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Interview zur Zukunft der Kliniken im Kreis Hersfeld-Rotenburg

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Der Ärztliche Direktor Dr. Tobias Hermann (links) und Klinikums-Geschäftsführer Martin Ködding.
Der Ärztliche Direktor Dr. Tobias Hermann (links) und Klinikums-Geschäftsführer Martin Ködding. © Struthoff/Archiv

Hersfeld-Rotenburg. Die geplante Umstrukturierung des Klinikums und die Verlagerung der Orthopädie und der Psychiatrie aus Bad Hersfeld ans HKZ in Rotenburg haben heftige Proteste ausgelöst.

Darüber sprachen wir mit Klinikums-Geschäftsführer Martin Ködding und dem Ärztlichen Direktor Dr. Tobias Hermann.

Herr Ködding, statt Beifall für die 70-Millionen-Euro-Investition in die Kliniklandschaft des Kreises zu erhalten, haben Sie einen Proteststurm ausgelöst, weil die Orthopädische Klinik und die Psychiatrie ans HKZ verlagert werden sollen. Haben Sie mit einer solchen Reaktion gerechnet?

Martin Ködding: Uns war klar, dass die strategische Neuausrichtung Diskussionen auslöst. Aber ich hätte mir gewünscht, dass der eine oder andere Kritiker sich zunächst einmal sachkundig gemacht hätte. Es geht ja nicht nur um die Verlagerung der Psychiatrie und der Orthopädie, sondern um ein Gesamtkonzept, das die Klinik-Standorte Bad Hersfeld und Rotenburg gleichermaßen zukunftsfähig machen soll. Das ist aber nur im schlüssigen Zusammenspiel der Maßnahmen zu realisieren.

Was offenbar viele nicht richtig verstanden haben, ist, dass die Ambulanzen in Bad Hersfeld bleiben sollen. Muss ein Patient, der nach einem Sportunfall Schmerzen im Knie hat, künftig nach Rotenburg fahren?

Dr. Tobias Hermann: Nein, er geht wie bisher hier in Bad Hersfeld in die Unfallambulanz oder zum niedergelassenen Orthopäden. Da ändert sich nichts, denn eine Notfallversorgung findet auch jetzt nicht in der Orthopädie statt, die auf geplante Eingriffe an Knie und Hüfte spezialisiert ist.

Das heißt, die Entscheidung, die Kliniken ans HKZ zu verlegen, betrifft die meisten Patienten gar nicht?

Ködding: Bei der Orthopädie reden wir von 1500 Patienten im Jahr, von denen etwa 15 Prozent aus dem süddeutschen Raum kommen. Alle anderen müssten bei einem stationären Aufenthalt nach Rotenburg fahren, wobei ja auch jetzt schon viele Patienten aus Rotenburg nach Bad Hersfeld fahren. Die 25 Kilometer mehr bei einem stationären Aufenthalt von etwa 1200 Patienten im Jahr sollten nicht das Problem sein. Ich glaube, es ist eher ein emotionales Thema.

Die heftigste Kritik kommt zurzeit aus der Bad Hersfelder Stadtpolitik. Man befürchtet Einnahmeverluste, und man fürchtet um den Titel „Bad“?

Ködding: Der Titel Kurbad hat mit Akutkliniken nichts zu tun. Es geht dabei nur um Reha-Kliniken. Deshalb haben wir ja damals auch die Klinik am Hainberg und auch die Vitalisklinik vor der Insolvenz gerettet. Es gibt auch keine Gewerbesteuerverluste, denn die Orthopädie ist eine gemeinnützige GmbH, die gar keine Gewerbesteuer zahlt. Und eine Akutklinik zahlt auch keine Kurtaxe. Auch der Kurpark wird unter einer Verlegung nicht leiden, denn Akutpatienten spazieren gemeinhin nicht durch den Park. Der Titel „Bad“ hängt also nicht an der Orthopädie, sondern an einer Quelle, einem Badearzt, einem Kurbetrieb und sogar Kurkonzerten.

Was spricht also für die Verlegung nach Rotenburg?

Dr. Hermann: Eine isolierte Orthopädie mit etwa 40 Betten ist bei der Notfallversorgung stationärer Patienten, Konsilen, Bildgebung wie MRTs und CTs nur schwer aufrechtzuerhalten. Hinzu kommt, dass wir alle älter werden, die Patienten also auch kränklicher werden und Begleiterkrankungen haben. Deshalb brauchen wir die flankierende Intensivmedizin, auch wenn sie vielleicht nicht jeder Patient benötigt. Das heißt, man müsste für eine kleine Klinik eine eigene Intensivstation bauen, was weder personell noch finanziell zu realisieren ist. Unser Ziel ist es, jetzt Entscheidungen für die nächsten zehn bis 20 Jahre zu treffen. Noch funktioniert der Standort am Kurpark, aber das geht nicht auf Dauer.

Ködding: Außerdem wird all das irgendwann auch betriebswirtschaftlich schwierig. Was ist mit der Zeit nach Chefarzt Dr. Härer, der jetzt sehr viele Patienten auch aus Süddeutschland nach Bad Hersfeld zieht? Wird ein möglicher Nachfolger auch mit einer isolierten Struktur wie am Kurpark arbeiten wollen? Hinzu kommt, dass momentan der Mietpreis annehmbar ist. Wenn der mal steigen sollte, wir dann aber alle anderen Klinik-Strukturen in Beton gegossen haben, dann fehlt uns die Alternative. Jetzt aber bekommen wir sogar vom Land noch Geld dazu, wenn wir die Klinik verlagern. In ein paar Jahren wäre das vermutlich nicht der Fall. Und dann würde uns zurecht vorgeworfen, warum wir das damals nicht bedacht haben.

Warum aber Rotenburg, warum nicht ans Klinikum?

Ködding: Heinz Meise hat die Rodenberg-Klinik einst für ausländische Selbstzahler gebaut, sie hat ein exklusives Ambiente. Die Orthopädie bliebe dort in einem eigenen Gebäude, wäre aber direkt an das HKZ durch eine Brücke mit allen wichtigen medizinischen Einrichtungen verbunden. Es gibt Grünanlagen, einen Minigolfplatz, Reha-Einrichtungen und einen Speisesaal. Die Voraussetzungen dort sind ideal.

Ein wenig anders scheint die Lage bei der Psychiatrie zu sein, denn in Bad Hersfeld sind viele Wohngruppen und Hilfsvereine ansässig. Haben Sie für deren Bedenken Verständnis?

Ködding: Ja, aber die Vorteile eines Umzugs überwiegen eindeutig. In der Psychiatrie reden wir im stationären Bereich über etwa 1000 Patienten im Jahr – von denen kommen jetzt schon etwa ein Drittel aus dem Rotenburger Teil und zwei Drittel aus Hersfeld. Unsere derzeitige Psychiatrie hat nur zwei Ebenen, sodass wir nur zwischen „offen“ und „geschlossen“ differenzieren können. Eine weitere Binnendifferenzierung nach Krankheitsbildern ist räumlich nicht möglich. So kann es passieren, dass ein Suchtkranker neben einem Dementen liegt – und dabei haben beide medizinisch ganz andere Ansprüche.

Dr. Hermann: Wenn wir die Psychiatrie weiterentwickeln wollen, brauchen wir Raum, für neue Angebote und Konzepte. Das ist in Bad Hersfeld nicht möglich, hier ist alles zu beengt, was auch die Mitarbeiter beklagen. Die Belastung ist dadurch sehr hoch, das Aggressionspotienzial steigt dadurch. Auch der Außenbereich gestattet keine Aktivitäten auf jetzt minimalem Platzangebot. Die Patienten sind oft über mehrere Wochen bei uns, da müssen sie die Möglichkeit haben, auch draußen zu sein. In Rotenburg ist das möglich. Wenn wir als Klinikum im Bereich der Psychiatrie wettbewerbsfähig sein wollen, dann müssen wir anfangen, Psychiatrie neu zu denken. Insofern sichert der Umzug auch Arbeitsplätze in diesem Bereich.

Ein wenig untergegangen ist die bevorstehende und so lange geforderte Sanierung des Bettenhauses Mitte. Was ist da geplant?

Ködding: Ursprünglich sollte das Bettenhaus Mitte abgerissen und dann neu gebaut werden. Im Moment liegen dort aber noch 140 Patienten in Dreibett-Zimmern ohne Dusche und WC. Für die brauchen wir Ausweichräume, außerdem müssten wir aufwendig Versorgungsleitungen und Verbindungen zwischen dem neuen Bettenhaus und dem Restklinikum herstellen, denn dort ist die Küche, und auch die Neugeborenenstation braucht beispielsweise die Anbindung an den Kreißsaal.

Und nun?

Ködding: Jetzt haben wir das HKZ und können dort die Psychiatrie noch dazu viel besser unterbringen. In der bisherigen Psychiatrie können dann 70 Patienten aus dem Bettenhaus Mitte liegen, während wir dort ein Gebäude vorbauen. Wenn das fertig ist, wird das alte Gebäude saniert. Während der Bauarbeiten bleiben die Verbindungen zwischen den Häusern bestehen. Außerdem geht alles deutlich schneller. In 2018 soll deshalb die Psychiatrie nach Rotenburg ziehen, dann können die Arbeiten in Bad Hersfeld beginnen, die hoffentlich Mitte 2020 abgeschlossen sind. Erst danach würde dann die Orthopädie nach Rotenburg verlagert.

Wenn man Ihnen so zuhört, dann klingt das für einen medizinischen Laien sehr schlüssig und wohl durchdacht. Wie kommt es dann aber, dass es Ihnen offenbar nicht gelingt, Ihre eigenen Kollegen, die ja Fachleute sind und die Argumente nachvollziehen können, zu überzeugen. Haben Sie ein Kommunikationsproblem?

Ködding: Veränderung macht immer Angst, deshalb versucht man am Bewährten festzuhalten. Deshalb werden Argumente wie der Fahraufwand und die Entfernung genutzt, um notwendige Veränderungen abzuwehren. Wir befinden uns im Moment in einer sachlichen Diskussion – übrigens auch mit den unterschiedlichen politischen Parteien. Wir haben auch mit mehreren Gruppen die Anlagen in Rotenburg besichtigt. Wir merken, dass danach viele sehr aufgeschlossen sind, und das Projekt auch unterstützen.

Sie gehen also davon aus, dass Sie die Kritiker von Ihren Plänen überzeugen können. Oder sind Sie auch zu Abstrichen bereit?

Ködding: Abstriche erwarte ich eigentlich nicht. Die Pläne stehen und sind auch mit Wiesbaden und den dortigen Geldgebern abgestimmt. Wir sind davon überzeugt, dass wir die Skeptiker mit unseren Argumenten überzeugen können. Diejenigen aber, die wir vielleicht nicht überzeugen können, die müssen dann auch mit der Situation leben.

Dr. Hermann: Die ganze Umstrukturierung ist wie eine Art Domino-System. Wir müssen jetzt Entscheidungen treffen, die erst in 20 Jahren Wirkung haben. Wir müssen jetzt für den ganzen Kreis und das ganze Klinikum denken und entscheiden. Ich verstehe die Bedenken, aber jetzt haben wir die optimalen Bedingungen mit den geringsten Risiken. Natürlich wäre es für alle bequemer, jetzt abzuwarten. Aber dann können wir irgendwann nur noch reagieren, und das ist schlecht. Deshalb agieren wir lieber jetzt und nutzen diese einmalige Chance, bevor es dafür zu spät ist.

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