im Fokus der Avenir-Suisse-Ideen.

Alex Spichale und Severin Bigler

Der bürgerliche Think-Tank Avenir Suisse macht eine Reihe von Vorschlägen für das Gesundheitswesen, um die Kostensteigerung einzudämmen. Unter anderem sollen Patienten, die eine teure Operation in einem günstigeren Spital mit gleicher Qualität vornehmen lassen, an der Einsparung teilhaben. Die AZ fragte Gesundheitsdirektorin Franziska Roth, was sie davon hält.

Frau Roth, soll man Patienten belohnen, wenn sie eine teure Operation in einem günstigeren Spital machen lassen?

Franziska Roth: Finanzielle Anreize können tatsächlich am meisten bewirken. Hauptkriterium sollte aber immer die Frage der Qualität sein. Wie weit sich Patienten aus finanziellen Gründen allenfalls in eine andere Landesgegend begeben, ist für mich fraglich.

Warum?

Wenn ich sehe, dass gerade bei uns im Kanton Aargau die Leistungserbringer sehr gute Arbeit machen und ihren Teil zur Kosteneindämmung beitragen, bin ich überzeugt, dass ein Wettbewerb dieser Art zu weiteren Einsparungen führen könnte. Bei gleichbleibender Qualität notabene.

Sind aber die Spiesse gleich lang? Andere Kantone subventionieren ihre Spitäler zum Teil.

Im Kanton Aargau wurden diesbezüglich die Hausaufgaben gemacht. In der Gesamtkostenbetrachtung gehören wir zu den kostengünstigeren Kantonen. Ich bin überzeugt, dass die hohe Qualität unserer Spitäler – bei einem vergleichsweise günstigen Gesamtpreis (da sind auch die gemeinwirtschaftlichen Kosten einzurechnen) – insgesamt für eine innerkantonale Behandlung spricht. Beim Vorschlag von Avenir Suisse gibt es aber auch noch offene Fragen.

Zum Beispiel?

Beispielsweise die nach einer einheitlichen Bewertung der Qualität oder wie die Abrechnungslösung administrativ zu bewältigen wäre, ohne dass gerade dadurch neue Kosten anfallen. Ausserdem, und das ist ganz wichtig, darf die Gesundheit nicht im «Ausverkaufsdilemma» enden, sodass vielleicht gerade Spitäler mit schlechter Auslastung, eventuell gar aus Qualitätsgründen, mit Sonderangeboten auf «Patientenjagd» gehen.

Avenir Suisse will keine kantonalen Spitallisten mehr. Eine gute Idee?

Avenir Suisse will die Kompetenz der Spitallisten den Kantonen, im Kontext der vielen Hüte, die sie tragen, wegnehmen. So gesehen ist dies wirklich ein Problem, welches die Kantone haben. In der Kantonsverfassung steht aber: «Er schafft die Voraussetzungen für eine angemessene medizinische Versorgung.» Diesem Verfassungsauftrag hat der Kanton immer nachgelebt und hat dies im Gegensatz zu anderen Kantonen auch wirklich angemessen gemacht. Der Aargau hat kein Universitätsspital. Er hat eine durchschnittliche Anzahl von Spitalstandorten, welche der Regionalität geschuldet sind. Er hat im schweizerischen Vergleich eine unterdurchschnittliche Anzahl Betten und Aufenthaltstage. Ebenso sind die Gesundheitskosten und die Krankenkassenkosten (was nicht das Gleiche ist) unterdurchschnittlich.

Das heisst?

Kantone mit überdurchschnittlichen Kosten, wie die vom Bundesrat viel gepriesenen Kantone Genf und Waadt, sollten ihre Angemessenheit überprüfen. Über die vielen Hüte der Kantone muss man reden. Der Föderalismus kann hier jedoch einen wertvollen Beitrag leisten. Es sollten vielleicht mehr Kantone nach dem Vorbild der Deutschschweizer und nicht der Westschweizer Kantone agieren.

Avenir Suisse sagt, die neue Spitalfinanzierung mit Fallpauschalen habe sich nicht bewährt. Teilen Sie diese Einschätzung?

Ja, mit der neuen Spitalfinanzierung sind die Kosten erst recht aus dem Ruder gelaufen. Ich hoffe, dass wir aber immerhin mit «ambulant vor stationär» tatsächlich finanzielle Verbesserungen erzielen können. Auf diesem Gebiet hat es noch sehr viel Luft nach oben.

Was halten Sie von der Idee, im Fall möglicher Spitalprivatisierungen der Bevölkerung auch Aktien zu verschenken?

Die Idee der Volksaktie ist nicht neu. Die Akzeptanz der Spitäler bzw. der Spitalkosten vermöchte damit wohl kaum erhöht werden. Wichtig ist, die Kosten generell zu senken. So gesehen halte ich das Verschenken für eine schlechte Idee. Prüfenswert finde ich aber die Idee der Volksaktie in dem Sinn, dass auch der Bürger Aktien «seines» Spitals zeichnen kann.