Wohin soll die Reise gehen? – Streit über Verjährung von Krankenhausansprüchen nimmt kein Ende

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Nach einigen Entscheidungen des Sozialgerichts Mainz aus den letzten Jahren war kurz die Diskussion über die Anwendung der regelmäßigen dreijährigen Verjährungsfrist nach § 195 BGB auf die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen bei der Abrechnung stationärer Behandlungen wieder aufgeflammt.

Das Bundessozialgericht hatte in zwei Grundsatzentscheidungen dazu klargestellt, dass sich die Verjährung von Forderungen der Krankenhäuser und eventuellen Gegenforderungen der Krankenkassen nach der vierjährigen Verjährungsfrist des § 45 Abs. 1 SGB I bestimmt (BSG, Urteil vom 12.05.2005 – B 3 KR 32/04 R – und Urteil vom 21.04.2015 – B 1 KR 11/15 R –).

Offensichtlich angestachelt durch den neuen richterlichen Ungehorsam gegenüber dem Bundessozialgericht hat das Sozialgericht Speyer in seinem Urteil vom 16.02.2018 (– S 13 KR 286/16 –) in Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts wieder eine dreijährige Verjährungsfrist für die Gegenforderung einer Krankenkasse angenommen.

Die bereits bekannten Argumente sind dabei durchaus stichhaltig.

Nach § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB V werden die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen u zu den Krankenhäusern abschließend im Vierten Kapitel des SGB V, in den §§ 63, 64 SGB V und im KHG, im KHEntG sowie den hiernach erlassenen Rechtsverordnungen geregelt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V gelten für diese Rechtsbeziehungen im Übrigen die Vorschriften des BGB entsprechend. Regelungen über die Verjährung von Ansprüchen sind weder im SGB V, KHG oder KHEntG enthalten. Allgemeine Regelungen für die Verjährung von Ansprüchen zwischen Leistungserbringern und Leistungsträgern fehlen. Auch § 45 Abs. 1 SGB I enthält keine allgemein für das Sozialrecht normierte Verjährungsfrist von vier Jahren, weil entsprechende Ansprüche von Leistungserbringern und Leistungsträgern keine Sozialleistungen im Sinne des § 45 Abs. 1 SGB I sind. Da § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V eine ausdrückliche Verweisung auf das BGB enthält, greifen mangels speziellerer Regelung die Verjährungsvorschriften der §§ 194 ff. BGB Demzufolge ist gemäß § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. § 195 BGB die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren einschlägig.

Diese Argumentation ist durchaus korrekt, wobei das Urteil auch erneut umfangreich die Schwächen der Begründung des Bundessozialgerichts zur Anwendung der vierjährigen Verjährung aufzeigt.

Erstaunlich an dem Urteil ist aber, wie das Sozialgericht Speyer auf den Einwand des Vertrauensschutzes der beklagten Krankenkassen unter Hinweis auf die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts reagiert.

Denn nach dem Sozialgericht Speyer dürfen Gerichte wegen ihrer Funktion im Rechtsstaat über auf konkrete Verfahren bezogene Maßnahmen hinaus keinen Vertrauensschutz auf ihre Rechtsprechung oder auf die Rechtsprechung der ihnen übergeordneten Gerichte gewähren. Auch die Bindungswirkung von Entscheidungen des Bundessozialgerichts erstreckt sich danach nur auf die jeweils Verfahrensbeteiligten (§ 141 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Die Bundesgerichte prägen nach Ansicht der Sozialrichter in Speyer zwar tatsächlich die Rechtswirklichkeit, sie verfügen aber nicht exklusiv über das Recht. Sie haben insbesondere keine Normsetzungsbefugnis. Die Etablierung einer „ständigen Rechtsprechung“ bedeutet für einen Rechtssuchenden, der sich hiergegen wendet, daher nur eine tatsächliche Hürde. Die Gerichte haben das Recht stets so anzuwenden, wie es der jeweils zuständige Spruchkörper im konkreten Streitfall als richtig erkennt. Dass Rechtsunterworfene nicht auf eine „ständige Rechtsprechung“ vertrauen können, ist die notwendige Kehrseite dafür, dass sie mit ihrer Rechtsauffassung auch dann noch ernstgenommen werden und durchdringen können, wenn eine „ständige Rechtsprechung“ ihrer Rechtsauffassung entgegensteht. Die argumentativen Hürden mögen dann in tatsächlicher Hinsicht höher sein, sind jedoch nicht unüberwindlich. Gegen die Gewährung von Vertrauensschutz in eine ständige Rechtsprechung spricht daher auch, dass das Festhalten an einer als fehlerhaft erkannten ständigen Rechtsprechung im kontradiktorischen Verfahren stets zu einer nicht zu rechtfertigenden Benachteiligung der anderen Prozesspartei führt, obwohl dieser zur Überzeugung des zur Entscheidung berufenen Spruchkörpers in der Sache eigentlich Recht zu geben wäre. Für die nur auf Grund von „Vertrauensschutzgesichtspunkten“ unterlegene Partei stellte dies nach dem Sozialgericht Speyer eine Rechtsverweigerung dar, die ihrerseits vor dem Hintergrund des Rechtsstaatsprinzips, der Bindung an Recht und Gesetz und des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz nicht gerechtfertigt werden könnte. Hiervon abgesehen ist nach dem Sozialgericht Speyer keine Rechtfertigung dafür ersichtlich, weshalb Instanzgerichte Vertrauensschutz in die Rechtsprechung des obersten Bundesgerichts gewähren dürfen oder gar hierzu verpflichtet sein sollten, wenn sie selbst eine andere Rechtsauffassung vertreten.

Das gut begründete Urteil des Sozialgerichts Speyer ist insbesondere hinsichtlich der Ausführungen zur „Bindungswirkung“ der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts wohl nur vor dem Hintergrund der derzeit kritischen Debatten der Rechtsprechung des 1. Senates des Bundessozialgerichts erklärbar und zeigt mehr als deutlich, welche Folgen die teilweise nicht mehr nachvollziehbare Rechtsprechung des 1. Senates des Bundessozialgerichts im Krankenhausbereich haben kann. Im dem die Instanzgerichte derart offen dem Bundessozialgericht die Gefolgschaft verweigern, demonstrieren sie auch, wie ein Bundesgericht den offenen Widerstand der Instanzgerichte herausfordern kann, wenn es seine Rechtsprechung nicht mehr nachvollziehbar erklärt. Für die Betroffenen entsteht dadurch aber eine unhaltbare Situation, weil alle Beteiligten in der Praxis Orientierung und verlässlichen Regeln benötigen. Denn die Frage einer drei- oder vierjährigen Verjährungsfrist ist in der Praxis von wichtiger Bedeutung. Während die Sozialgerichte sich nun in juristischen „Grabenkämpfen“ verlieren, lassen sie die Rechtsanwender im „Regen stehen“. So gut begründet das Urteil sein mag, macht es auch klar, dass die Sozialgerichte derzeit einer wichtigen Aufgaben nicht gerecht werden und damit für alle Beteiligten in der Praxis erhebliche Rechtsunsicherheiten schaffen.

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