Ingolstadt
Stürmische Zeiten

Am 30. September 2016 kommt die Affäre Klinikum ins Rollen Ex-Chef Fastenmeier weiter in U-Haft

29.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:25 Uhr

−Foto: Richter

Ingolstadt (DK) Es ist ein Jahr her, seit ein Erdbeben das Ingolstädter Klinikum erschütterte. Am 30. September 2016 wird öffentlich, dass es Unregelmäßigkeiten bei Auftragsvergaben gegeben haben soll. Es ist der Anfang vom Ende der Ära Fastenmeier - und der Beginn einer Affäre, in die neben dem früheren Geschäftsführer auch Alt-OB Alfred Lehmann und rund ein Dutzend weitere Beschuldigte verstrickt sind.

Ob es zu Anklagen kommen wird, soll sich noch dieses Jahr entscheiden. Im Klinikum kursieren schon Andeutungen, dass im Fall des ehemaligen Geschäftsführers Heribert Fastenmeier im Oktober Anklage erhoben werden soll. Allerdings wird die Angelegenheit durch ein im Zuge der Ermittlungen gegen Fastenmeier in Österreich gestelltes Rechtshilfeersuchen verzögert. Ein solches ist notwendig, wenn zusätzlich Ermittlungen im Ausland erforderlich sind, erklärt Oberstaatsanwalt Wolfram Herrle, Leiter der Staatsanwaltschaft Ingolstadt. Doch die betroffenen, in Österreich ansässigen Zeugen haben Rechtsmittel eingelegt. Dem Vernehmen nach soll es sich um Vertreter einer Firma handeln, die damals ein Infotainment-System geliefert hatten. Offenbar laufen dazu am Klinikum schon intern Untersuchungen. Jetzt muss ein Gericht entscheiden, ob die Männer aus Österreich zu dem Sachverhalt befragt werden können.

Die Zeit drängt. Denn Fastenmeier sitzt seit nunmehr fast einem halben Jahr in Untersuchungshaft. Wegen Verdunkelungs- und Fluchtgefahr, wie es heißt. Seinen 63. Geburtstag am 9. August hat der frühere "Mister Klinikum", der insgesamt 34 Jahre an dem Schwerpunktkrankenhaus tätig war, davon 14 Jahre als Geschäftsführer, hinter Gittern verbringen müssen. Momentan deutet nichts darauf hin, dass Fastenmeier in nächster Zeit freikommt. Zwar gehen die Akten, sobald eine Untersuchungshaft sechs Monate andauert, automatisch zur Überprüfung ans Oberlandesgericht, doch Herrle rechnet nicht damit, dass die U-Haft aufgehoben wird. Den "dringenden Tatverdacht", der für eine so lange Inhaftierung nötig ist, sieht der Oberstaatsanwalt nach wie vor gegeben.

Bei den Vorwürfen in der Affäre Klinikum es geht um eine ganze Reihe von Dingen: Auftragsvergaben zum Nachteil des Klinikums, Vetternwirtschaft, Wohnungsverkäufe an ein Familienmitglied, die Finanzierung eines Studiums und von Reisen durch die Klinikum GmbH, um nur einige zu nennen. Es gibt gut ein Dutzend Beschuldigte, dazu gehört auch der frühere Pressesprecher, der ebenfalls lange in U-Haft saß.

Der prominenteste Beschuldigte - neben Fastenmeier - ist der Ingolstädter Altoberbürgermeister Alfred Lehmann. Im Zuge der Affäre hat er in der Sitzung am 1. Dezember vergangenen Jahres sein Stadtratsmandat niedergelegt. Lehmann scheint mittlerweile zumindest in einem Punkt weitgehend entlastet zu sein. Die Generalstaatsanwaltschaft München, die gegen den Alt-OB in Zusammenhang mit dessen Doppelfunktion als Berater des Headhunters Labbé und Aufsichtsrat der Klinikum GmbH wegen Bestechung oder Bestechlichkeit von Mandatsträgern ermittelte, hat die Akten zurück an die Staatsanwaltschaft Ingolstadt gegeben. Der entsprechende Straftatbestand, für den speziell die Generalstaatsanwaltschaft zuständig ist, ist laut Oberstaatsanwalt Joachim Ettenhofer nicht gegeben. Nun ist es Sache der Staatsanwaltschaft Ingolstadt, neben den weiteren Vorwürfen gegen Lehmann, insbesondere was den Kauf von Wohnungen anbelangt, auch Lehmanns Labbé-Beratertätigkeit auf mögliche weitere verwirklichte Straftatbestände zu überprüfen.

Im Fall Lehmann sind laut Oberstaatsanwalt Herrle - wie bei Fastenmeier - die polizeilichen Ermittlungen abgeschlossen. Eine Entscheidung, ob gegen ihn Anklage erhoben wird, steht aber noch aus. Was Fastenmeier anbelangt, fehlen noch Gutachten und die bereits erwähnte Befragung der österreichischen Zeugen durch die dortigen Kollegen. Eine Prognose, ob beziehungsweise gegen wen es zu Anklagen kommen wird, will Herrle nicht abgeben. Nur eines ist klar: Sollte es zu Anklagen kommen - es gilt hier natürlich die Unschuldsvermutung -, würden die Verfahren Fastenmeier und Lehmann getrennt behandelt.

Doch welche Auswirkungen hat die Affäre auf das Klinikum selbst, das mit 1166 Betten und rund 3000 Mitarbeiten immerhin viertgrößte Akutkrankenhaus Bayerns? Im laufenden Betrieb ist von der Affäre wenig zu spüren. Die Generalsanierung läuft nach Plan, man setzt bewusst auf Normalität. Die Qualität der medizinischen Behandlung stand allerdings auch nie zur Debatte. Mitarbeiter und Patienten bemerken bestenfalls eine höhere Fluktuation an Ärzten und natürlich die wechselnden Geschäftsführer. Nach Fastenmeier, der als Klinikmanager nicht zuletzt aufgrund der Zahlen, die das Krankenhaus schrieb, über viele Jahre einen exzellenten Ruf genoss, und Interimsgeschäftsführer Alexander Zugsbradl, der nach dem Rückzug Fastenmeiers übernahm, kommt im Januar 2018 Monika Röther als neue Geschäftsführerin - in einer Doppelspitze mit dem seit vergangenen Januar tätigen Ärztlichen Direktor und Geschäftsführer Andreas Tiete. Vermutlich hat die Staatsanwaltschaft bis dahin über das weitere Vorgehen in der Affäre Klinikum entschieden.
 

Die Chronologie der Affäre


30. September 2016: Erstmals wird der Vorwurf bekannt, dass es am größten Krankenhaus der Region Unregelmäßigkeiten bei Auftragsvergaben gegeben haben soll. Ins Rollen gebracht wird die Affäre vom Ombudsmann für Compliance des Klinikums, dem ehemaligen Arbeitsrichter Franz Xaver Goldbrunner. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Klinikumschef Heribert Fastenmeier wegen des Verdachts der Untreue. Fastenmeier beteuert seine Unschuld, kündigt an, mit der Staatsanwaltschaft zusammenzuarbeiten.

 

5. Oktober 2016: Fastenmeier wird von seinen Aufgaben als Geschäftsführer des Klinikums entbunden. Der Aufsichtsrat der Krankenhausgesellschaft hat das Vertrauen in ihn verloren. Einen Tag später übernimmt die städtische Beteiligungsmanagerin Andrea Steinherr vorübergehend die Führung.
 

14. Oktober 2016: Alexander Zugsbradl, zuletzt Vorstand der Rottal-Inn-Kliniken, wird Interimsgeschäftsführer am Ingolstädter Klinikum.
 

18. Oktober 2016: Die Kripo durchsucht sieben Objekte in Ingolstadt, Beilngries und Hitzhofen, unter anderem das Privathaus Fastenmeiers.
 

20. Oktober 2016: Jetzt gerät auch Alt-OB Alfred Lehmann in die Kritik. Seine Doppelrolle als Berater des Headhunters Labbé und Klinikum-Aufsichtsrat wird öffentlich. Die Generalstaatsanwaltschaft München nimmt die Ermittlungen auf. Mittlerweile liegt der Fall wieder bei der Staatsanwaltschaft Ingolstadt.

 

21. November 2016: Die Affäre weitet sich aus. Die Staatsanwaltschaft spricht von elf Beschuldigten, Interimschef Zugsbradl beurlaubt zwei Mitarbeiter, den Pressesprecher und die Leiterin der Rechtsabteilung. Letztere wird später wieder eingestellt.

 

1. Dezember 2016: Alt-OB Lehmann legt sein Stadtratsmandat nieder. Nachrücker ist Michael Wenzl, ein Chefarzt des Klinikums.

 

8. Dezember 2016: Bei Razzien in mehreren Objekten werden auch die Privaträume Lehmanns durchsucht. Wegen des Vorwurfs der Bestechlichkeit leitet die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen ihn ein. Es geht um den Verkauf des alten Krankenhauses im Jahre 2012 und den Erwerb einer Wohnung durch Lehmann in der auf dem Areal neu erstellten Wohnanlage.

 

16. Dezember 2016: Die Rathausopposition richtet den Blick jetzt auch auf den amtierenden OB Christian Lösel. Was wusste dieser vor den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft über die Vorgänge am Klinikum und über die Geschäfte seines Ziehvaters und Vorgängers? Die Oppositionsparteien schließen sich im Zuge der Affäre zusammen und erstellen mehrere Fragenkataloge, die im Stadtrat beantwortet werden.

 

2. Januar 2017: Der Herzchirurg Andreas Tiete nimmt als neuer Ärztlicher Direktor und Mit-Geschäftsführer am Klinikum die Arbeit auf.

 

12. Januar: Aufsichtsrat und Zweckverband der Klinikum GmbH entlassen Fastenmeier fristlos.
 

16. März: Razzia bei der Stadttochter IFG. Es geht um den Kauf mehrerer Wohnungen im Neubaugebiet an der ehemaligen Pionierkaserne durch Alfred Lehmann und die Frage: Hat dieser sich dabei Vorteile verschafft? Die Staatsanwaltschaft Ingolstadt hat die Ermittlungen gegen Lehmann dahin gehend ausgeweitet.

 

22. April: Ex-Klinikum-Chef Fastenmeier und sein früherer Pressesprecher treffen sich am Baggersee. Es ist eine folgenschwere Begegnung: Weil der Pressesprecher dabei "in Besitz von für die Beweisführung dem Anschein nach bedeutsamen Unterlagen" gewesen sein soll, kommen beide wegen Verdunkelungsgefahr in Untersuchungshaft. Gegen den Ex-Pressemann wird die U-Haft im Juli gegen Auflagen außer Kraft gesetzt, Fastenmeier sitzt noch immer.

 

24. Juli: Interimsgeschäftsführer Zugsbradl stellt Strafanzeige gegen SPD-Stadtrat Robert Bechstädt und den früheren Klinikum-Pressesprecher. In einem umstrittenen Beitrag in einem sozialen Netzwerk hatte Zugsbradl den Strafantrag "gegen Jimmy und Joschi" angekündigt. Hintergrund soll ein anonymes Schreiben sein, in dem es hieß, dass Zugsbradl seinen Job wegen verwandtschaftlicher Beziehungen zwischen der Familie seiner Frau und der von OB Lösels Frau Carolin bekommen habe. Lösel und Zugsbradl weisen das entschieden zurück: Es gebe keinerlei verwandtschaftliche Beziehung. Wer Verfasser des Schreibens war, ist bislang nicht geklärt. Doch die Aktion Zugsbradls nimmt schnell politisch Fahrt auf. Die Opposition fordert die Entlassung des Interimschefs. Zu diesem Zeitpunkt ist schon klar, dass dieser das Haus zum Jahresende verlassen wird. Er war im Bewerbungsverfahren nicht zum Zug gekommen.

 

26. Juli: Aufsichtsrat und Krankenhauszweckverband wählen einen neuen Geschäftsführer fürs Klinikum: die 50-jährige Volkswirtin und Klinikmanagerin Monika Röther. Sie soll die Klinik ab Januar 2018 in einer Doppelspitze mit dem Ärztlichen Direktor und Geschäftsführer Tiete in ruhigeres Fahrwasser führen. | rl