Vorschusslorbeeren gibt es für den designierten Gesundheitsminister reichlich: Für Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der Krankenhausgesellschaft, ist Jens Spahn „ein ausgewiesener Experte“. Auch für Martin Litsch, Chef des AOK-Bundesverbandes, bringt der CDU-Politiker „beste Voraussetzungen für das Amt mit“. Und Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, lobt ihn als „pragmatisch und lösungsorientiert“. Genau das muss Spahn auch sein. Arbeitsaufträge liefert der Koalitionsvertrag zur Genüge.

Krankenhausfinanzierung:

„Blutige Entlassungen“ und zu wenig Pflegekräfte – diese Zustände in deutschen Krankenhäusern beklagen Kritiker seit langem. Die GroKo will das ändern. Dazu verbirgt sich auf Seite 99 der Koalitionsvereinbarung eine Sensation oder, wie Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks sagt, „eine revolutionäre Tat“. Auch wenn die Formulierung unverdächtig klingt: „Künftig sollen Pflegepersonalkosten besser und unabhängig von Fallpauschalen vergütet werden.“
Damit jedoch wird das 2003 eingeführte System der Fallpauschalen auf den Kopf gestellt. Seitdem kann ein Krankenhaus nicht mehr bei den Kassen abrechnen, wie lange ein Patient auf Station liegt. Pro Erkrankung gibt es eine Pauschale. Für eine Hüft­operation bekommt die Klinik weniger als für eine Nieren-Transplantation. Wer einen Patienten möglichst schnell entlässt, macht Gewinn. Wer viele komplizierte Behandlungen durchführt, macht noch mehr Gewinn. Viele Patienten und komplizierte Fälle lohnen sich. Gute Pflege dagegen nicht. Eine Folge: Am Pflegepersonal wird gespart. Spezialisierte Ärzte dagegen sind gefragt. Laut Statistischem Bundesamt ist die Zahl der Krankenhausärzte in 25 Jahren um 66 Prozent auf 158 100 gestiegen. Bei den Pflegekräften gab es bis Ende 2016 dagegen eine leichte Abnahme auf  325 100.

Pflege:

Spahn weiß, dass die Pflege  „jeden in Deutschland bewegt“. Hier müsse die Regierung große Schritte machen. „Daran müssen wir uns messen lassen.“ Die 8000 Pflege-Stellen, die im Koalitionsvertrag stehen, werden dafür bei weitem nicht reichen. Professor Frank Weidner, Leiter des  Instituts für angewandte Pflegeforschung, fordert 100 000 neue Stellen. „Die Schere zwischen pflegebedürftigen Menschen und der Zahl derjenigen, die in den nächsten zehn, 20 Jahren überhaupt noch pflegen können, wird auseinanderlaufen“, warnt Bernd Meurer, der Präsident des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste. Und der Vizepräsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, Rolf Rosenbrock, fordert eine bessere Bezahlung. Der Durchschnittslohn von 2621 Euro brutto reiche nicht, um Pflegekräfte zu gewinnen. Seiner Meinung nach kommt man um höhere Pflegeversicherungsbeiträge nicht herum.

Ärztemangel auf dem Land:

Um den Ärztemangel in ländlichen oder strukturschwachen Regionen zu bekämpfen, soll sich nach dem Willen der GroKo jeder Arzt dort niederlassen können. Bisher gilt: Wenn ein Arzt eine Praxis eröffnen möchte, muss er sich an die zuständige Ärztekammer wenden. Die kann die Niederlassung verweigern. Ein Grund: Die Anzahl der erlaubten Praxen ergibt sich aus der Einwohneranzahl. In dünn besiedelten Gebieten reichen theoretisch wenige Ärzte aus – auch wenn die Wege lang werden.
Für welche Gebiete die Regelung gelten wird, sollen die Länder bestimmen.  Die haben sich zwar durch jahrelange Unterfinanzierung der Krankenhaus-Investitionen in Sachen Gesundheitswesen nicht gerade mit Ruhm bekleckert, fühlen sich aber endlich ernst genommen. Im baden-württembergischen Sozialministerium begrüßt man die Idee. Aber: „Eine neue Regelung allein schafft noch keine neuen Ärzte.“ Die Gesundheitsministerkonferenz habe auf Vorschlag Baden-Württembergs den Bund aufgefordert, eine Reformkommission einzurichten, die ein Paket für notwendige gesetzliche Änderungen schnüren solle. Der Koalitionsvertrag verspreche eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe: „Das bewerten wir positiv.“ Im Übrigen aber sei abzuwarten, was der Bund „an konkreten Vorschlägen überhaupt auf den Tisch legen wird“, heißt es aus Stuttgart. Und auch in Potsdam will man erst einmal abwarten. Und dann darauf achten, „dass die gesetzgeberische Umsetzung des Vereinbarten zu praktikablen Lösungen führt“. Neu-Minister Jens Spahn sieht sich also hier einer gehörigen Portion Skepsis gegenüber.  Es liegt an ihm, diese abzubauen.