Gesundheitsökonom Boris Augurzky „Strukturen im Saarland nicht zu halten“

Saarbrücken · Warum der Gesundheitsökonom Boris Augurzky zu einer Neuordnung der Krankenhauslandschaft rät.

 Bei planbaren Operationen empfiehlt Boris Augurzky den Patienten, in größere Kliniken zu gehen – auch wenn sie weiter entfernt sind.

Bei planbaren Operationen empfiehlt Boris Augurzky den Patienten, in größere Kliniken zu gehen – auch wenn sie weiter entfernt sind.

Foto: dpa/Uwe Anspach

Für die gesetzlichen Krankenkassen hat Professor Boris Augurzky „Besonderheiten, Herausforderungen und Potenziale“ der saarländischen Krankenhauslandschaft untersucht. Der Leiter des Kompetenzbereichs Gesundheit am RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen ist ein bundesweit gefragter Krankenhaus-Fachmann. Am Montag kommt er ins Saarland.

Sie haben sich die saarländische Krankenhauslandschaft angesehen. Welche Besonderheiten sind Ihnen dabei aufgefallen?

AUGURZKY Die Versorgungslage aus Sicht des Bürgers ist ziemlich gut, auch im bundesweiten Vergleich. Es gibt relativ viele Krankenhäuser, die Erreichbarkeit ist gut. Wir haben auch gesehen, dass man sich bei der Ausbildung stark engagiert. Bei der Qualität und der Patientenzufriedenheit ist das Saarland nicht auffällig, manchmal sogar überdurchschnittlich. Und was die Zahl der Pflegekräfte pro Patient angeht, ist das Saarland im bundesweiten Vergleich einer der Vorreiter.

Welche Mängel haben Sie entdeckt?

AUGURZKY Der Bevölkerungsrückgang ist eine Herausforderung, weil die Patientenzahlen nicht groß wachsen, vielleicht sogar stagnieren. Wenn auf der einen Seite die Löhne steigen, auf der anderen Seite aber nicht so viele zusätzliche Erlöse erwirtschaftet werden können, wird es eng. Es gibt im Saarland viele Standorte, die sich Konkurrenz machen und am Ende unwirtschaftliche Strukturen hervorbringen, die in den nächsten zehn Jahren nicht zu halten sein werden. Wenn man sich außerdem das Leistungsspektrum anschaut, fällt auf, dass im Saarland einige Fälle künftig wohl eher ambulant erledigt werden könnten. Diese bestehenden Krankenhausstrukturen im Saarland sind schon bald nicht mehr zu finanzieren.

Was bedeutet das für die Zahl der Krankenhäuser? Sind es zu viele?

AUGURZKY Ich muss es leider so sagen: Es gibt zu viele Krankenhausstandorte. Der Punkt ist: Kleine Krankenhäuser, die eine breite Grundversorgung anbieten, also Basisleistungen in der Chirurgie oder in der Inneren Medizin, schneiden wirtschaftlich schlecht ab.

Im Saarland gibt es relativ viele kleine Krankenhäuser. Warum haben sie diese Probleme?

AUGURZKY Jedes Krankenhaus muss bestimmte Leistungen vorhalten, egal ob etwas passiert oder nicht. Kleine Krankenhäuser haben eher auch kleinere Stationen, sie müssen aber zum Beispiel nachts immer jemanden da haben. In der Geburtshilfe muss der Kreißsaal mit Ärzten und Hebammen besetzt sein, auch wenn keine Geburt stattfindet. Denn es könnte ja jederzeit eine kommen. Diese Vorhalteleistungen kosten Geld, den Krankenhäusern werden aber nur die tatsächlich erbrachten Fälle bezahlt. Je kleiner das Krankenhaus, desto größer ist der Anteil dieser Vorhaltekosten.

Dann müssen sich die kleinen Häuser eben stärker spezialisieren.

AUGURZKY Das ist unsere Empfehlung. Bundesweit sehen wir ganz deutlich: Spezialisierte Krankenhäuser schneiden wirtschaftlich und bei der Patientenzufriedenheit deutlich besser ab als die weniger spezialisierten. Der Punkt ist nur: Wenn jetzt ein 100-Betten-Haus in der Nähe von beispielsweise Saarbrücken oder Homburg, das bisher die Grundversorgung anbietet, sich spezialisieren will, zum Beispiel auf Orthopädie oder Neurologie, muss es im Krankenhausplan die Genehmigung dafür bekommen. Es muss begründet werden, warum diese Leistung in Saarbrücken oder Homburg nicht ausreichend angeboten wird. Man kann als Krankenhaus nicht einfach sagen: Ich werde jetzt Spezialist. Da reden auch Externe mit.

Konkret: Auf wie viele der 22 Krankenhäuser mit 26 Standorten sollte das Saarland verzichten?

AUGURZKY Sachsen hat eine recht gute Krankenhausstruktur mit weniger Standorten, insbesondere weniger kleinen Häusern, die wirtschaftlich alle top sind, da macht kaum einer Verluste. Dort ist trotzdem auch die Erreichbarkeit gut. Um auf die Krankenhausdichte von Sachsen zu kommen, die etwa 20 Prozent unter der des Saarlands liegt, müsste man im Saarland fünf Standorte schließen.

Gerade im ländlichen Raum wie im Hochwald ist die Sorge groß, dass die medizinische Versorgung dann gefährdet ist. Können Sie diese Sorge verstehen?

AUGURZKY Die Sorge ist klar: Als Bürger habe ich heute mein Krankenhaus in Wadern. Wenn das schließt, wird die Versorgung im ersten Schritt schlechter. Man darf aber nicht nur die Erreichbarkeit im Blick haben. Es spielen zwei weitere Faktoren eine Rolle. Das eine ist die Wirtschaftlichkeit …

… die den betroffenen Bürger aber nicht sonderlich interessieren wird, weil er für die Defizite – außer bei kommunalen Häusern – ja nicht bezahlen muss.

AUGURZKY Was den Bürger aber schon beeindrucken sollte, ist die Qualität. Die kleinen defizitären Häuser bekommen Stellen nicht immer besetzt, da will oft kein Arzt mehr hin. Dann kann es mit der Qualität am Ende nichts werden, wenn ich keine guten Leute finde. Spätestens dann würde ich den Bürgern empfehlen, ein größeres Krankenhaus aufzusuchen, das weiter weg ist. Wir sehen in Analysen oft, dass die Qualität in Krankenhäusern, die Leistungen öfter erbringen, besser ist. Ich würde jedem raten, bei planbaren Eingriffen darauf zu achten, wie häufig ein Krankenhaus solche Eingriffe macht.

In solchen Fällen wird der Patient sicher auch einen Anfahrtsweg von 30 Minuten oder mehr in Kauf nehmen. Aber was ist bei schwierigen Notfällen, die schnell behandelt werden müssen?

AUGURZKY Da fährt der Rettungsdienst schon heute meist an den kleineren Häusern vorbei. Welche Notfälle gehen heute in solche Krankenhäuser? Das sind oft ambulante Fälle, wenn sich jemand zum Beispiel den Arm gebrochen hat. Die können aber auch in ambulanten Einrichtungen versorgt werden. Der Schlaganfall oder Herzinfarkt sollte stattdessen in einem dafür ausgestatten Krankenhaus behandelt werden, nicht unbedingt im nächstgelegenen.

 Boris Augurzky,  Gesundheitsökonom am RWI-Leibniz- Institut für Wirtschaftsforschung in Essen

Boris Augurzky, Gesundheitsökonom am RWI-Leibniz- Institut für Wirtschaftsforschung in Essen

Foto: Augurzky

Am Montag, 9. Oktober, spricht Boris Augurzky um 17 Uhr auf Einladung der Gesundheitsregion Saar in der Kassen­ärztlichen Vereinigung (Europaallee 7-9, Saarbrücken). Anschließend diskutieren Spitzenvertreter des Gesundheitswesens über Augurzkys Thesen.

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