Zwei-Klassen-Medizin:Darf's ein bisschen teurer sein?

Selbst Provinzkrankenhäuser buhlen inzwischen mit Wohlfühl-Stationen um zahlungskräftige Patienten.

Von Kristiana Ludwig

Vor einer Weile buchte sich das alte Werkskrankenhaus in Dortmund-Hörde einen Food-Fotografen. Der Mann kam, legte einen Rosmarinzweig auf die Schweinelendchen aus der Klinikküche und richtete seine Scheinwerfer so auf den Teller, dass die Soße glänzte und der Brokkoli leuchtete. Heute ist das Bild in einer Speisekarte abgedruckt. Auf dem Einband steht: "Für Patienten der Komfortstation".

Denn in Dortmund können Patienten einen Krankenhausaufenthalt buchen, bei dem sie sich fühlen sollen, als wohnten sie in einem Hotel. Auf der Komfortstation ist jedes Krankenzimmer mit einer Regenwasserdusche ausgestattet, der Flachbildschirm verschwindet hinter einer Panoramafotografie an der Wand, der Fußboden ist beheizt, und alle Patienten bekommen ihren eigenen Kühlschrank. Der Geschäftsführer des Hospitals, René Thiemann, sagt, heutzutage seien solche Luxuszimmer "ein unverzichtbares Element, welches jede Klinik, egal welcher Größe, vorhalten muss". Schließlich seien Patienten gerne bereit, für die Wohlfühlstation einer Klinik zusätzliches Geld zu bezahlen.

So wie Thiemann sehen es mittlerweile viele Klinikmanager in Deutschland: Es rechnet sich für eine Klinik, Privatversicherten und Extrazahlern schicke Räume mit gutem Essen und freundlichen Servicekräften anzubieten. Die Preise für eine Nacht in Hotelatmosphäre liegen je nach Krankenhaus zwischen 50 und mehr als 200 Euro pro Nacht - so lohnt sich bald die Renovierung. Was vor zehn Jahren noch die Ausnahme war, ist heute selbstverständlich: Selbst Provinzkrankenhäuser buhlen inzwischen um zahlungskräftige Patienten.

Schließlich übernehmen private Krankenversicherungen die Extrakosten für das Komfortzimmer, sofern ihre Mitglieder sogenannte Krankenhauswahlleistungen versichert haben. Von knapp 8,8 Millionen Privatversicherten sind das rund sieben Millionen, schätzt der Spitzenverband der Privatversicherungen. Außerdem hätten mehr als sechs Millionen Kassenpatienten eine Zusatzversicherung für Klinikaufenthalte abgeschlossen, die neben der Behandlung durch den Chefarzt auch das Komfortzimmer übernehme.

Die privaten Krankenversicherungen zahlen allerdings nur dann, wenn die Komfortstationen auch einen bestimmten Standard erfüllen: hochwertige Böden, Sessel, Blumenschmuck - ein Raum hier sollte außerdem um mindestens 40 Prozent größer sein als die Zimmer auf anderen Stationen und auch einen schöneren Ausblick haben. Je schicker die Ausstattung, desto mehr zahlt die Versicherung.

In der Belvedere-Etage im Ernst-von-Bergmann-Klinikum in Potsdam etwa blicken Patienten weit über die Dächer der historischen Stadt. In der "Seniorsuite" trennt eine Zwischenwand die Ledersitzgruppe und den Schreibtisch vom geräumigen Schlafzimmer. Im obersten Stockwerk dieses Krankenhauses liegt Parkettboden und kein Linoleum, so wie im Rest des Gebäudes. Nur eine Etage tiefer ändert sich das Bild. Hier stehen sperrige Gerätschaften in den Fluren. Ein alter Mann im blauen Bademantel wandert umher, zwei Krankenschwestern manövrieren ein Bett samt Patienten an ihm vorbei. Die Türen stehen offen, in einem Zimmer liegt ein Patient bäuchlings auf seinem Bett und schaut mit trübem Blick heraus.

Auf der Komfortstation dagegen herrscht Ruhe. Servicemitarbeiterinnen bringen am Nachmittag Cappuccino und Kuchen ans Bett. Neue Patienten begrüßt eine Dame in einem lichten Büro, um mit ihnen gemeinsam die nötigen Formulare auszufüllen. Kassenpatienten ohne Extraversicherung müssen stattdessen im Erdgeschoss eine Nummer ziehen. Das Klinikum will bald anbauen. In einer zehnten Etage wolle man jedem Komfort-Patienten künftig eine eigene Terrasse bieten. Die Privatversicherungen werden auch das entsprechend vergüten.

Für Kassenpatienten gibt es das Gemeinschaftsklo auf dem Gang

Die teuerste Privatstation Deutschlands besitzt das Berliner Unfallkrankenhaus. Der Anspruch der Zimmer sei "vier Sterne plus", sagt der ärztliche Koordinator, Ullrich Meier. Man biete neben Echtholzparkett auch Tresore, in denen Schusswaffen verstaut werden können. Prominente Patienten, die Personenschutz brauchen, können ganze Flure absperren lassen. Politiker aus dem In- und Ausland ließen sich hier behandeln, sagt Meier. Das Sicherheitspaket mitsamt Bodyguards kostet mehrere Tausend Euro - am Tag.

Während im Unfallkrankenhaus auch die Kassenpatienten in vergleichsweise modernen Zimmern liegen, sind anderswo die Unterschiede drastischer. Im Juni eröffnete zum Beispiel auch das Vivantes-Klinikum in Berlin-Friedrichshain einen Neubau, aus dessen Dachgeschoss Gäste nun über den nahen Volkspark blicken können: "Ein besonderer Höhepunkt ist die aufwendig gestaltete Komfortstation", schrieb die Presseabteilung damals, die "gegen eine gewisse Zuzahlung jedem Patienten des Hauses offen steht." Gebrechliche Kassenpatienten, die sich diese gewisse Extrasumme nicht leisten können, teilen sich im selben Haus dagegen noch Gemeinschaftstoiletten auf dem Flur. Die Qualität der medizinischen Behandlung allerdings, das betonen alle Kliniken, sei in den Hotelzimmern nicht anders als auf den Standardstationen.

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