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Thomas Reumann

»Sektoren spielen keine Rolle mehr«

18.10.2017  11:05 Uhr

Von Jennifer Evans, Berlin / Die Erlöse der Krankenhäuser decken nicht deren Kosten. Thomas Reumann, Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), hat viele Ideen, wo die neue Regierung nachbessern könnte. Fest steht: Die Krankenhaus­landschaft wird sich stark verändern. Und auch bei Reumann steht eine Veränderung an. Ende des Jahres legt er sein Amt als Präsident nieder.

PZ: Sind Sie selbst ein guter Patient im Krankenhaus?

Reumann: Ich weiß es nicht. Das letzte Mal lag ich als Kind im Krankenhaus und war seitdem nur ab und an mal mit den Kindern im Krankenhaus. Ich erinnere mich nur daran, dass ich großes Vertrauen zu Ärzten und Pflegekräften hatte.

 

PZ: Damit auch andere Patienten Ihr Vertrauen teilen: Worum sollte sich die neue Regierung bemühen, um die Krankenhauslandschaft zu verbessern?

 

Reumann: Mit dem Krankenhausstrukturgesetz hat die Bundesregierung 2015 nach einer langen Zeit des Streichens, Kürzens und Schiebens den Krankenhäusern endlich wieder eine Perspektive gegeben. Dazu gehören beispielsweise der Pflegezuschlag und die Tarifausgleichsrate. Allerdings hat sich die finanzielle Situation in den Jahren 2016 und 2017 nicht verbessert. Kosten und Erlöse kommen nicht zusammen. Deutliche Personalkostensteigerungen ohne ausreichende Gegenfinanzierung, unzureichende Investitionsmittelbereitstellung durch die Länder und hohe Defizite in den Notfallambulanzen. Das sind die zentralen Problempunkte.

 

PZ: Daraus leiten Sie sicher Ihre Forderungen für die neue Legislaturperiode ab?

 

Reumann: Ja. Wir brauchen vor allem ausreichend und gut qualifiziertes Personal. Und wir müssen junge Menschen wieder für die Arbeit in Krankenhäusern begeistern. Das heißt, dass eine angemessene und faire Finanzierung der Tätigkeiten sichergestellt sein muss. Eine absolut unbefriedigende Situation ist es, dass die Investitionsfinanzierung noch immer nicht gelöst ist, obwohl klar ist, dass 6,5 Milliarden Euro für die Modernisierung der Krankenhäuser benötigt werden, die Länder aber nur 3,8 Millionen geben. Nicht zuletzt müssen Misstrauenskultur, übermäßige Kontrollen und überbordende Bürokratie ein Ende habe­n.

 

PZ: Was halten Sie vom Vorschlag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Kliniken künftig eher in Versorgungszentren umzuwandeln?

 

Reumann: Ich finde es nicht sinnvoll, eine Diskussion darüber zu führen, wie viele Krankenhäuser oder Betten wir brauchen. Ich würde die Debatte gern am Versorgungsbedarf der Patienten orientieren. Deutschland ist nach Japan die zweitälteste Gesellschaft der Welt. Das hat Auswirkungen, weil die Krankheiten komplexer werden. Mehrfach­erkrankungen werden zunehmen und sich in unterschiedlichen medizinischen Umfeldern abspielen, wie etwa in Kliniken, Notfallaufnahmen, Reha-Zentren und Pflegeheimen. Der steigende Versorgungsbedarf wird sich in den unterschiedlichen Regionen Deutschlands aber unterschiedlich entwickeln. Wir müssen daher sicherstellen, dass stationäre und ambulante Versorgung in Netzwerken enger zusammenrücken. Das umfasst auch die Versorgung durch die Apotheken. Ich bin überzeugt, dass die unterschiedlichen Sektoren in Zukunft keine Rolle mehr spielen werden. Deshalb brauchen wir eine integrierte Versorgungsplanung in der Zuständigkeit der Länder.

 

PZ: Wie soll das gelingen?

 

Reumann: Es geht nicht darum, dass wir den Status quo verteidigen, sondern die Versorgung am zukünftigen Bedarf der Patienten orientieren. Wie der Versorgungsbedarf sich in den einzelnen Regionen konkret darstellt, wollen wir in Regionalkonferenzen unter Federführung der Länder klären. Außerdem brauchen wir einen Demografie-Faktor in der Krankenhausplanung. Dadurch wird sich die Kliniklandschaft verändern: Einige Häuser werden kleiner, andere größer, die Angebote werden sich an den Bedarf anpassen.

 

PZ: Diskutiert wird auch, ob im ambulanten Notfall an der Krankenhauspforte nicht-medizinische Kräfte wie Pfleger oder Arzthelfer die Patientensteuerung übernehmen sollen?

 

Reumann: Es gibt einen klaren Sicherstellungsauftrag der KBV, die diesen ohne die Krankenhäuser flächendeckend aber nicht erfüllen könnte. Wir fangen die Patienten ja nicht mit dem Lasso ein, wie es uns oft vorgeworfen wird. Etwa ein Drittel der 11 Millionen Patienten, die jährlich in die ambulante Notfallversorgung der Krankenhäuser kommen, könnten vom Hausarzt behandelt werden, wenn ausreichende Bereitschaftsdienste der niedergelassenen Ärzte dann auch tatsächlich zur Verfügung stehen würden. Ja, wir brauchen auch in Deutschland eine funktionierende Patientenversorgung in Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Ärzten. Diese muss aber 24 Stunden an 7 Tagen zur Verfügung stehen. Die Erfahrungen zeigen zudem, dass eine Patientensteuerung durch nicht-medizinische Kräfte an Grenzen stößt und die Krankenhäuser im Ergebnis doch zu Ausfallbürgen werden. Die abschließende Beurteilung medizinischer Notfälle muss ein Arzt vornehmen.

 

PZ: Die Kassen weisen in ihrer Halbjahresbilanz 2017 Milliarden Euro an Reserven auf. Was bedeutet das für die Ausgaben der Krankenhäuser?

 

Reumann: Uns wird immer wieder vorgeworfen, zu viele Kosten zu verursachen. Die Bilanz der Gesetzlichen Krankenversicherung widerspricht dieser Annahme. Mit 2,5 Prozent liegt der Ausgabenanstieg im stationären Bereich deutlich unter den durchschnittlichen Leistungsausgaben im GKV-System von 3,7 Prozent. Man darf also überlegen, ob es sinnvoll ist, Patienten die Gelder vorzuenthalten, die die Kassen in den Rücklagen horten. Wer Dokumentation, Wirtschaftlichkeit, bessere Hygiene und Patientensicherheit fordert, der muss auch die Finanzierung dafür sicherstellen.

 

PZ: Sollte es künftig mehr Krankenhausapotheker geben?

 

Reumann: Die Apotheker haben in Krankenhäusern eine sehr wichtige und unverzichtbare Rolle als Partner in puncto Patientensicherheit und Arzneimitteltherapiesicherheit. Entscheidend ist jedoch nicht, wie viele Apotheker es sind, sondern wie man durch entsprechende Zusammenarbeit, Qualifikation und Schulungen die Versorgungsqualität verbessert. Arzt, Apotheker und Pflegekraft müssen in einer Klinik durchgehend kollegial und fachlich zusammenarbeiten.

 

PZ: Im Oktober ist das Entlassmanagement gestartet, das Kliniken verpflichtet, für Patienten eine lückenlose ambulante Anschlussversorgung zu organisieren. Wo, denken Sie, hakt es in den ersten Wochen?

 

Reumann: Das Entlassmanagement ist in der Versorgungskette eine ganz wichtige Säule. Doch wir laufen Gefahr, dass es ein Bürokratiemonster wird. Ein Prozess, den wir weiterentwickeln müssen, damit er uns nicht auffrisst. Problematisch ist etwa, dass wir zunächst die Einwilligung der Patienten brauchen, um am Ende des stationären Aufenthalts Informationen zu ihrem Gesundheitszustand und zur Medi­kation an den weiterbehandelnden Arzt geben zu dürfen. Wie wichtig die Datenfreigabe ist, müssen Betroffene erst verstehen.

 

PZ: Die Gesundheitskompetenz der Patienten zu stärken ist ohnehin eines Ihrer großen Anliegen.

 

Reumann: Ja, wir brauchen mündige und informierte Patienten, damit sie eine Entscheidung treffen können. Zugegebenermaßen müssen wir auch selbstkritisch sein: Die Krankenhaus­ berichte sind zwar ausführlich und enthalten viele Daten, aber sie sind nicht patientenorientiert verfasst. Wir müssen daran arbeiten, dass die Inhalte verständlicher, klarer und damit transparenter werden.

 

PZ: Sie legen Ende des Jahres Ihr Amt als DKG-Präsident nieder. Was geben Sie Ihrem Nachfolger mit?

 

Reumann: Ich werde mich hüten, Ratschläge zu erteilen. Wir sind bundesweit ein tolles Team. Das umfasst die DKG-Geschäftsstelle mit ihrer Fachkompetenz, die Landeskrankenhausgesellschaften, die Spitzenverbände und die Kliniken selbst. Wir haben die Politik einbinden und unsere Anliegen anschaulich demonstrieren können. Mit meiner Position als Landrat im Landkreis Reutlingen kann ich aber zeitlich nicht die erforderlichen Kapazitäten einbringen, um den kommenden He­rausforderungen als DKG-Präsident gerecht zu werden.

 

PZ: Beginnt Ihr Tag immer noch im Pferdestall?

 

Reumann: Ja, es ist nach wie vor meine Aufgabe, jeden Morgen um sechs Uhr eine Stunde lang den Stall auszumisten. Meine Frau bietet Reittherapien für Kinder schwerkranker und verstorbener Eltern an. Die Arbeit im Pferdestall ist mein Ausgleich und macht wunderbar den Kopf frei. Ich bin wohl der einzige Landrat, der zugibt, sich täglich mit viel Mist zu beschäftigen. /

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