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Interview „Krankenhaus nur in akuten Krisen“

Die Erneuerung der Psychiatrie in Bremen Ost geht schleppend voran. CDU-Politiker Rainer Bensch über einen Klinikdirektor, der Glaubwürdigkeit beweisen muss, und eine zu lasche Aufsicht der Senatorin.
17.12.2017, 17:19 Uhr
Lesedauer: 5 Min
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„Krankenhaus nur in akuten Krisen“
Von Antje Stürmann

In den Psychiatrien der kommunalen Bremer Kliniken fehlen nach Angaben des Senats bis zu zehn Prozent der Fachärzte. Welche Folgen hat das für die Behandlung?

Rainer Bensch : Im Mittelpunkt muss eine optimale Behandlungsqualität stehen. Da gab es teilweise erhebliche Mängel. Aber das fehlende Fachpersonal allein ist es nicht: Es ist auch die gelebte Kultur vor Ort auf den Stationen innerhalb der Psychiatrien. Und da gibt es enorme Unterschiede beim gleichen Träger. In Bremen Ost, also im größten psychiatrischen Krankenhaus, haben wir in den letzten Jahren jede Menge an Mängeln und Missständen festgestellt bei Stippvisiten der Besuchskommission, durch Beschwerden vieler Einzelner, aufgrund von Berichten der Patientenfürsprecher und nach dem Suizid von Melissa Beck.

Das Klinikum Bremen-Nord gilt bundesweit als vorbildlich - obwohl es laut Senat 2016 mit größeren Personalengpässen zu kämpfen hatte, als das Klinikum Bremen-Ost. Wie geht das?

Im psychiatrischen Behandlungszentrum Bremen-Nord ist nicht nur die gefühlte, sondern auch die tatsächliche Behandlungsqualität um ein Vielfaches besser als im Klinikum Bremen-Ost. Ich habe in zehn Jahren nicht eine einzige Beschwerde aus diesem Haus erlebt. Das Behandlungszentrum Nord ist eine der Psychiatrien in Deutschland mit dem niedrigsten Medikamentenverbrauch. Wenn man persönlich vor Ort ist, gewinnt man den Eindruck, dass Ärzte, Pflegekräfte und Patienten auf Augenhöhe reden und eine patientennahe Versorgung gelebt wird. Ich frage mich: Warum bekommt der gleiche Träger das nicht im Klinikum Bremen-Ost hin?

Was macht denn die Leitung der Psychiatrie im Krankenhaus Bremen-Ost Ihrer Meinung nach falsch?

Das kann ich nicht genau sagen. Es ist offenkundig, dass vieles nicht richtig gelaufen ist in den vergangenen Jahren. Auch deshalb ist Professor Reimer geholt worden: um die Psychiatrie im Klinikum Bremen-Ost nach vorn zu bringen. Das ist nicht von heute auf morgen machbar. Man muss der neuen Führung Zeit, Gelegenheit und vielleicht auch Geld in die Hand geben, damit sie die Psychiatrie auf einen guten Weg bringen kann.

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Was ist das Ziel? Was zeichnet eine gute Behandlung aus?

Der moderne Ansatz ist der einer lebensnahen psychiatrischen Versorgung. Das heißt, der Mensch soll nur in einer akuten Krise ins Krankenhaus eingewiesen werden. Und auch das bitte nur solange, wie es nötig ist. Ansonsten soll der Patient in seinem Lebensumfeld, also in seiner Wohnung, in der Nachbarschaft, im Quartier oder sogar am Arbeitsplatz begleitet und gegebenenfalls behandelt werden – das wiederum mit möglichst immer gleichen Ansprechpartnern.

Überall vernetzen sich bereits ambulante Anbieter und Kliniken miteinander. Der Direktor der Psychiatrie am Klinikum Bremen-Ost dagegen zementiert die Trennlinie zwischen ambulant und stationär geradezu, indem er beiden Einrichtungen separate Chefs gibt. Eine Fehlentscheidung?

Auf alle Fälle wirft sein Handeln einige Fragen auf.

Ärgert es Sie als Abgeordneten nicht, wenn Professor Reimer macht, was er will? Immerhin gibt es den Bürgerschaftsbeschluss von 2013.

Ich habe Chefarzt Dr. Olaf Kuhnigk, der ja auch extra gekommen ist, um die Psychiatrie zu verbessern, gefragt: Greift diese neue Stellenausschreibung, die so umstritten ist in der Öffentlichkeit, den Beschluss der Bürgerschaft ambulant vor stationär, trägerübergreifend, vom Patienten her denkend und handelnd auf? Das hat er bejaht. Er hat gesagt, die Einstellung des neuen leitenden Arztes sei schlecht kommuniziert worden. Tatsächlich soll dieser neue ärztliche Leiter sicher stellen, was die Politiker wollen: eine bestmögliche psychiatrische Versorgung der Patienten.

Dr. Reimer will im Klinikum Ost Spezialabteilungen etablieren, setzt weiter auf Klinikaufenthalte und den Einsatz von Medikamenten. Warum greift die Gesundheitssenatorin nicht ein?

Das ist in der Tat eine spannende Frage. Die Senatorin hat im Februar den richtigen Weg eingeschlagen, indem sie sich engmaschiger aus der Psychiatrie berichten lässt. Jetzt erwarte ich von ihr als Aufsichtsratsvorsitzende der Geno, dass sie ein Auge auf die Psychiatrie hat und dafür sorgt, dass das, was die Politik als Rahmen gesetzt hat, konsequent umgesetzt wird. Bremen-Ost treibt die Ambulantisierung mit angezogener Handbremse voran. Professor Reimer will 50 der 250 Plätze, also ein Fünftel der stationären Versorgung, abbauen. Wir wollen mehr.

Kritiker werfen der Geno schon seit einigen Jahren vor, andere Bereiche der Kliniken mit Geldern aus der Psychiatrie zu sanieren. Glauben Sie dem Senat, wenn er auf die Anfrage der CDU-Fraktion antwortet, 2016 habe es solche Quersubventionierungen nicht gegeben?

Es gab bundesweit offenkundig sehr viel Missbrauch. Psychiatrien haben dafür hergehalten, dass Krankenhäuser in allen Bundesländern zu wenig Investitionsmittel bekommen haben. Die Geschäftsführungen der Kliniken mussten überlegen: Wovon finanzieren wir in der Somatik einen neuen OP-Saal? Wie bekommen wir es hin, uns zu erneuern? Ihnen bleibt letztlich nichts anderes übrig, als Personal einzusparen oder Geld aus lukrativen Disziplinen von A nach B zu schieben. Beweisen kann man das nicht, aber es ist sehr, sehr naheliegend. Am KBO ist es ja ein offenes Geheimnis, dass quersubventioniert wurde. Seit diesem Jahr gilt ein Gesetz, das für mehr Transparenz sorgen soll.

Wer kontrolliert, ob das Geld zweckgebunden eingesetzt wird?

Es liegt an den Krankenkassen, sich von den Trägern und Kliniken genau berichten zu lassen, ob das vereinbarte Geld tatsächlich für Fachärzte und anderes Personal in den Psychiatrien ausgegeben worden ist. Wenn nicht, dann haben die Krankenkassen das Recht, Geld zurückzufordern. In Bremen bleibt abzuwarten, welche Rückmeldungen uns die Krankenkassen jetzt und in den folgenden Jahren geben.

Die Gesundheit Nord hat nach eigenen Angaben in diesem Jahr am Klinikum Ost 24 Ärzte eingestellt, um die Behandlungsqualität zu verbessern. 19 von ihnen sind keine Fachärzte. Sie lassen sich ausbilden. Gaukelt das nicht eine qualitativ bessere Versorgung vor?

Ja. 24 neue Ärzte hört sich erst einmal gut an, aber ich vermute, dass das junge Assistenzärzte in Ausbildung sind und ich bezweifle sehr, dass das die Behandlungsqualität steigert. Diese Ärzte müssen weitergebildet werden. Das können nur die Oberärzte machen. Das heißt, die Oberärzte sind mit Weiterbildung beschäftigt und haben ihrerseits wieder weniger Zeit für die Patienten. Es muss mittel- und langfristig Personal eingestellt und gehalten werden. Zugegeben: Das ist sehr schwierig, weil es nicht so viele Fachkräfte auf dem Markt gibt. Aus diesem Grund muss auch der Abbau stationärer Betten und der Ausbau ambulanter Strukturen vorangetrieben werden. Die Patienten müssen außerhalb der Klinik versorgt werden.

Gibt es eine Möglichkeit, Druck auszuüben, damit die Zahl der ausgebildeten Fachärzte aufgestockt wird?

Es ist die Aufgabe der Rechtsaufsicht zu prüfen, ob in den psychiatrischen Kliniken so gearbeitet wird, wie es der Facharztstandard verlangt. Das ist Aufgabe der Senatorin. Ihre Behörde darf nicht nur anlassbezogen und stichprobenartig prüfen, sondern muss besonders am Klinikum Bremen-Ost ständig im Bilde sein – auch durch unangekündigte Kontrollen, Einblicke in die Dienstpläne und dem Nachschauen, wer vom Personal anwesend ist und was genau macht.

Und: Welche Ärzte mit welcher Qualifikation sind da. Mit spontanen Kontrollen kann man zeigen: Wir meinen es ernst. Schriftliche Berichte kann man immer so schreiben, dass jeder glaubt, die Situation ist toll und befriedigend. Aber da habe ich nach wie vor erhebliche Zweifel. Die Senatorin muss ihre Rechtsaufsicht mehr und vor allen Dingen auch härter und wirksamer vor Ort ausüben.

Das Gespräch führte Antje Stürmann.

Zur Person:

Rainer Bensch ist seit sechs Jahren gesundheitspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion. Seit 2010 ist er Mitglied des gesetzlichen Kontrollgremiums für die Psychiatrien, der sogenannten Besuchskommission.

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