Gesundheitswesen
Eine Diagnose, viele Therapien

Ein Podium zeigt: Niemand weiss genau, wie im Gesundheitswesen gespart werden könnte.

Mathias Küng
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Die Kosten für das Gesundheitswesen dürfen nicht weiter derart ansteigen wie in den letzten Jahrzehnten. Darin waren sich die Teilnehmer eines von der FDP Bezirk Brugg organisierten Podiums schnell einig. Peter Grünenfelder, früherer Aargauer Staatsschreiber und heutiger Direktor des bürgerlichen Think Tanks «Avenir Suisse», brachte es so auf den Punkt: «Von 1990 bis 2015 wuchs die Bevölkerung um über 20, das Bruttosozialprodukt um über 40, die öffentlichen Ausgaben für das Gesundheitswesen um über 80 Prozent. Das ist auf die Dauer nicht finanzierbar.» Niemand widersprach. Einig war man sich auch, dass die Medizin enorme Fortschritte macht, dass die erfreulich steigende Lebenserwartung auch einen Preis hat, dass wir eine hervorragende Gesundheitsversorgung haben.

Doch was ist zu tun, um den Kostenanstieg in den Griff zu bekommen? Da gehen die Therapievorschläge weit auseinander. Grünenfelder konstatierte nüchtern, die neue Spitalfinanzierung habe keine signifikante Strukturbereinigung gebracht. Es gebe grosse Wettbewerbsverzerrungen. Kantone wie Genf zahlen enorme Subventionen, der Aargau nicht. Grünenfelder fordert, grossräumiger zu denken. Statt viele kantonale könnte man nach wissenschaftlichen Kriterien definierte nationale Spitalliste erstellen. Eine echte freie Spitalwahl sei nötig. Er dürfe solche Vorschläge machen, meinte Grünenfelder. Er müsse ja auch nicht gewählt werden . . .

Stephan Campi, Generalsekretär des Departements Gesundheit und Soziales, stimmte zu, dass es grosse Wettbewerbsverzerrungen gebe: «Wir brauchen mehr Markt.» Im Aargau sei man recht liberal. Aber: «Wenn wir allein so handeln, geht unser Gesundheitsraum zwischen den Grossräumen Basel, Bern und Zürich unter. Wenn andere den Markt nicht öffnen, müssen wir vorsichtig sein.»

Öffnen müsse man beim Krankenversicherungsgesetz (KVG), denn die Kantone könnten hier sehr wenig ändern. Und man könne die Frage stellen, ob die Schweiz beispielsweise so viele Schlaganfallzentren brauche. Falls es weniger brauche: Welche soll man schliessen?

Rhiner: Mauern werden höher

Robert Rhiner, der CEO des Kantonsspitals Aarau (KSA), das seinen enormen Erneuerungsbedarf exakt nach Gesetzeslage selbst stemmen muss (siehe Artikel oben), unterstützte diese Aussage. Der Nachbar Solothurn habe in Olten und in Solothurn schöne neue Spitäler hingestellt. Was diese dem Kanton dafür zahlen müssen, wisse er nicht, sagte Rhiner. Personal gehe an besser zahlende Zürcher und Solothurner Spitäler verloren. Zum Thema überkantonale Zusammenarbeit meinte er bedauernd, das schaffe man nicht mal im eigenen Kanton. Und zwischen den Kantonen würden die Mauern sogar noch höher. Etwa wenn Zürich Aufenthalte in Bad Zurzach nicht mehr zahlen wolle.

Aargau exportiert Patienten

Ob denn die Krankenversicherer keinen Einfluss auf die Leistungskataloge nehmen würden, wurde Verena Nold, Direktorin des Krankenkassenverbandes Santésuisse, gefragt: «Das würden wir gern, können wir aber nicht», kam es prompt zurück. Zur Frage von Diskussionsleiterin und Grossrätin Martina Sigg, ob es für stationär und ambulant erbrachte Leistungen nicht eine einheitliche Finanzierung brauche, meinte Nold, eigentlich müssten alle erbrachten Leistungen von den Kantonen mitfinanziert werden.

Sie wünscht sich ein einfacheres System, und stellt aufgrund einer Erhebung fest, dass der Aargau punkto Behandlungen ein «Exportkanton» sei. Nur schon aufgrund seiner Geografie liessen sich viele aus dem Ostaargau in Zürich, aus dem Fricktal in Basel und aus dem südlichen Kantonsteil in Luzern behandeln.

Offerten für eine Operation?

Noch zu führen sei die Debatte über die an diesem Abend verschiedentlich angemahnte medizinische Überversorgung der Schweiz, hiess es. Um konkrete Beispiele waren die Podiumsteilnehmer nicht verlegen. Pro Person habe die Schweiz mehr Computertomografen als andere Länder. Die müssten genutzt werden, was koste. In der Schweiz gebe es auch am meisten Knieoperationen.

Aber niemand wusste, wie man gegensteuern soll. Mehr Eigenverantwortung der Patienten? Jemand schlug vor, vor einer Operation Offerten einzuholen. Worauf die Entgegnung folgte, die Ärzte, die noch Zeit hätten, Offerten zu schreiben, wolle er sehen. Die seien ohnehin schon mit viel zu viel Administration belastet.

Einig war man sich dann wieder darin, dass medizinische Behandlungen aus Patientensicht in der Schweiz aufgrund unseres Systems vermeintlich fast gratis sind. «Aber», so Verena Nold, «die Rechnung kommt dann doch noch. Jeweils im Oktober mit der höheren Prämie.»