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Spätmittelalter

Helios-Chef mahnt echte Innovation an

Wirtschaft / Lesedauer: 4 min

Francesco De Meo fordert von Medizintechnikanbietern stärkeres Kostenbewusstsein – und Neuerungen zum Wohle des Patienten
Veröffentlicht:26.12.2017, 19:08

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Da Vinci ist rund einen Meter achtzig groß, hat vier Arme und steht auf einer beweglichen Konsole. Nein, es handelt sich bei dem Ungetüm nicht um den berühmten italienischen Universalgelehrten aus dem Spätmittelalter. Da Vinci ist ein Operationsroboter des US-amerikanischen Medizintechnikunternehmens Intuitive Surgical . An einem Ende der Arme sitzt eine Kamera, die anderen drei nehmen Operationsinstrumente auf; der Chirurg sitzt abseits des OP-Tisches, blickt auf ein dreidimensionales Bild und steuert über zwei Joysticks die Roboterarme im Körper des Patienten.

Was wie eine Zukunftsvision klingt, ist längst Realität in den Operationssälen. Der Schöpfer von Da Vinci wirbt mit kontrollierteren und präziseren Operationen. Doch längst nicht alle sind von der neuen Technik überzeugt. Francesco De Meo, Chef von Europas größter privaten Klinikgruppe Helios mit Sitz in Berlin, sagt, in Deutschland nicht einen Da Vinci im Einsatz zu haben. Der Grund dafür seien nicht die zwei Millionen Euro, die ein solches System in der Anschaffung kostet. Auch der häufige Tausch der Instrumente sei nicht ausschlaggebend – Da Vinci zählt jeden Einsatz mit und versagt nach zehn Operationen mit dem gleichen Besteck seinen Dienst. „Uns fehlt der Beweis eines medizinischen Vorteils gegenüber einer manuellen Operation”, führt De Meo stattdessen an.

Auf einer Veranstaltung in Tuttlingen anlässlich des diesjährigen Jubiläums „150 Jahre Weltzentrum der Medizintechnik“ diktierte der in Albstadt geborene und in Burladingen aufgewachsene Helios-Chef den versammelten Gästen aus der Branche in das Pflichtenheft, bei Produktneuentwicklungen den Kostenaspekt stärker zu berücksichtigen und den Fokus, der zurzeit noch stark auf dem behandelnden Arzt liegt, auf den Patienten zu richten. „Innovationen müssen nachweislich dem Patienten helfen. Heute sind viele Produkte auf dem Markt, die viel mehr können als notwendig. Ich verstehe, dass Medizintechnikanbieter von ihren Entwicklungen begeistert sind. Doch das macht es oftmals unnötig teuer, und wir verbringen aktuell noch zu viel Zeit damit, Hype von Innovation zu unterscheiden.”

Das Wort von De Meo hat durchaus Gewicht – in der Branche im Allgemeinen und in Tuttlingen mit seinen rund 400 Medizintechnikunternehmen im Besonderen. Die Helios-Gruppe behandelt deutschlandweit in 111 Akut- und Rehabilitationskliniken und in 89 medizinischen Versorgungszentren rund 5,2 Millionen Patienten im Jahr und gibt jährlich zwischen 200 und 240 Millionen Euro allein für Medizintechnik aus. Ein Teil davon fließt auch in die Kassen der Tuttlinger Medizintechnik-Firmen.

Was für De Meo unter den Innovationsbegriff fällt, sind Anwendungen zur Vernetzung von Kliniken, ist die stärkere und vor allem lückenlose Nutzung digitaler Daten, etwa bei der Terminvereinbarung oder bei der Patientendokumentation, ist die Automatisierung von Prozessen in Kliniken und Ambulanzen und ist ein digitaler Zugang zum Patienten, etwa um Befunde, Diagnosen und Arztbriefe auf das Smartphone zu übertragen oder um eine Rehamaßnahme zu Hause via Tabletcomputer zu begleiten. „Anwendungen, die uns dabei unterstützen sind herzlich willkommen”, sagt De Meo.

Potenzial bei den Prozessen

Vor allem im Bereich der Prozessautomatisierung sieht der 54-Jährige noch großes Potenzial und gibt ein Beispiel: Habe die Pflegedokumentation in den Häusern der Helios-Gruppe früher durchschnittlich 15 Minuten Zeit in Anspruch genommen, benötige man dafür heute durch die Digitalisierung der Abläufe nur noch rund zwei Minuten. De Meo verglich ein Krankenhaus mit einem Produktionsunternehmen: „Prozessautomatisierungen sind da definitiv möglich, und sie können dabei helfen, mehr Zeit für den Patienten zu gewinnen.“

Dass in der Beschaffungspraxis großer Klinikketten letztlich aber doch nicht alles einer kühlen Kosten- und Nutzenkalkulation unterworfen werden kann, zeigt das Beispiel Da Vinci: In Spanien, wo Helios mit seiner Tochter Quirónsalud 44 Kliniken betreibt, sind sechs dieser Operationsroboter im Einsatz. „Die Spanier lieben das Ding“, sagt De Meo. Und das sorgt dafür, dass Helios Patienten aus Regionen bekommt, die eigentlich in anderen Häusern operiert werden würden.

Von der Juristerei zur Medizin

Francesco De Meo (Jahrgang 1963) ist in Albstadt (Zollernalbkreis) geboren und in Burladingen aufgewachsen. Nach Jurastudium und Promotion an der Universität Tübingen arbeitete De Meo zunächst als Anwalt in Stuttgart und von 1994 bis 2000 als Geschäftsführer einer Unternehmensberatung in Reutlingen. 2001 wechselte der Jurist in die Geschäftsführung von Helios, seit 2008 ist er deren Vorsitzender. Parallel dazu ist er Vorstandsmitglied des im Dax notierten Gesundheitskonzerns Fresenius, dem die Helios-Gruppe gehört.