Gesundheit: Die Herren der Daten

Krankenkassen sehen sich als ideale Verwalter von Gesundheitsdatenbanken. Doch ein Schweizer Modell zeigt: Es geht auch anders.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 1 Kommentar lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Susanne Donner
Inhaltsverzeichnis

"Schicken Sie bitte erst einmal alle medizinischen Unterlagen." Diese Antwort müssen Patienten wohl bald nicht mehr hören. In nicht allzu ferner Zukunft sollen sie ihre medizinischen Daten digital in einer Gesundheitsdatenbank ablegen und Ärzte per Klick darauf Zugriff erhalten können – mit dem Ziel einer schnelleren und individuelleren Behandlung.

"Ob diese Gesundheitsdatenbank kommt, ist nicht mehr die Frage, sondern wer sie verwaltet", sagt Andreas Vogt, Leiter der Landesvertretung Baden-Württemberg der Techniker Krankenkasse (TK). Als nicht gewinnorientierte Körperschaft öffentlichen Rechts sehen sich Krankenkassen als prädestiniert, die Verwaltungshoheit – und damit die Macht – über den Datenberg zu erlangen. Die TK hat dabei in Deutschland die Nase vorn: Sie errichtet derzeit gemeinsam mit IBM eine solche Datenbank. Die Patienten können dann wahlweise dem Arzt oder der Kasse Einblick gewähren. Doch wie viele das tun, wird sich zeigen. Denn die gesetzlichen Krankenkassen genießen längst kein uneingeschränktes Vertrauen mehr, weil sie bekanntlich auf ihr Budget schauen und versuchen, Ausgaben abzuwälzen.

Mehr Infos

Die Schweiz dagegen legt die Macht über die Daten ganz in Bürgerhände – ein bislang einzigartiges Konzept. Nur die Bürger entscheiden, wer mit ihren Gesundheitsdaten verdient oder forscht. Als Genossenschaften sind bereits seit 2013 zwei Gesundheitsdatenbanken mit Bürgerbeteiligung im Aufbau: healthbank.coop und midata.coop.

Healthbank richtet sich direkt an Patienten. Diese entscheiden selbst, welche Gesundheitsinformationen – vom Blutbild bis zum DNA-Profil – sie dort speichern wollen. Möchte ein Pharmaunternehmen mit den Daten forschen, muss es fragen und bezahlen. Den Erlös teilen sich die beteiligten Datenspender. "Es ist eine Art eBay für Gesundheitsdaten", sagt Geschäftsführer Reto Schegg. "Jeder Bürger hat eine Stimme, Partikularinteressen des Staates und von Unternehmen sind bei diesem demokratischen Ansatz außen vor."

TR 12/2017

Technology Review 12/2017

(Bild: 

[Link auf https://shop.heise.de/zeitschriften/technology-review]

)

Der Text stammt aus der Dezember-Ausgabe von Technology Review (ab 9.11. im Handel und im heise shop erhältlich). Weitere Artikel des Hefts:

Allerdings sind laut Schegg erst 500 Profile eingestellt. Einen Datendeal mit der Pharmaindustrie gab es auch noch nicht. Deshalb entwickelt die Genossenschaftsbank derzeit mit drei Millionen Euro Wagniskapital einen digitalen Medikationsplan. Geldgeber sind in erster Linie Privatpersonen und das Schweizer Pharmalogistik-Unternehmen Galenica. Die Patienten sollen dann über healthbank ihre Medizin nachbestellen können, was anders als in Deutschland über elektronische Rezepte möglich ist. Das Portal wäre dann Gesundheitsdatenbank und Online-Apothekentür in einem, woran insbesondere Galenica als Betreiber mehrerer Apothekenketten ein kommerzielles Interesse haben dürfte.

Midata.coop arbeitet nach einem anderen Prinzip. Die Gesundheitsdatenbank stellt die Forschung in den Mittelpunkt. Wissenschaftler können mit Einwilligung der Bürger deren Gesundheitsdaten aus unterschiedlichen Projekten in dem Portal parken. "Ein Großteil der Patienten stellt seine Daten gern der Forschung zur Verfügung", sagt Mitbegründer Ernst Hafen von der ETH Zürich. Eine Vergütung gibt es allerdings nicht. "Wir möchten keinen Anreiz für einen unlauteren Gesundheitsdatenhandel analog zum illegalen Organhandel setzen."

Auch diese Datensammlung steckt noch in den Anfängen. Derzeit liegen lediglich Angaben zu Gewicht und Gesundheitszustand sowie die Bewegungsprofile von 70 dickleibigen Patienten vor. Deren Magen war am Inselspital in Bern verkleinert worden. Aktuell kommen Daten von Multiple-Sklerose-Patienten hinzu – aber mehr gibt es noch nicht.

Dennoch hat sich das Modell unter Forschern herumgesprochen. Denn mithilfe der Genossenschafts-Datenbanken können sie dieselbe Studie in mehreren Städten durchführen und sich mit relativ wenig Aufwand die Rohdaten teilen. Prüfung und Genehmigungsverfahren neuer Therapien ließen sich dann schneller durchführen – was im Idealfall wieder den Patienten zugute kommt. In England, den Niederlanden und Deutsch-land sind laut Hafen ähnliche Genossenschafts-Datenbanken angedacht.

(bsc)