Weiden in der Oberpfalz
27.11.2017 - 21:20 Uhr

Ursachenforschung nach später Suspendierung eines Oberarztes: Klinikum nicht informiert

Am Mittwoch war ein Oberarzt (50) des Klinikums wegen schweren sexuellen Missbrauchs verurteilt worden. Als ob nichts gewesen wäre, trat er am Donnerstagmorgen den Dienst in der Notaufnahme an. Wenige Minuten später eröffnete ihm die Leitung der Kliniken AG die Suspendierung.

"Emergency": Ein Arzt arbeitete weiter in der Notaufnahme des Klinikums, obwohl er schweren sexuellen Missbrauch gestanden hatte. Bild: Hartl

Warum erst jetzt? Immerhin hat der Mediziner schon im November 2016 in erster Instanz die Taten gestanden. Vorstand Josef Götz macht keinen Hehl daraus, dass er über den Ablauf nicht glücklich ist: "Wir haben nichts gewusst. Sowas geht an uns vorbei - das kann es doch nicht sein."

NT-Recherchen ergaben: Die "Mitteilung in Strafsachen" erfolgte mit Anklageerhebung am 6. Juli 2016. Die Staatsanwaltschaft Magdeburg informierte die Bayerische Landesärztekammer und die Regierung Oberbayern als zentrale Approbationsstelle. Nach Auskunft von Landgerichtssprecher Christian Löffler wurde die Anklage versandt. Die Klinik wurde nicht informiert. Eine Mitteilung an den Arbeitgeber sei gesetzlich auch nicht vorgesehen, so Oberstaatsanwalt Frank Baumgarten, Magdeburg.

Im November 2016 sprach das Amtsgericht Magdeburg den aus dem Allgäu stammenden Arzt schuldig (3 Jahre 3 Monate, in der Berufung 2 Jahre 9 Monate). Er war geständig. Ja, er habe sich im Dienst im Bereitschaftszimmer seines damaligen Einsatzortes, dem Krankenhaus Tirschenreuth, per Skype dem Missbrauch an einer 13-Jährigen zugeschaltet. In der Folge fuhr er zwei Mal nach Wernigerode (Sachsen-Anhalt), um mit einem anderen Mann das Kind selbst zu missbrauchen.

Versäumnis bei Regierung

Die Regierung von Oberbayern wollte dem Arzt im Oktober 2016 vorübergehend die Zulassung entziehen. Allerdings versäumte es die Regierung im Bescheid, den Sofortvollzug anzuordnen. Dies hatte zur Folge, dass eine Klage des Mediziners beim Verwaltungsgericht Regensburg automatisch aufschiebende Wirkung hatte. Der Entzug der Zulassung ruht bis zu einem rechtskräftigen Urteil. Ein solches gibt es bis heute nicht: Verteidiger Rouven Colbatz zieht in die Revision vors OLG Naumburg.

Und auch jetzt informierte niemand den Arbeitgeber. "Wir müssen abwarten, bis ein Beschluss oder ein Urteil erfolgt ist", argumentiert Dagmar Nedbal, Sprecherin der Landesärztekammer. Tatsache ist aber auch, dass die Ärztekammer um die Brisanz wusste: Schon im November 2016 hakten zwei Reporter aus Sachsen-Anhalt in München nach, warum der Arzt noch im Dienst sei, und berichteten darüber. Nedbal hält es indessen für "unglaubwürdig", dass man in Weiden gar nichts ahnte: "Die Kliniken AG kann sich jetzt nicht den schlanken Fuß machen und sagen, sie hätte nichts gewusst. Es gab einen Durchsuchungsbeschluss."

2014 sprachen tatsächlich Kripobeamte im Klinikum vor, um den Arzt zu befragen - hinter verschlossenen Türen. Sie legten einen Beschlagnahmebeschluss vor, um Daten von einem Rechner zu ziehen. Vorstand Götz hat diesen Beschluss hervorholen lassen: Das Delikt ist geschwärzt. "Das war 2014. Daraufhin haben wir nie wieder etwas gehört", so Götz. "Wir gingen davon aus, das hätte sich zerschlagen." Der Chirurg spielte die Sache herunter ("versehentlich auf Sex-Seiten gekommen").

"Wir haken nach, warum wir nicht informiert wurden", kündigt Götz an. Man werde gegebenenfalls anregen, dass bei solch schwerwiegenden Vorwürfen der Arbeitgeber kontaktiert wird. Im konkreten Fall sei zwar nichts passiert. "Aber bei diesen Neigungen im Nacht- und Notdienst kann so etwas auch eskalieren. Wir müssen unsere Patienten schützen." Auch die Landesärztekammer will den Fall nicht auf sich beruhen lassen, kündigte Sprecherin Nedbal an. "Vizepräsident Dr. Wolfgang Rechl geht dem nach." Er nehme Kontakt zur Regierung Oberbayern auf. "Wir haben ja auch kein Interesse daran, dass solche Leute weiter behandeln."

Fast in Weiden vor Gericht

Der Arzt profitierte von den Umständen: Das Verfahren war 400 Kilometer entfernt bei der Staatsanwaltschaft Magdeburg anhängig. Das wäre um ein Haar anders gewesen. Man hatte die Ermittlungen auch der Staatsanwaltschaft Weiden angetragen, was aufgrund des Wohnsitzes möglich gewesen wäre. Damit wäre der Mediziner in Weiden vor Gericht gekommen. Der Staatsanwalt empfahl aber - sinnvollerweise -, die Ermittlungen in Sachsen-Anhalt zu bündeln. 2014 war in Wernigerode ein Pädophilen-Ring aufgeflogen. Eine Mutter aus Quedlinburg hatte die Tochter ab dem 10. Lebensjahr Männern angeboten. Nach einer Anzeige des Mädchens kam es zu Prozessen. Bei Befragungen nannte die 13-Jährige Vorname, Beruf und Wohnort des Peinigers aus Weiden.

Sowas geht an uns vorbei - das kann es doch nicht sein.Josef Götz, Vorstand Kliniken Nordoberpfalz AG
 
 

Kommentare

Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.

Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.

Zum Fortsetzen bitte

Um diesen Artikel zu lesen benötigen Sie ein OnetzPlus- oder E-Paper-Abo.