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Fehlt der Befund, entlassen Kliniken mitten in der Nacht

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Symbolbild © dpa

Hamm - Aus den Augen, aus dem Sinn? Egal ob alt oder allein: Wenn der Befund fehlt, entlassen Kliniken ihre Patienten auch in Hamm mitten in der Nacht.

Wer nicht krank ist, der gehört auch nicht ins Krankenhaus. Für diesen Grundsatz bedarf es an sich keiner großen Worte. Abseits von medizinischer Indikation und kassenrelevanter Fallpauschale gibt es jedoch einen Graubereich, von dessen Auswirkungen insbesondere ältere Menschen in Hamm betroffen zu sein scheinen. Wenn der Befund der Ärzte am Ende nichts hergibt, werden sie aus der Klinik nach Hause entlassen – auch mitten in der Nacht und egal ob dort jemand wartet oder nicht.

23.30 Uhr war’s im ersten Fall, der unserer Redaktion in dieser Woche zugetragen wurde. Um eben diese 23.30 Uhr wurde dem Sohn eines 90-jährigen Patienten am Sonntag von Mitarbeitern des Evangelischen Krankenhauses unterbreitet, dass dessen Vater in voraussichtlich einer Stunde per Liegendtransport zurück nach Rhynern gebracht werden würde. Auch die letzten Blutwerte seien unauffällig gewesen, der Vater sei akut an nichts Ernsthaftem erkrankt.

Siebenstündige Odyssee eines Seniors

Sieben Stunden zuvor hatte die Odyssee des Seniors begonnen. Seine 80-jährige Ehefrau hatte in ihrer Not den Rettungsdienst gerufen, weil ihr Mann unter einer Durchfallerkrankung litt. Der Sohn und dessen Familie waren nicht zu Hause. Zum Hintergrund: Der 90-Jährige ist demenziell erkrankt und kaum mehr in der Lage, eine Wegstrecke von auch nur wenigen Metern ohne fremde Hilfe zurückzulegen.

Gegen 18 Uhr erfuhr der Sohn auf Nachfrage bei der Feuerwehr, dass sein Vater ins EVK eingeliefert worden war. Gegen 20 Uhr wurde der Familie dann seitens der Klinik mitgeteilt, dass eine Entlassung am selben Abend zu erwarten sei. Gegen 22 Uhr der nächste Anruf des Sohnes im Krankenhaus: Letzte Blutanalysen stünden noch aus, es könne noch etwas dauern, hieß es vom behandelnden Arzt. Mit Blick auf die fortgeschrittene Uhrzeit und den Umstand, dass auch die 80-jährige Ehefrau nicht mehr allzu fit sei und zu dieser Uhrzeit für gewöhnlich im Bett liege, fragte der Sohn, ob man das Ganze nicht auf den morgigen Tag verschieben könne. Nein, hieß es kategorisch aus der Klinik.

In letzter Konsequenz abgeholt

Um – wie bereits gesagt – 23.30 Uhr folgte der nächste Anruf des Sohnes im EVK mit der Inaussichtstellung, dass es 0.30 Uhr werden würde, bis der Rettungswagen nach Rhynern fahren könnte. Der Sohn setzte sich daraufhin selbst ins Auto und holte seinen Vater – der kaum mehr in einem normalen Pkw befördert werden kann – zurück nach Hause.

Von der Klinik hieß es auf WA-Anfrage zunächst, dass es sich um einen „bedauerlichen Einzelfall“ handele und dass man der Sache nachgehen werde. Dann folgte am Mittwoch die Erklärung, dass es keine Veranlassung gegeben habe, den Patienten dortzubehalten und wegen der demenziellen Vorerkrankung auch ein Aufenthalt in einer fremden Umgebung zu verhindern gewesen sei.

Kein Einzelfall in Hamm

Dass es sich am Ende doch nicht um einen Einzelfall handelte und auch andere Hammer Kliniken so vorgehen, dieser Eindruck wird durch

Klicken Sie oben rechts ins Bild, um den Leserbrief komplett zu sehen.
Klicken Sie oben rechts ins Bild, um den Leserbrief komplett zu sehen. © Mroß

einen mit viel Mühe geschriebenen Brief (kleines Bild) einer offenbar schon betagten WA-Leserin bestärkt. Ende Januar hatte sich die Dame bereits an die Redaktion gewandt und vom Schicksal ihrer Nachbarin berichtet. An einem Dienstag im Januar habe diese sehr stark gebrochen. Mittags sei der Rettungsdienst gekommen und habe die Frau ins Krankenhaus (nicht das EVK) transportiert.

Um 17.30 Uhr sei sie dann wieder zurückgebracht worden, doch die Sanitäter hätten die 85-Jährige gleich wieder eingepackt und in ein anderes Hammer Krankenhaus (ebenfalls nicht das EVK) eingeliefert, als sie festgestellt hätten, dass diese Nachbarin alleine lebte. Abends um 22 Uhr sei sie dann von der Feuerwehr aus dem Bett geklingelt worden, um ein weiteres Mal die Haustür ihrer Nachbarin, für die sie einen Schlüssel hat, zu öffnen. Die Nachbarin sei in ihre Wohnung gebracht, ins Bett gelegt und allein gelassen worden.

Aus den Augen, aus dem Sinn.

„Drei Rettungsfahrten, aber kein Bett im Krankenhaus. Und da wundert Ihr Euch, dass immer mehr alte, arme und kranke Menschen nicht mehr leben wollen“, schließt sie ihr Schreiben, auf dem sie lediglich ihren Nachnamen, aber keine Anschrift oder Telefonnummer angegeben hatte. Nachfragen waren somit nicht möglich; wegen der fehlenden Überprüfbarkeit kam es nicht zu einer isolierten Berichterstattung.

Feuerwehrleute bestätigten gegenüber dem WA allerdings ebenfalls diese Entlasspraxis der Hammer Krankenhäuser. Seit Jahren sei dies schon an der Tagesordnung, und in Zukunft werde es noch mehr Fälle dieser Art geben. In den Kliniken gehe es nur noch um die Abrechnung von Fallpauschalen, der Patient sei dabei nur noch ein Kostenfaktor. Auch der Rettungsdienst leide darunter. Krankenfahrten dürften prinzipiell nur tagsüber durchgeführt werden. Zu Abend- und Nachtstunden würden auf diese Weise Fahrzeuge des Rettungsdienstes blockiert.

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