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Das Geräusch der Trillerpfeifen schrillt in den Ohren – in Tübingen demonstrieren Krankenpfleger gegen den aus ihrer Sicht bestehenden Personalmangel auf ihren Stationen. „Mehr von uns ist besser für alle“, skandieren sie bei der Kundgebung in der Tübinger Altstadt und fordern eine Entlastung durch mehr Personal. Nach der kurzfristigen Absage von Warnstreiks, gegen die die Uniklinik juristisch vorgegangen war, demonstrierten nach Polizeiangaben rund 100 Pflegekräfte trotzdem.

„Ich fühle mich zerrissen“, sagt sie. „So wie ich meine Arbeit gelernt haben und wie ich sie gerne machen würde, kann ich sie seit Jahren nicht mehr machen“, sagt eine 55-jährige Fachkrankenschwester für Intensivmedizin. Wenn nur eine Pflegekraft ausfalle, arbeite das Team aber in Mindestbesetzung und es dürfe nichts unerwartetes passieren – was auf der Intensivstation aber niemand garantieren kann.

Von 6 bis 17 Uhr Dienst ohne Pause

Sie hat eine selbstgebastelte Fußfessel dabei, auf ihrem Demo-Schild steht: „Wir sind Sklaven des Gesundheitssystems“. Fallpauschalen sorgten dafür, dass der Kostendruck in den Krankenhäusern steige. Sie verstehe, dass mehr Personal schwer zu bekommen sei, aber dann müsse man eben Betten sperren, anstatt die Belastung der vorhandenen Pflegekräfte immer weiter zu erhöhen.

In der Tübinger Chirurgie schiebt Rita Kessler (47) an einzelnen Tagen von 6 bis 17 Uhr Dienst und hat dabei nach eigenen Angaben keine Zeit für eine Pause oder Essen und Trinken. Sie kommentiert die Situation mit Ironie: „Das hat den Vorteil, dass man nicht aufs Klo muss und noch mehr arbeiten kann.“

Eine 60-jährige Pflegerin berichtet von Schlafstörungen und Herzrhythmusstörungen, die erst besser geworden seien, als sie ihren Arbeitsumfang reduziert habe. Eine 25-jährige Pflegerin berichtet davon, nach dem Arbeiten unter Zeitdruck und Stress zuhause das Gefühl nicht loszuwerden, irgendwas vergessen zu haben. Abschalten gelinge auch nicht, weil man an freien Tagen immer wieder angerufen werde, um für kranke Kollegen einzuspringen, berichten mehrere Pfleger auf der Demo.

Angespannte Personallage auch Thema im Landtag

Auf den Stationen brodle es, so eine Verdi-Sprecherin. Der Personalmangel betrifft längst nicht nur Tübingen. Zwei Pfleger aus dem Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart sind aus Solidarität zur Demonstration gekommen. „Ihr seid die Vorreiter, andere Krankenhäuser schauen auf Euch“, rufen sie den Kollegen des Tübinger Universitätsklinikums zu. Die angespannte Personallage an den Krankenhäusern im Südwesten war am Mittwoch auch Thema im Landtag.

Um ihre Pflegestellen zu besetzen, greifen manche Krankenhäuser im Land schon zu Abwerbeprämien von mehreren Tausend Euro pro Kopf. Das berichtete der Landesgeschäftsführer des evangelischen Krankenhausverbandes, Bernd Rühle, in Stuttgart. In Tübingen können Beschäftigte der Uniklinik eine Prämie erhalten, wenn sie aus ihrem Freundes- und Bekanntenkreis neue Pflegefachkräfte vermitteln.

Wer solche Prämien anbiete, handle aus Verzweiflung, sagte die Pressesprecherin der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG), Annette Baumer. In einer Umfrage der BWKG hätten 64,4 Prozent der Krankenhausgeschäftsführer angegeben, Probleme bei der Besetzung von Pflegestellen zu haben. „Wenn sie sich die Pflegekräfte gegenseitig abkaufen, ist das Problem aber nicht gelöst“, so Baumer.

„Ich bin auf dem Absprung“

In Tübingen arbeiten bereits 142 Pflegekräfte aus anderen Ländern, viele angeworben aus den Philippinen, Italien und Serbien und in Tübingen qualifiziert. Die Qualifizierung zur Fachkraft kostet die Klinik 40.000 Euro. „Notwendig wird das, weil am heimischen Arbeitsmarkt nicht mehr ausreichend Fachkräfte zur Verfügung stehen, um den Bedarf abzudecken“, teilt eine Klinik-Sprecherin mit. Derzeit seien aber alle am Klinikum geplanten und derzeit finanzierten Pflegestellen besetzt.

Auf der Demo in Tübingen steht auch Krankenpfleger Frank Hauber (45) mit einer Verdi-Fahne. Er arbeitet in Teilzeit auf der Schlaganfallstation. Auch wegen des steigenden Zeitdrucks sieht er keine Perspektive für sich in der Pflege. Nebenbei promoviert er in Geoökologie. „Ich bin auf dem Absprung.“