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Pionierhafter Sieg – wegen Rachekündigung

Engagiert sich für Frauenkarrieren: Natalie Urwyler.

Das Urteil des Regionalgerichts Bern-Mittelland vom 7. November letzten Jahres war ein Paukenschlag: Die Kündigung der Ärztin Natalie Urwyler (43), die sich am Inselspital hartnäckig für die Rechte von Frauen eingesetzt hatte und im Juni 2014 entlassen worden war, sei aufzuheben. Und zwar «betreffend Gleichstellungsgesetz», wie Gerichtspräsidentin Andrea Gysi festhielt.

Babette Sigg, Präsidentin der CVP-Frauen Schweiz, bezeichnete das Urteil als «Durchbruch für die Gleichstellung» und «bahnbrechend für alle Frauen in der Schweiz».

Urwyler hatte wegen systematischer Verletzung der Chancengleichheit geklagt und gegen den Insel-Konzern einen pionierhaften Sieg errungen. Seit Dienstag dieser Woche liegt nun die mit Spannung erwartete Urteilsbegründung in Urwylers aufwühlendem Diskriminierungsfall vor. In dieser jedoch sucht man das Wort Gleichstellung fast vergeblich.

Über eine halbe Million

Zwar bestätigen die schriftlichen Erwägungen: Urwyler hatte aufgrund des Gleichstellungsgesetzes geklagt, und das Gericht gibt ihr recht. Die Kündigung war nicht in Ordnung. Richterin Gysi verlangt vom Inselspital die Wiedereinstellung der Anästhesieärztin.

Als Folge davon muss der Lohnausfall seit der Kündigung kompensiert werden. Laut Urwylers Anwalt Rolf P. Steigegger beläuft sich der nachzuzahlende Lohn bis jetzt auf 465'000 Franken. Dazu kommt eine Parteientschädigung von 111'000 Franken. Die Insel-Gruppe will nächste Woche entscheiden, ob sie das Urteil ans Obergericht zieht.

Das Hauptargument der Richterin gegen das Inselspital: Bei der Entlassung habe es sich um eine Rachekündigung gehandelt. Zuvor war der Konflikt zwischen Urwyler und Frank Stüber, dem Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Schmerztherapie, eskaliert.

Urwyler fühlte sich als Frau in ihrer Karriere behindert, gleichzeitig prangerte sie – auch im Namen anderer Frauen – ungenügenden Mutterschutz an. Im Kündigungsschreiben machte die Insel deshalb ein «gestörtes Vertrauensverhältnis» zu Urwyler geltend.

Urwyler werde auch als polarisierende Persönlichkeit wahrgenommen, stellt die Richterin fest. Aber die vom Inselspital vorgebrachten Gründe für das angebliche Vertrauensdefizit lagen entweder schon lange oder erst nach der Entlassung vor und wurden von den Zeugen teilweise gar nicht bestätigt. Deshalb genügten sie laut der Richterin nicht für eine rechtmässige Kündigung.

Die zahlreichen Verletzungen der Gleichstellung, die Natalie Urwyler geltend macht, erwähnt Richterin Gysi nur am Rande. Beispielsweise wollte die Ärztin nach dem Mutterschaftsurlaub mit leichter Reduktion ihres Pensums arbeiten.

Das wurde ihr ­verweigert, obschon Klinikleiter Stüber gegenüber der Gleichstellungskommission der Universität festgehalten hatte, dass Frauen nach der Geburt ihre Auszeit mit unbezahltem Urlaub verlängern oder reduziert arbeiten könnten.

«Ich bin kein ­Einzelfall.»

Natalie Urwyler

«Ich bin kein Einzelfall», sagte Urwyler stets. Seit rund 20 Jahren schliessen mehr Frauen als Männer ein Medizinstudium ab – ins obere ärztliche Kader schaffen es aber nur wenige. Unzählige Frauen mit Ambitionen liessen sich aus dem Wissenschaftsbetrieb drängen, weil etwa Pensen und Einsatzpläne mit einer Mutterschaft unvereinbar seien.

Diese Situation greift das Urteil im Diskriminierungsfall Urwyler kaum auf.