Winnenden

Rems-Murr-Kliniken bleiben Verlustgeschäft

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Ein Kommentar zum Gesundheitssystem von Martin Winterling. © Ramona Adolf

Der Rems-Murr-Kreis hat alles richtig gemacht. Zentralisierung und Spezialisierung lautet die Zauberformel, wie die stationäre Gesundheitsversorgung fit für die Zukunft gemacht werden kann. Mit dem neuen Klinikum Winnenden und einer runderneuerten Rems-Murr-Klinik in Schorndorf hat der Landkreis dann zwei Krankenhäuser, die den Anforderungen an ein modernes Gesundheitssystem genügen. Neubauten und die Schließung von Krankenhäusern hat der Landkreis Rems-Murr vor Jahren bereits hinter sich. Anderen Landkreisen wie Esslingen oder Böblingen steht dieser schmerzhafte Prozess noch bevor.

Der Wermutstropfen ist: Die Rems-Murr-Kliniken sind – entgegen den einst geweckten Hoffnungen und Erwartungen – ein Zuschussgeschäft für die Kommunen und werden es auf absehbare Zeit bleiben. In einem landesweiten Vergleich zählten die Rems-Murr-Kliniken 2015/16 zu den Krankenhäusern mit den höchsten Verlusten.

Situation und Perspektiven der Krankenhäuser in Baden-Württemberg

Die Schuldigen sitzen jedoch nicht im Landratsamt oder in der Chefetage der Kliniken. Das deutsche Gesundheitssystem selbst ist malade; insbesondere die Krankenhäuser bedürfen dringend einer Behandlung. In Baden-Württemberg gibt es zu viele kleine Krankenhäuser und viel zu viele Betten, lautete die Diagnose von Dr. Christopher Hermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg, kürzlich bei einem Journalisten-Workshop der Krankenkasse in Zusammenarbeit mit der Initiative Tageszeitung. „Situation und Perspektiven der Krankenhäuser in Baden-Württemberg“ war das Thema.

Die Defizite der Rems-Murr-Kliniken waren 2015/2016 vielleicht in ihrer Höhe einzigartig; die Gründe, weshalb die Hälfte der Krankenhäuser im Land rote Zahlen schreiben, sind es nicht. Gleichwohl der Rems-Murr-Kreis seine Hausaufgaben erledigt hat, wie es so schön heißt, und in Winnenden und Schorndorf die Patientenzahlen steigen und die Betten die meiste Zeit über voll belegt sind, reichen die Einnahmen nicht, um die Kosten zu decken. Das im vergangenen Jahr vom Kreistag beschlossene Medizinkonzept geht davon aus, dass die Kliniken trotz weiter steigender Behandlungszahlen der Kliniken im Betrieb allenfalls eine „schwarze Null“ schreiben können und der Landkreis für Zins und Tilgung des 300 Millionen Euro teuren Neubaus in Winnenden aufkommen muss. Es handelt sich um viele Millionen Euro im Jahr.

Was läuft falsch?

Was läuft falsch? Zum Beispiel die Finanzierung. Eigentlich sollte das Land für sämtliche Investitionen in die Krankenhäuser aufkommen und die Krankenkassen nur den Betrieb bezahlen. Doch die CDU-geführten Landesregierungen hatten die Krankenhäuser als Sparschwein missbraucht. Unter Grün-Rot und Grün-Schwarz gibt’s inzwischen zwar wieder mehr Geld, doch aus Sicht der AOK längst nicht genug. Die Krankenhäuser müssen nach wie vor einen Teil ihrer Investitionen aus dem laufenden Betrieb finanzieren. Doch so viel bleibt dabei nicht hängen. Die Folge sind Defizite, insbesondere bei den kommunalen Kliniken, die sich nicht wie private Krankenhausbetreiber nur die lukrativen Bereiche herauspicken können.

Was läuft falsch? Zum Beispiel die Planung. Kommunalpolitikern fehlt oft der Blick über den eigenen Kirchturm hinaus. Das örtliche Krankenhaus ist den Menschen heilig – selbst wenn es nicht mehr modernen Ansprüchen genügt. Nachweislich werden Patienten in großen, spezialisierten Kliniken besser behandelt. Sie suchen sich bei planbaren Operationen längst ein solches Krankenhaus aus und nehmen für eine gute Behandlung weite Wege in Kauf. Doch das Herz hängt am Feld-, Wald-, Wiesenkrankenhaus vor Ort. Wie erbittert der Kampf um die Kliniken geführt wird, hat der Rems-Murr-Kreis vor Jahren vor der Schließung der Backnanger und Waiblinger Krankenhäuser erlebt und erlitten.

Was läuft falsch? Zum Beispiel falsche Anreize durch Fallpauschalen. Angesichts roter Zahlen sind Krankenhäuser versucht, die Umsätze und folglich die Zahl der Behandlungen zu erhöhen. Dies mag betriebswirtschaftlich durchaus sinnvoll sein, doch geht es zulasten der Qualität – und der Gesundheit. Aufgrund der 2003 eingeführten Fallpauschalen sank zwar die Verweildauer der Patienten in den Kliniken. Das war so gewollt. Doch gleichzeitig stieg die Zahl der Behandlungen, und zwar in einem Maße, das nicht mit primär medizinischen Gründen zu erklären ist.

Mehr Geld macht das System nicht leistungsfähiger

Bei dem Journalisten-Workshop holte der Medizinethiker Prof. Dr. Urban Wiesing von der Universität Tübingen die große Keule hervor: Das deutsche Gesundheitssystem ist teuer, sorgt aber nicht für eine bessere Gesundheit. In Deutschland gibt es zu viele Krankenhäuser und es wird zu oft und zu viel operiert. Gäbe es weniger Kliniken und weniger Behandlungen, wären auch die Ärzte und das Pflegepersonal nicht so überlastet und gestresst.

„Mehr Geld macht das System nicht automatisch leistungsfähiger“, lautete eine der acht Thesen „zum Wohle der Patienten und der Gesellschaft“, die die Nationale Akademie der Wissenschaften „Leopoldina“ zum „Verhältnis von Medizin und Ökonomie im deutschen Gesundheitssystem“ aufgestellt hat.

Im vergangenen Jahr hat der Kreistag die Weiterentwicklung des Klinikums Winnenden und des Schorndorfer Krankenhauses beschlossen. Die beiden hoch spezialisierten Krankenhäuser sind gefragt und die Betten sind voll. Kein Wunder, dass die Kliniken-Geschäftsführung hofft, durch weiteres Wachstum aus den tiefroten Zahlen zu kommen. Sie plant in Winnenden sogar eine Erweiterung mit mehr als 100 neuen Betten. Während das grundsätzliche Okay des Sozialministeriums für eine Sanierung von Schorndorf vorliegt, steht hinter dem geplanten Bettenausbau in Winnenden jedoch ein großes Fragezeichen. Der grüne Sozialminister Manfred Lucha wird sich gut überlegen, ob er landauf, landab für die Schließung von Kliniken und den Abbau von Betten wirbt – und ob seiner angeblich bürgerfernen Gesundheitspolitik vor Ort dafür gescholten wird – und andererseits im Landeskrankenhausausschuss weitere Betten in einem Klinikum in der sehr gut versorgten Region Stuttgart genehmigt. Die Hängepartie um die schon 2014 über den Plan hinaus gebauten und bis heute nur zum Teil genehmigten Betten in Winnenden ist kein gutes Omen, dass das Land den Ausbau des Klinikums Winnenden vorantreibt.

Rems-Murr-Kreis hat alles richtig gemacht

Die Leopoldina fordert von der Politik klare und verlässliche Rahmenbedingungen, in denen ein Qualitätswettbewerb stattfinden könne. Andernfalls würden die Probleme über die Fallpauschalen nach unten zu den Krankenhäusern durchgereicht – „mit den bekannten unerwünschten Folgen: Arbeitsverdichtung, Unzufriedenheit der Mitarbeiter, Personalmangel, obwohl insgesamt genug Personal vorhanden ist, Fallzahlsteigerungen ohne medizinische Gründe und gesamtwirtschaftlich hohe Kosten, ohne dass ein entsprechender gesundheitlicher Nutzen generiert würde.“

Der Rems-Murr-Kreis hat bei seinen Kliniken fast alles richtig gemacht und gute Chancen in einem Qualitätswettbewerb. Die Probleme im Gesundheitssystem hat er damit freilich nicht gelöst.