Entlassmanagement

"Gelungenes Entlassmanagement kann ein Marketingfaktor sein"

MedInform-Konferenz zum Entlassmanagement

Experten der Leistungserbringer-Seite, von Krankenhäusern und Kassen diskutierten am 20. Februar 2018 in Berlin die Anforderungen an ein rechtskonformes und erfolgreiches Entlassmanagement von Patienten aus der Klinik in die ambulante Versorgung. Der Rahmenvertrag ist seit dem 1. Oktober 2017 in Kraft, an vielen Stellen treten im praktischen Alltag jedoch Unklarheiten auf. Welcher Patient benötigt ein adäquates Entlassmanagement? Wer hat wie mit wem zu kommunizieren? Welchen zusätzlichen Aufwand bedeutet ein erfolgreiches Entlassmanagement für das Klinikpersonal? Unklarheit besteht außerdem, wie die Anschlussversorgung bspw. mit Hilfsmitteln organisiert wird – und wer dabei eingebunden werden kann.

Kritisch sahen die Experten die zusätzliche Bürokratie im hektischen Klinikalltag sowie Verständnisschwierigkeiten bei den Patienten. Zudem wird der Aufwand für die Kliniken trotz zusätzlichen Personal- und IT-Kosten nicht vergütet. Der Datenschutz und die neuen Compliance-Regeln im Gesundheitsbereich erschweren die Prozesse, ebenso hakt es für die Kliniken oft bei der Erreichbarkeit der Krankenkassen. Chancen sehen die Beteiligten jedoch darin, ein vereinfachtes Entlassmanagement auf neue und sichere Möglichkeiten des Datenaustausches (eHealth) zu bauen.


Andreas Wagener, Rechtsanwalt und stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), erläuterte die Neuregelungen zum Entlassmanagement und deren Bedeutung für die Kliniken. Nach dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) aus dem Jahr 2015 hat grundsätzlich jeder Patient in Deutschland Anspruch auf ein koordiniertes Entlassmanagement. Details zur genauen Ausführung wurden in einem "Rahmenvertrag" zwischen DKG, Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) und dem GKV-Spitzenverband geregelt, der zum 1. Oktober 2017 in Kraft trat. Die Koordinierungsfunktion, beispielsweise für die ambulante Weiterbehandlung des Patienten oder die nahtlose Versorgung mit Hilfsmitteln, liegt grundsätzlich beim behandelnden Krankenhaus. Neu ist, dass die Krankenhäuser zur Überbrückung Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sowie Verordnungen von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln ausstellen dürfen. Das Entlassmanagement werde aber meist nur von Patienten genutzt, die nicht in der Lage sind, eine lückenlose Anschlussversorgung zu organisieren. Das koordinierte Entlassmanagement folgt dem Grundsatz der Freiwilligkeit des Patienten. Einher geht ein enormer zusätzlicher bürokratischer Aufwand für die Kliniken: "19 Millionen Patienten pro Jahr, macht 38 Millionen Formulare pro Jahr", so Wageners Einblick. Hinzu kommt der gestiegene personelle Aufwand in den Kliniken, der jedoch mit den DRGs nicht zusätzlich abgegolten werde: "Ob es viel Arbeit ist, ob es wenig Arbeit ist, es gibt kein zusätzliches Geld."

Carola Beese, kommissarische stellvertretende Pflegedirektorin an der Spreewaldklinik Lübben, gab einen Einblick in die alltägliche Klinikpraxis. Ärzte, Pflege- und Sozialdienst arbeiteten Hand in Hand. Homecare-Anbieter zur anschließenden Versorgung der Patienten zu Hause werden durch den Sozialdienst des Krankenhauses koordiniert. Das Entlassmanagement werde softwareseitig gesteuert, was die Mitarbeiter der "Pflege vor Herausforderungen gestellt" habe, zeitlich wie auch organisatorisch. Die Kann-Bestimmungen zum Entlassmanagement führten zu Unstimmigkeiten zwischen Krankenhaus, Patienten, Angehörigen und Nachversorgern. Das Einholen der Einwilligung beim Patienten verursache einen Mehraufwand und führe im hektischen und von Notfällen bestimmten Klinikalltag zu Zeitverzögerungen. Auch der Faktor, dass nur Fachärzte Anschlussbehandlungen und Hilfsmittel verordnen dürfen, sei hinderlich, da diese nicht immer greifbar seien. Nicht zu verachten seien hohe Kosten durch neue EDV-Prozesse. Beeses Fazit aus Sicht einer Klinikschwester: "Wir haben die Herausforderung angenommen und schon recht viel umgesetzt", jedoch sei die "nachstationäre Versorgung mit Pflegediensten, Pflegeheimen, Hospizen usw. weiterhin schlecht", sie habe sich "eher noch verschlechtert", da es zu wenig Anbieter gebe oder diese häufig wechselten. Daran könne auch eine Pflicht zum Entlassmanagement nichts ändern.

Maren Rohr, Klinische Projektmanagerin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) in Lübeck und Kiel, schilderte, wie ein Maximalversorger die Vorgaben des Entlassmanagements umsetzt. Das UKSH ist der einzige Maximalversorger in Schleswig-Holstein. An den zwei Standorten gibt es 80 Kliniken und Institute mit mehr als 107.000 Fällen pro Jahr. Bei mehr als 12.000 Mitarbeitern funktioniere ein solcher Prozess nur "kooperativ und multiprofessionell". Die Mitarbeiter müssten "sich mit dem Unternehmen identifizieren, um diese Mehrbelastung zu leisten". Gerade das Einholen der Patienten-Einwilligung sei sehr aufwändig, die Patienten oft überfordert, gerade wenn sie kein Deutsch sprechen. Konkret forderte Rohr hier Unterstützung in Form von übersetzten Formularen, bspw. in Sprachen wie Türkisch, Kurdisch oder Russisch. Darüber hinaus sei es sehr schwierig und langwierig, in puncto Koordination mit den Krankenkassen in Kontakt zu treten. Oftmals gehe niemand ans Telefon oder die Stationskräfte warteten sehr lange in Warteschleifen. Eine erste Aufwandsschätzung am UKSH geht von 23 zusätzlichen Vollzeitstellen aus, um den erforderlichen Mehraufwand abzudecken. "Es ist ein Veränderungsprozess, der dauert. Wir sind Universitätsklinikum und wollen als Vorbild vorangehen", so Rohrs Fazit. Nicht zuletzt sei ein gelungenes Entlassmanagement ein Marketing-Faktor für die Klinik und Motivation für Patienten und Mitarbeiter.

Die schwierige Kommunikation mit den Krankenkassen bemängelte ebenfalls Cindy Stoklossa, Vorstandsmitglied der Deutschen Vereinigung für Soziale Arbeit im Gesundheitswesen (DVSG) und Leiterin der Sozialdienste an der Charité Berlin. Hier müsse "nachjustiert werden". Sie warnte eindringlich vor falschen Verdachtsmomenten und unnützen Hürden, die dem Patientenwohl nicht dienlich seien: "Ich glaube nicht, dass die Krankenhäuser alles über Bord werfen werden, was in der Vergangenheit funktioniert hat", so Stoklossa. Es gebe Richtlinien, die eine Vorauswahl von Leistungserbringern rechtfertigen. Die Lage würde durch die neuen Compliance-Richtlinien noch unübersichtlicher. Die Expertin bemängelte darüber hinaus die fehlende Bezahlung für die Häuser: "Der Sozialdienst ist mit den DRGs mitnichten abgegolten." Insgesamt ist ihr Fazit zu den neuen Regelungen vor dem Hintergrund des bürokratischen Aufwands eher ernüchternd: Durch die Neuregelungen kommt es vielmehr zu Verunsicherungen, welche Hilfsmittel wie korrekt verordnet werden können. Im Zweifel führt dies eher dazu, dass Entlassverordnungen nicht ausgestellt werden.

Peter Klas, Leiter Krankenhaus-Verhandlungsmanagement bei der AOK Sachsen-Anhalt, erläuterte aktuelle Probleme aus Sicht einer Krankenkasse. Entscheidungswege innerhalb der Kasse dauerten zu lange, Anfragen für Unterstützungsleistungen von Patienten erreichten die Kassenmitarbeiter zu spät. Die AOK Sachsen-Anhalt hat daher eine Koordinierungsstelle "Entlassmanagement" eingerichtet, an die sich Kliniken zur zügigen Bearbeitung der Anträge und Verordnung wenden können. Unsicherheiten der Ärzte bei der Verordnung reduziere die Kasse bspw. durch Schulungen zu Arzneimittelverordnungen. Insgesamt befürworte die Kasse die Regelungen, denn: "Wir tun es für die Patienten und die Versicherten – und alles, was denen nutzt, das sollten wir auch machen."

Sascha Graf, Abteilungsleiter Forderungs- und Abrechnungsmanagement bei der Krankenkasse DAK, schlussfolgerte: "Über ein gutes Entlassmanagement bekommen wir den Patienten in eine gute ambulante Versorgung. Wenn das gut funktioniert, dann funktioniert es auch hinterher." Die Herausforderung für die Kassen bestehe aber darin, "dass über 1.800 Krankenhäuser ihr [jeweils eigenes] Verfahren mit 113 Krankenkassen etablieren möchten." Umgekehrt mache "jede Krankenkasse den Krankenhäusern ein anderes Angebot." Nicht nachvollziehbar seien auch die strikten Regelungen zu Anschlussverordnungen, die zu Versorgungsunterbrechungen für den Patienten führen können: "Ich verstehe nicht, warum man erst am Entlasstag Verordnungen ausfüllen darf. Dann sitzt der Patient auf heißen Kohlen oder im schlimmsten Fall am nächsten Tag wieder im Krankenhaus", so Graf. Zur Unterstützung des Entlassprozesses hat die DAK den "Hilfsmittellotsen" eingeführt.

Jochem Schulz, Geschäftsbereichsleiter Versorgung und Verträge bei der BKK Verkehrsbau Union (BKK VBU), sieht in den neuen Vorschriften zum Entlassmanagement Chancen, "alte Netzwerke" zu durchbrechen. Die Versorgungskontinuität für die Patienten müsse hingegen sichergestellt werden. Um zudem die Leistungsausgaben besser zu steuern, bringe sich seine Kasse aktiv in den Entlassprozess ein, beispielsweise bei der Auswahl des Anschlussversorgers. Ein Controlling der Leistungsströme der nachversorgten Patienten solle dies ergänzen. Insgesamt müsse die Kommunikation zwischen den Krankenkassen und den Krankenhäusern verbessert werden, der Rücklauf der Häuser sei teilweise gering und die Sozialdienste "überwiegend ahnungslos".

Christian Pietzka, Manager des Fachbereichs Versorgungsmanagement bei Fresenius Kabi, bemängelte praktische Umsetzungsschwierigkeiten und unterschiedliche Interpretationen: "Regelungen aus einem Rahmenvertrag treffen auf die alltägliche Praxis". Hinzu kämen neue Anforderungen aus dem Bereich Compliance. Zukunftsfest seien "ambulante Netzwerke, dann sind die Patienten gut versorgt und kommen nicht so schnell zurück ins Krankenhaus". Erfolgsfaktoren für ein gelungenes Entlassmanagement bestünden darin, "aufwändige" Patienten frühzeitig zu identifizieren und in der Klinik frühzeitig mit der Entlassplanung zu beginnen. Als Best-Practice-Beispiel könne die multidisziplinäre Entlassplanung in der Geriatrie dienen, Voraussetzung sei die Kommunikation aller internen und externen Erfolgstreiber. Die Möglichkeiten der Digitalisierung müssten unterstützend genutzt werden, ebenso wie Netzwerkpartner in der nachstationären Versorgung.

Die abschließende Podiumsdiskussion drehte sich vor allem um die Frage der Zuständigkeit für die Organisation der Anschlussversorgung und um mögliche Kriterien für die Auswahl der entsprechenden Versorger. Auch die technische Umsetzung stand im Fokus: Sascha Graf von der DAK plädierte für schnellere Strukturen und den Griff auf Bewährtes: "Weniger Faxe, sondern Datenströme über gesicherte Wege. Jeder Tag zählt! Alles, was bisher funktioniert hat, sollte weitergeführt werden." In vielen Fällen fehle es an Rechtssicherheit, demgegenüber stehe die Versorgungssicherheit für die Patienten. Alle Beteiligten müssten zusammenfinden, und mit Hilfe von eHealth-Prozessen die "Chance durch geschützte elektronische Übermittlungsverfahren nutzen". Der Druck werde auch durch die neue EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und Anbieter wie Google oder Apple größer – ergo: "Wir brauchen dringend digitale Lösungen, dann kriegen wir auch die Geschwindigkeit da rein, die wir brauchen." Langwierige Hotline-Lösungen und Verständnisschwierigkeiten für die Patienten wurden von der Krankenhausseite in Frage gestellt. Charité-Expertin Cindy Stoklossa bewertete den Rahmenvertrag, bspw. die Verordnung von Hilfsmitteln erst am Entlasstag, als "nicht patientenfreundlich". Der Patient stehe "dann vielleicht ohne Pflegebett oder Therapieplatz da." Hier sind praktikable Lösungen erforderlich. Sascha Graf appellierte abschließend, "patientenorientiert" zu denken, "der Patient ist mündig und kann selbst entscheiden."

Moderiert wurde die Konferenz von der Rechtsanwältin Bettina Hertkorn-Ketterer.

Hinweis an die Medien: Druckfähige Bilder zur Konferenz können unter www.bvmed.de/bildergalerien heruntergeladen werden.
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