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Gesundheitswesen In Oldenburg Kliniken sind Patienten mit Risikofaktor

Sabine Schicke

Oldenburg - Mindestens jede dritte Klinik in Deutschland schreibt rote Zahlen. In Kinospots machen die Krankenhausgesellschaften auf die angespannte Finanzierungslage aufmerksam. In diesem Jahr gehört auch das Klinikum Oldenburg dazu.

Erst vor drei Wochen war die bisherige Gesundheitsministerin Cornelia Rundt (SPD) hier und hat den neuen Hybrid-OP des Klinikums eröffnet und die differenzierte Zusammenarbeit der drei Oldenburger Krankenhäuser gelobt. Und tatsächlich gibt es – abgesehen von der Gynäkologie, der Orthopädie und Teilen der Onkologie – wenig Überschneidungen.

Ministerin lobt Modell

Im Reha-Bereich und bei der Krankenhaushygiene leisten sich die drei Kliniken gemeinsame Institute. Rundt hat dieses Gesamt-Modell als vorbildlich für Niedersachsen bezeichnet. Dazu gehört auch, dass der Bauchchirurg des Pius-Hospitals für das Evangelische Krankenhaus operiert, und im EV jene Babys auf die Welt kommen, für die im Pius in dem Moment die Kapazitäten fehlen.

Alle drei Krankenhäuser haben vom Land in jüngster Zeit Millionen bekommen, um zu modernisieren und zu erweitern. Bekannt ist aber auch, dass das Land, zuständig für die Investitionen an Kliniken, über Jahre zuvor kaum Geld überwiesen hatte, so dass die Häuser notwendige Modernisierungen über lange Zeit aus eigenem Budget erwirtschaften mussten.

Für das Klinikum ist ein weiterer dreistelliger Millionenbetrag vom Land aus einem Sonderfonds bewilligt. Das Haus soll erweitert werden. Ministerium und auch Oldenburgs Oberbürgermeister haben ein klares Bekenntnis zu diesem Krankenhaus gegeben, dessen Bilanzen übrigens als Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) offengelegt werden müssen.


Kooperative Konkurrenz sichert Überleben

Die kooperative Konkurrenz sichert das Überleben der drei Häuser in einem Gesundheitssystem, das verglichen mit vielen Ländern gut zu nennen ist, das aber im extremen Strukturwandel steckt: Vor 2004 mussten weniger Chefärzte ihren Geschäftsführern Rechenschaft darüber ablegen, warum sie ihre Budgets zum Wohle der Patienten überzogen hatten.

Heute gibt es Kennzahlen: Das sind Fallpauschalen für bestimmte Krankheiten. Denn mit den Krankenkassen – eine Säule der Klinikfinanzierung – können für bestimmte Leistungen in der Regel nur gedeckelte Beträge abgerechnet werden. Sehr vereinfacht gesprochen: Wenn der Patient nicht so gesundet, wie die Fallpauschale es vorsieht, muss diese Station in dem Moment ein Minus verbuchen. Festgeschrieben ist das in eben sogenannten Fallpauschalen (DRG).

Verweildauer rasant reduziert

So hat sich etwa die durchschnittliche stationäre Verweildauer in den Kliniken dadurch rasant reduziert. Und nicht selten geraten verantwortliche Medizinerinnen und Mediziner, die sich für diesen Beruf entschieden haben, um Menschen zu helfen, damit in Konflikte.

In Zeiten des demografischen Wandels mit einer alternden Bevölkerung darf nicht vergessen werden, dass der inzwischen verstorbene Politiker Philipp Mißfelder (CDU) bereits 2003 forderte, dass einem 85-Jährigen keine neue Hüfte mehr eingesetzt werden darf. Darf also einem 85-Jährigen heute noch das Tausende kostende Krebsmedikament der neuesten Generation verordnet werden oder nicht? Inwieweit ökonomische Kennzahlen noch rigider das Behandlungssystem in den Kliniken reglementieren dürfen, muss man die Politiker fragen. Zumindest die scheidende niedersächsische Gesundheitsministerin hatte bei ihrem letzten Besuch im Klinikum davor gewarnt.

Spezialisierungen zahlen sich aus

Für die jährlichen Budgetverhandlungen mit den Krankenkassen – eine weitere Säule der Krankenhausfinanzierung – spielt die Summe der Kosten für alle Fälle (gemeint sind: Patienten) eine große Rolle. Hier sprechen die Experten vom sogenannten Case Mix (CMI), der als relatives Vergleichskriterium für die Kostenstruktur eines Hauses gilt. Um es zu verdeutlichen: Das vor wenigen Jahren in finanzielle Schieflage geratene Evangelische Krankenhaus konnte durch die weit und breit nicht zu findende Spezialisierung auf beatmete Koma-Patienten nicht zuletzt seine Einnahmen und seinen CMI verbessern. Denn natürlich kann für die Behandlung dieser Patienten ganz anders mit den Kassen abgerechnet werden als für eine Blinddarm-OP. In diesem Fall also profitieren Patienten von der hohen Spezialisierung und das Krankenhaus von den Mehreinnahmen.

Ähnliches gilt dort für die Stroke-Unit, in der Schlaganfall-Patienten behandelt werden. Im Klinikum gibt es u.a. etwa die Geriatrie, aber auch die Frühchenstation des Level 1, die in der gesamten Region ihresgleichen sucht. Im Pius sind große bundesweite Forschungsvorhaben angesiedelt, und die Lungenheilkunde der Inneren Klinik dort rangiert auf allen Bestenlisten.

Alle Häuser haben Personalsorgen

Auf Grund des hohen Drucks in Kliniken haben alle drei Häuser – das Pius wohl noch am wenigsten – Personalsorgen: OPs müssen verschoben werden, weil die Anästhesiefachkräfte fehlen; Betten werden gesperrt, weil die Pflege ausgedünnt ist. Chefärztinnen und Chefärzte benutzen die Krankenhäuser als Sprungbrett zu renommierten Uni-Kliniken in den Metropolen oder kommen mit dem System in den Kliniken nicht zurecht, seit diese zum Campus der European Medical School (EMS) gehören.

Oberbürgermeister Jürgen Krogmann hat es jüngst beim Land angemahnt: In den drei Häusern entsprechen die Infrastruktur und personelle Ausstattung – vor allem auch die Gegenfinanzierung – noch nicht jenem Standard, wie er an den etablierten Uni-Kliniken in Göttingen und Hannover üblich ist. Die Chefärztinnen und Chefärzte müssen – wie zuvor auch – für ihre Patienten Verantwortung tragen, sollen aber auch Lehre und Forschung abliefern.

Pragmatischer Blick

Alle drei Oldenburger Kliniken haben hart dafür gekämpft, viel Geld in die Hand genommen und miteinander gerungen, Uni-Kliniken zu werden. Sie sitzen im selben Boot, und sie müssen gerade jetzt ein Interesse daran haben, dass das Boot nirgends Leck schlägt.

Es kann übrigens auch eine Chance sein, dass derzeit mit Prof. Dr. Hans Gerd Nothwang ein Nichtmediziner kommissarischer Dekan der „Medizin und Gesundheitswirtschaften” an der EMS ist, der sich nicht pro domo an Spekulationen über eine einzige umfassende Uni-Klinik beteiligt, sondern als pragmatischer Naturwissenschaftler auf das gesamte Szenario blickt.

Als Gesundheitsversorger verpflichtet

Denn eines ist auch klar: Bislang konnte immer verhindert werden, dass einer der großen Gesundheitskonzerne wie Helios, Fresenius, Rhön und andere die Kliniklandschaft in der Stadt Oldenburg aufrollt. Und das soll auch so bleiben. Doch die Unternehmen liegen schon auf der Lauer – etwa direkt vor der Tür in Nordenham und nennen sich bereits Klinikum Nordwest. In jenen Häusern geht es nicht mehr um Kostendeckung, sondern um Rendite und Dividenden. Eine kommunale Klinik kann und darf nicht nur nach den ökonomischen Kriterien einer Highend-Geräte-Medizin nutzbringende Patienten aufnehmen, sondern sie ist den Menschen der Stadt und der Region als maximaler Gesundheitsversorger verpflichtet. Daher finden sich in Deutschland gerade unter kommunalen Krankenhäusern jene Kliniken, die rote Zahlen schreiben.

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