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"Ärzte müssen sich auf diese Entwicklung vorbereiten und sich rechtzeitig spezialisieren", sagt Andreas Schriefl. Der Biomediziner und Medizintechniker hat mit seinem Grazer Unternehmen CSDlabs die Stethoskoptechnik digital essenziell weiterentwickelt.

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"Da ist etwas wirklich Großes im Anrollen, in der medizinischen Versorgung kündigen sich epochale Veränderungen an", sagt Andreas Schriefl. Der traditionelle Weg zum Arzt als Erstversorger etwa werde "sicher bald die Ausnahme sein. Schon jetzt übernehmen Krankenschwestern in den USA ein Viertel der Erstkonsultationen", erläutert der Grazer Medizinwissenschafter und Start-up-Unternehmer.

Das digitale Stethoskop,...

Schriefl steht mit seinem kleinen wissenschaftlichen Team kurz davor, in diesen sich radikal ändernden, boomenden US-Medizinmarkt groß einzusteigen. Zumindest in einen Teilbereich. Der Biomediziner und Medizintechniker Schriefl hat mit seinem Grazer Unternehmen CSDlabs die Stethoskoptechnik digital essenziell weiterentwickelt.

Die von Schriefl und seinem Lab kreierte Abhör-Software ermöglicht Herzgeräuschuntersuchungen selbst bei Babys "mit einer Präzision, die exakte Voraussagen etwaiger Herzfehler erlauben", sagt Schriefl. Bei herkömmlichen Abhörmethoden mit dem Ohr seien derart exakte Registrierungen von Herzgeräuschen kaum möglich. Mit dem Effekt, dass ein großer Teil der Patienten an Ultraschalllabors weitergeschickt werde, um Klarheit zu bekommen.

... und "Abhör-Apps" dazu

eMurmur ID heißt die Software, die bereits in mehreren klinischen Studien am Johns-Hopkins-Krankenhaus in Baltimore und am CHEO in Ottawa getestet wurde. Derzeit läuft eine Studie am Cincinnati-Children's-Krankenhaus im klinischen Alltag. Die Marktzulassung wird für Mitte 2018 erwartet.

Parallel dazu hat Schriefls Team auch Apps entwickelt, die noch vor Weihnachten beziehungsweise im Jänner auf den Markt kommen. Mit den "Abhör-Apps" wird nahezu die Gesamtheit aller möglichen Herzgeräusche abrufbar sein. Man muss kein Arzt sein, um die auch für Smartphones adaptierte Aufbereitung der Daten mittels Grafiken und Animationen zu verstehen. Damit können jedenfalls Studierende ihre diagnostischen Fähigkeiten einüben. Für den universitären Forschungsbereich gibt's eine erweiterte App.

Schriefl Weiterentwicklung des Stethoskops ist ein kleines, aber signifikantes Beispiel dafür, in welche Richtung sich die Krankenversorgung in den nächsten Jahren bewegen könnte.

Künstliche Intelligenz

"Ich denke, dass wir über kurz oder lang zu Hause unsere Artificial-Intelligence-Assistenten haben werden. Zukünftig schaut das dann zum Beispiel so aus: Wenn ich daheim bin und schwer Luft kriege oder mein Kind hustet, werde ich statt zum Arzt zu fahren über ein telemedizinisches Portal und mit einem Gerät, das meine Symptome aufnehmen kann, mit medizinische Experten kommunizieren", sagt Schriefl.

Neue auf Algorithmen basierende Geräte messen Temperatur, Herz- und Lungengeräusche, analysieren Blut und Harn und schicken die Daten über ein Portal automatisch zu einem Medizinspezialisten, der mit den Patienten kommuniziert. Dieser interpretiert die Daten und gibt Anweisungen. Das ist in Ansätzen in den USA schon Praxis.

In US-Drogeriemärkten werden überdies schon jetzt kleinere Untersuchungen durchgeführt. Die Apothekenkette Walgreens etwa bietet Standarduntersuchungen wie Abhören an. Walgreens hat darüber hinaus bereits einen großflächigen medizinischen Onlinedienst im Aufbau.

Auf der Website wird so ziemlich alles angeboten, was jetzt noch der Hausarzt erledigt.

Chatten mit dem Arzt

Über eine App kann jederzeit ein Doktor online und live befragt werden, auch psychiatrische Gespräche und Therapien sind möglich – für 60 Dollar die Stunde. "Walgreens trusted partners can connect you with live doctors on your phone, online through video chat", heißt es da. Selbst Hautärzte stehen parat. Man muss nur Fotos seiner von der Krankheit betroffenen Hautstelle mit dem Handy fotografieren, "and you'll receive a diagnosis, treatment plan and necessary prescriptions in about 24 hours".

Die Dienste sind bisher in einigen Bundesstaaten und vor allem in New York täglich 24 Stunden abrufbar. Sie sollen sukzessive auf das ganze Bundesgebiet ausgedehnt werden.

In den USA gibt es seit zwei Jahren für telemedizinische Untersuchungen schon ein Refundierungssystem. Wenn ein Arzt mit Patienten per Videokonferenz agiert, bekommt er die Sitzung refundiert. "Wir können das alles als eine höchst problematische Entwicklung ansehen, aber sie ist Realität. Und sie wird in irgendeiner Form auch zu uns kommen", ist Schriefl überzeugt.

Denn auch in Europa seien die Probleme ähnlich: Überfüllte Wartezimmer bei den Hausärzten und lange Anfahrten auf dem Land zur medizinischen Versorgung. "Die US-Onlinedienste sind rund um die Uhr verfügbar", sagt Schriefl. Die Rolle der Mediziner werde sich natürlich verschieben. (Walter Müller, 14.12.2017)