Winnenden

Mehr Betten, weniger Verluste

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FEature Krankenhaus Krankenbett
Der Rems-Murr-Kreis ist mit nur 200 Klinikbetten je 100 000 Einwohner Schlusslicht im Land und im Bund bei der Bettenversorgung. Die Krankenhäuser in Schorndorf und Winnenden sind meist voll belegt. Die Rems-Murr-Kliniken haben deshalb weitere Planbetten beantragt. © Zürn
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Bei den Planbetten in Winnenden und Schorndorf sind sich der Sozialminister Manfred Lucha und die Rems-Murr-Kliniken nicht immer grün: Landrat Richard Sigel (Mitte) und Klinikengeschäftsführer Marc Nickel wollen mehr, das Sozialministerium eher weniger Betten.

Winnenden/Schorndorf. Am Mittwoch tagt der Landeskrankenhausausschuss. Auf der Tagesordnung stehen zwei Anträge der Rems-Murr-Kliniken: „Erhöhung um 97 Betten für somatische Fachgebiete“ und „Reduzierung von 29 Planbetten am Klinikum Schorndorf“. Das Thema birgt Brisanz, wie die Reaktion auf unsere Anfragen bei den Kliniken und beim baden-württembergischen Sozialministerium zeigt: „Kein Kommentar.“

Das Sozialministerium schrieb: „Da für alle Sitzungen des Landeskrankenhausausschusses zwischen den Teilnehmern Vertraulichkeit vereinbart ist, wird sich das Ministerium für Soziales und Integration auch vor der anstehenden Sitzung in keiner Weise öffentlich zu möglichen Beschlüssen dieses Gremiums äußern beziehungsweise darüber spekulieren.“

Sozialminister Lucha will kleine Häuser am liebsten schließen

Die Kliniken erklärten: „Wir bitten um Verständnis, dass wir zu Ihrer Anfrage im Hinblick auf die bevorstehende nichtöffentliche Sitzung des Landeskrankenhausausschusses keine detaillierten Angaben machen können.“

So einig sich Kliniken und Ministerium sind, sich vor der Sitzung nicht zur Sache zu äußern, so wenig einig sind sie sich vermutlich in der Sache selbst. Der Wunsch der Rems-Murr-Kliniken, zu wachsen und weitere Betten genehmigt zu bekommen, widerspricht den Zielen der Landesregierung, die Zahl der Krankenhäuser und mithin auch die Klinikbetten in Baden-Württemberg zu verringern. Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) will kleine Häuser – „Tante-Emma-Krankenhäuser“ – am liebsten schließen und setzt stattdessen auf große, spezialisierte Kliniken, die eine bessere medizinische Versorgung ermöglichen.

Mit Wachstum wollen die Kliniken ihre Defizite in den Griff bekommen

Die Medizinkonzeption der Rems-Murr-Kliniken „Gemeinsam für unsere gesunde Zukunft“, die der Kreistag vor fast einem Jahr verabschiedet hatte, passt durchaus in diese Strategie des Landes. Schließlich hat der Landkreis schon vor Jahren zwei Krankenhäuser geschlossen und 2014 durch eine moderne Klinik ersetzt.

Von den Zahlen der Behandlungen und Patienten betrachtet ist das Klinikum ein Erfolg. Wirtschaftlich eingeschlagen hat der zu teuer geratene Neubau in Winnenden freilich nicht. Wie die Hälfte aller Kliniken in öffentlicher Hand schreiben auch die Rems-Murr-Krankenhäuser rote Zahlen.

Mit Wachstum wollen die Kliniken bis 2024 ihre Defizite in den Griff bekommen. Kein Hehl macht Landrat Richard Sigel aus der Tatsache, dass die Kliniken ein Zuschussgeschäft für den Kreis sind und bleiben werden.

Letztlich geht’s bei den Betten ums Geld.

Vor allem die Pläne für Winnenden, das Klinikum von heute 620 auf 750 Betten zu vergrößern, stoßen in Stuttgart auf keine Begeisterung – und scheinen keine Aussicht auf eine finanzielle Förderung zu haben. In einer ersten Stellungnahme zur Medizinkonzeption im Juni 2017 bezeichnete Sozialminister Manfred Lucha diese Forderung als „zu weitgehend“. Zwei Krankenhäuser zu betreiben und die Klinik in Schorndorf zu sanieren, wird von Lucha befürwortet. Geld vom Land für die Instandhaltungen in Schorndorf sei jedoch keines zu erwarten.

Wie weit Sozialministerium und Rems-Murr-Kliniken in der Vergangenheit auseinanderlagen, zeigt das Hickhack um die wilden Betten im Klinikum Winnenden. Das Land genehmigte und förderte einst 550 Betten. Gebaut wurden 620 in der von der damaligen Sozialministerin Katrin Altpeter genährten Hoffnung, die 70 Betten nachträglich genehmigt zu bekommen.

Mehrfach haben die Kliniken inzwischen einen Antrag auf Genehmigung gestellt und blitzten im Landeskrankenhausausschuss ab. Zuletzt gewährte das Gremium immerhin 20 Planbetten. Letztlich geht’s bei den Betten ums Geld. Beziehungsweise beim Landkreis Rems-Murr ins Geld. Denn die Behandlungen von Patienten, die in wilden Betten liegen, werden nicht voll honoriert und kosten die Kliniken Millionen.

Abgespeckte Medizinkonzeption im Landeskrankenhausausschuss

Am Mittwoch liegen dem Landeskrankenhausausschuss die beiden neuen Anträge der Rems-Murr-Kliniken auf dem Tisch. Von 188 neuen Betten, wie in der Medizinkonzeption vor einem Jahr die Erweiterung in Winnenden geplant war, ist dort keine Rede mehr. Auch nicht von 15 neuen Planbetten für Schorndorf, die in der Medizinkonzeption als erforderlich erachtet wurden. Im Gegenteil soll die Zahl der Planbetten in Schorndorf (aktuell: 273) nun sogar um 29 reduziert werden.

Die Rems-Murr-Kliniken wollen vor der Sitzung keine Stellung nehmen, was hinter ihren Anträgen steckt (siehe auch: „Diplomatie in Reinkultur“). Aber auch das Sozialministerium und die AOK Baden-Württemberg, die drei Vertreter im Ausschuss hat, blocken ab (AOK: „Die Besprechungen des Landeskrankenhausausschusses unterliegen der vollständigen Vertraulichkeit“).

Die Beschlüsse des nichtöffentlich tagenden Landeskrankenausschusses fließen laut Gesetz zur Stärkung der sektorenübergreifenden Zusammenarbeit und der Vernetzung aller Beteiligten des Gesundheitswesens in Baden-Württemberg vom 16. Dezember 2015 in die Krankenhausplanung des Landes ein.


Vor fast einem Jahr hat der Kreistag eine Medizinkonzeption für die Rems-Murr-Kliniken beschlossen. Es handelt sich um einen unternehmerischen Fahrplan für die beiden Krankenhäuser Schorndorf und Winnenden mit dem Ziel, die medizinische Versorgung in den nächsten fünf bis zehn Jahren zu beschreiben und einen wirtschaftlichen Betrieb der defizitären Kliniken zu ermöglichen. Angestrebt wurde, bis 2024 das Defizit auf 5,5 Millionen Euro pro Jahr zu verringern.

Mit der Medizinkonzeption wurde die Zusammenarbeit der beiden Kliniken klar geregelt und wurden medizinische Schwerpunkte fixiert. Die Kosten für die Sanierung der Schorndorfer Klinik und die Erweiterung des Winnender Klinikums belaufen sich nach den ursprünglichen Plänen auf fast 100 Millionen Euro.

Das Klinikum Winnenden sollte von 620 auf 750 Betten vergrößert werden. Das Investitionsvolumen wurde mit 37,5 Millionen Euro beziffert. Für Sanierung und Instandhaltung des Schorndorfer Krankenhauses sollten bis 2024 über 60 Millionen Euro aufgewandt werden.

Das Stuttgarter Sozialministerium hat das Zwei-Standort-Konzept grundsätzlich befürwortet. Allerdings will das Land kein Geld für die Sanierung von Schorndorf ausgeben. Offen ist, wie das Sozialministerium die Erweiterungspläne für Winnenden beurteilt. Vermutlich eher skeptisch, denn in der Vergangenheit scheiterte der Landkreis mehrfach, seine überzähligen Betten im Klinikum nachträglich genehmigen zu lassen.


Die Antwort auf unsere Anfrage, was es mit den beiden Anträgen im Landeskrankenhausausschuss auf sich hat, ist Diplomatie in Reinkultur. Landrat Richard Sigel und Geschäftsführer Marc Nickel baten um Verständnis, dass sie im Hinblick auf die nichtöffentliche Sitzung des Ausschusses keine detaillierten Angaben machen könnten: „Der Beratung und Entscheidung des Landeskrankenhausausschusses und des Sozialministeriums wollen wir ausdrücklich nicht vorgreifen, sondern respektieren dessen Entscheidungshoheit.“

Es sei aber allgemein bekannt, dass im Zuge des Neubaus in Winnenden in der Vergangenheit keine verbindlichen Absprachen mit dem Sozialministerium zum Ausbau der Kapazitäten und einer nachträglichen Genehmigung von Planbetten für den Standort Winnenden getroffen wurden, heißt es weiter. Unter anderem, um diese Versäumnisse aufzuarbeiten, sei von Landrat Dr. Richard Sigel und dem neuen Geschäftsführer Dr. Marc Nickel eine standortübergreifende Medizinkonzeption der Rems-Murr-Kliniken in Auftrag gegeben worden, „die im Dialog mit allen Beteiligten und insbesondere in enger Abstimmung mit dem Sozialministerium entwickelt wurde. Für die kritische, aber stets konstruktive Begleitung des Sozialministeriums auch bei schwierigen Fragen, beispielsweise schnelle und klare Aussagen zum Erhalt des Standorts Schorndorf, sind wir dankbar. Deshalb war und ist die enge und vertrauensvolle Abstimmung mit dem Sozialministerium weiterhin wichtig, gerade auch im Hinblick auf die zukünftige Zahl der Planbetten der Rems-Murr-Kliniken.“

Die vom Kreistag im April 2017 mit großer Mehrheit beschlossene Medizinkonzeption bilde die Grundlage für eine standortübergreifende Zukunftsperspektive der Rems-Murr-Kliniken. Die Weiterentwicklung der beiden Standorte Winnenden und Schorndorf werde laufend mit dem Sozialministerium abgestimmt und ziele auf eine ausgewogene Anpassung der Ressourcen und Kapazitäten an die Bedürfnisse der Kliniken und den Bedarf der Patienten. Wichtig sei dabei auch, „die Überlegungen seitens der Krankenhausplanung des Landes aufzunehmen und zu berücksichtigen“.

Die Rems-Murr-Kliniken verweisen auf die seit drei Jahren steigenden Patientenzahlen. „Um dieser gestiegenen Nachfrage nachzukommen, lag ein Schwerpunkt der Gespräche von Geschäftsführung und Landrat mit dem Sozialministerium darauf, eine Erhöhung der Planbetten zu erreichen.“ Ziel sei es gewesen, mehr als die ursprünglich vom Land bewilligten 550 Planbetten für Winnenden zu erreichen. „Inwieweit das Sozialministerium und der Landeskrankenhausauschuss den Anträgen und Argumenten folgen, erwarten wir mit Spannung.“