„Home Treatment“ : Sollten psychisch Kranke zu Hause behandelt werden?
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In den eigenen vier Wänden bleiben und trotzdem medizinische Behandlung erfahren zu können kann für Menschen mit psychischer Erkrankung eine große Erleichterung sein. Bild: plainpicture/Willing-Holtz
Ins Krankenhaus gehen die wenigsten Menschen gerne. Seit kurzem können psychiatrische Kliniken Patienten zu Hause behandeln. Das entlastet gleich auf mehreren Ebenen.
Wenn sie die Wahl hätten, würden die meisten Menschen gerne auf einen Krankenhausaufenthalt verzichten. Patienten mit körperlichen Erkrankungen hält diese Abneigung aber trotzdem in der Regel nicht von dem Gang in die Klinik ab. Sie wissen, dass eine stationäre Behandlung manchmal nicht zu umgehen ist und sie in aller Regel wieder gesund macht. Zudem gibt es zu größeren Operationen keine Alternative.
Bei manchen Patienten mit psychischen Erkrankungen stellt sich die Situation anders da. Ein stationärer Aufenthalt ist für eine überschaubare Gruppe psychisch Kranker – nach Schätzungen handelt es sich um rund zehn Prozent der Patienten – keine geeignete Behandlungsmethode, auch wenn der Aufenthalt in einer Psychiatrie aufgrund der Schwere der Erkrankung notwendig wäre. Christoph Fehr, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Agaplesion-Markus-Krankenhaus in Frankfurt am Main zählt Patienten auf, die kaum oder gar nicht von einem Krankenhausaufenthalt überzeugt werden können: Menschen, die aufgrund einer Schizophrenie ihr Wohnumfeld nicht mehr verlassen oder gar nicht wahrnehmen, dass sie krank sind. Leute mit einer schweren Angststörung, die keine öffentlichen Verkehrsmittel nutzen. Suchtmittelkranke Patienten, die nicht in der Lage sind, das Abstinenzgebot im stationären Rahmen einzuhalten. Aber auch Kranke, die in die Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger oder von Kindern eingebunden sind.
Patient kann in seinem Umfeld bleiben
Für diese Patienten gibt es seit 1. Januar 2018 neue gesetzliche Voraussetzungen, die ihnen eine Behandlung zu Hause, in ihrem vertrauten Umfeld, ermöglichen – und das nicht durch den niedergelassenen Facharzt oder die Gemeindepsychiatrie, sondern durch die Krankenhäuser selbst. Das „Gesetz zur Weiterentwicklung der Versorgung und der Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen“ (PsychVVG) erweitert das Angebotsspektrum der psychiatrischen Kliniken um die „stationsäquivalente psychiatrische Behandlung“. Sie ist ein Teilaspekt des „Home Treatment“.
Gemeint ist damit die aufsuchende Behandlung des Patienten durch Ärzte, Psychologen, Spezialtherapeuten, Sozialarbeiter und Pflegepersonal in seinem Lebensumfeld unter Einbeziehung seines sozialen Netzwerks, und das täglich. Der Patient muss also nicht mehr stationär aufgenommen werden, damit die Klinik für die Behandlung ausreichend Geld bekommt, sondern die Klinik kann multiprofessionelle Teams nach Hause zum Patienten schicken. Der Patient verbleibt in seinem psychosozialen Umfeld und in Beziehungen zu den Personen, die ihm wichtig sind. „Das ist eigentlich eine Revolution, weil man Krankenhaus jetzt anders definiert“, sagt Arno Deister.
Deister, Chefarzt des Zentrums für Psychosoziale Medizin des Klinikums Itzehoe, ist einer der Pioniere des Home Treatment in Deutschland. Seine Klinik startete dazu vor 16 Jahren das erste deutsche Modellprojekt. Im Laufe der Jahre folgten weitere 19 Modellprojekte in ganz Deutschland. Die Idee dahinter: Die Klinik wird von der Kasse nicht mehr für eine Einzelleistung, sondern für eine Aufgabe bezahlt. „Unser Klinikum in Itzehoe ist für den Kreis Steinburg mit 135.000 Einwohnern zuständig, und unsere Aufgabe lautet, eine Versorgung für alle anzubieten, die eine psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung brauchen. Dafür bekommen wir pauschal eine bestimmte Menge Geld“, erläutert Deister.