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Der Wellness-Wahnsinn

Blockierte Chakren? Müdigkeit? Ab in die Therapie! Foto: Bobby Doherty/«New York Magazine»

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Das Gespräch kommt unweigerlich darauf, an jeder Party, an jedem Apéro. Man erwähnt so ganz nebenbei, müde zu sein oder gerade eine Migräne hinter sich zu haben, und schon legt das Gegenüber den Kopf schräg und sagt: «Dein Säure-Basen-Haushalt ist total aus dem Gleichgewicht.» Meist sind es Frauen, die einem ­ungefragt eine Diagnose stellen und gleich noch das Behandlungskonzept mitliefern, zum Beispiel, eine Detox-Kur zu machen. Oder Yoga.

Es sind nie Ärztinnen, die einen da ungewollt beraten. Aber sie wissen trotzdem Bescheid in Sachen Gesundheit. Weil die Gesundheit zum liebsten Hobby und zur grössten Obsession des modernen Menschen geworden ist. Obschon er noch nie so gesund und die medizinische Versorgung noch nie so hervorragend war wie heute, fühlt er sich dauernd krank. Latent ­leidend. Einfach nicht richtig gut. Die Lösung heisst: Wellness.

Denn der moderne Mensch ist mit seinen physiologischen Grundfunktionen überfordert. Er weiss nicht mehr, wie man richtig atmet. Oder schläft. Oder isst. Er ist ­gestresst, verspannt und vergiftet, deshalb muss er relaxen und entschlacken, er braucht Hilfe, sein Körper sowieso und sein Geist erst recht. Und die bekommt er in unzähligen Wellness-Kliniken, wo ihm für viel Geld gezeigt wird, wie er richtig atmet, schläft, isst.

Es werden blockierte Chakren gelöst, auf dass die Energie wieder fliesse, und wenn es nicht an denen liegt, helfen bestimmt Behandlungen mit Edelsteinwasser oder die Aroma- und die Farb- und die Bioresonanz- und die Colon-Hydrotherapie, das Heilfasten, das Schwebe- und das Blütenbad, ­Algen- und Schlammpackungen und levitiertes Wasser und heilende Steine. Massagen mit exotischen Namen und ebensolchen Ölen, Kräutersude und Tees, Superfood, Detox, Lichtklänge, Kristalle mit immunstärkender Wirkung, Akupunktur und Bachblüten und natürlich Yoga, das hilft schliesslich gegen alles. Die Methoden sind zahlreich, aber eines ist ihnen ­gemeinsam: das Heilsversprechen, wonach man danach gesünder, schöner, schlanker sei.

Weltweit ein Geschäft von 3,7 Billionen Dollar

Das zieht. Und wie. Wellness ist längst kein banaler Erholungsurlaub mit Spaziergängen an der frischen Luft mehr, sondern ein 3,7-Billionen-Dollar-Geschäft. Kein anderer Markt wächst so schnell – um 10 Prozent alleine zwischen 2013 und 2015, die Spa-Industrie sogar um 25 Prozent –, wie das Global Wellness Institute letztes Jahr vermeldete.

Davon wollen alle etwas haben, nicht nur die Alternativkliniken und der Tourismus, bei dem die Wellness-Reisen mittlerweile 16 Prozent des weltweiten Umsatzes ausmachen. Goop, die wahnwitzig erfolgreiche Wellness-Webseite der Schauspielerin Gwyneth Paltrow, erscheint neu vierteljährlich als Magazin – herausgegeben vom «Vogue»-Verlag Condé Nast. Man verspricht sich von Goop in gedruckter Form offenbar eine Menge Geld; die von der Seite empfohlenen Produkte jedenfalls sind stets rasend schnell ausverkauft. Da kann die Ärzteschaft noch lange händeringend ­erklären, die propagierten Behandlungen – zum Beispiel eine Vaginaldusche mit Dampf – seien vollkommen absurd, ja, sogar schädlich. Umsonst. Die gesundheitsversessene Frau glaubt, was sie glauben will.

Aber das macht ja mittlerweile den Kern von Wellness aus: ein kruder Mix aus Aberglaube, Esoterik und Scharlatanerie. Wissenschaftlich haltbar ist kaum etwas aus dem gigantischen Angebot, sondern oft blanker Unsinn. 2014 musste die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA die drei ­grössten einheimischen Produzenten von ätherischen Ölen auffordern, ihre Produkte nicht mehr länger damit zu bewerben, Ebola heilen zu können.

Die Wellness-Kliniken reden Gesunden ein, krank zu sein

Während sich die Welt über alternative Fakten in der Politik echauffiert, haben sie dort, wo es um den eigenen Körper geht, seit Jahren Hochkonjunktur – ganz so, wie wenn es nie eine Aufklärung gegeben hätte. Widerspruch oder Kritik gibt es nur vereinzelt, wie etwa von Denis Uffer, Vorstandsmitglied der Schweizer Skeptiker, die sich dem kritischen Denken verpflichtet haben und gegen die um sich greifende Esoterik kämpfen. «Wenn die Leute sich dadurch ­besser fühlen, will ich gar kein Spielverderber sein», sagt Uffer. «Das Problem ist aber, dass durch die Popularität von Wellness pseudowissenschaftliche Ansichten ­salonfähig werden.»

Es gebe einen Unterschied zwischen Sich-Wohlfühlen und Gesundheit. Nur weil einem etwas guttue, heisse das noch lange nicht, dass es auch einen gesundheitlichen Effekt habe. Uffer stören die Täfelchen am Rand der Bäder, die medizinischen Mumpitz versprechen. Und noch mehr stört ihn, dass viele Wellness-Kliniken vollkommen Gesunden einreden, krank zu sein. Diese unterziehen sich dann wegen einer angeblichen Gluten-Histamin-Laktose-Intoleranz einer radikalen Rohkostdiät mit Gemüse-Smoothies, die in einem Vitaminmangel resultiert – in einem Ausmass, wie es bei normaler Ernährung, die auch einmal Pommes frites erlaubt, heutzutage in der westlichen Welt schlicht nicht mehr möglich ist.

In seinem Job als Assistenzarzt auf der Neurologie am Kantonsspital St. Gallen erlebt Uffer regelmässig Patientinnen und Patienten, die eine nötige medizinische Behandlung ablehnen und stattdessen erklären, sie würden sich lieber an die «natürliche» Blutgruppendiät halten oder ihren Darm entgiften, um gesund zu werden. Ganz gemäss dem im Wellness-Metier gehuldigten Glaubenssatz «Chemie ist böse». Das Argument, dass auch Wasser Chemie ist – weil alles Chemie ist und diese mitnichten böse – und dass unser Körper ganz von selbst 24 Stunden lang nichts anderes tut als genau das: entgiften, stösst auf taube Ohren.

Wissenschaftliche Fakten sind allem Fortschritt zum Trotz chancenlos gegen den Wellness-Hokuspokus. Er verfängt, weil er suggeriert, das ultimative Rezept fürs Reüssieren im Leben zu kennen. Es geht bei all den Aufenthalten in Spas und Retreats um Selbst­optimierung, darum, gesünder und damit attraktiver und dadurch wiederum erfolgreicher zu werden. Dass Firmen ihren Angestellten Wellness-Wochenenden offerieren, klingt zwar gut und grosszügig, ist aber eigennützig: Man verspricht sich davon eine höhere Leistungsfähigkeit, Mitarbeitende, die perfekt funktionieren, rundum gesund und im Gleichgewicht sind. Besonders beliebt sind deshalb Achtsamkeitskurse, die Teil von vielen Wellness-Programmen sind – sie sollen die Konzentration am Arbeitsplatz steigern.

Die obsessive Beschäftigung fördert den Egoismus

Die Firmen könnten sich die Mindfulness-Seminare genauso sparen wie die Wochenenden mit den heissen Steinen. Der Psychologe Thomas Joiner, Professor an der Florida State University, seziert in seinem Buch «Mindlessness: The Corruption of Mindfulness in a Culture Of Narcissism» sämtliche Studien, die einen Nutzen von Achtsamkeit nachgewiesen haben wollen – kaum eine hält wissenschaftlichen Kriterien stand. Was auch daran liegt, dass völlig unklar ist, was darunter überhaupt zu verstehen ist. Joiner ärgert sich nicht nur darüber, sondern noch viel mehr, dass Achtsamkeit zu einer obsessiven Beschäftigung mit sich selbst führe und damit zu mehr Egoismus, was gesellschaftlich gesehen verheerend sei.

Dabei könnte man das doch ­alles viel einfacher haben. Indem man das Handy weglegt. Zügig auf einen Hügel steigt, sich dort auf eine Bank setzt und runterguckt. Und dabei nichts tut. Man muss es bloss aushalten. Es gibt bestimmt ein Wellness-Seminar, in dem sich das lernen lässt.