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„Das Wachstum wird nicht ewig andauern“

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Linksherzkatheter, Strahlentherapie, neue Operationssäle, Pardeck, Blockheizkraftwerk, Sanierung der Tiefgarage – rund 20 Millionen Euro steckt der Landkreis in diesem und den kommenden drei Jahren ins Krankenhaus Agatharied.

Geschäftsführer ist seit sechs Jahren Michael Kelbel. Zuvor war der 53-Jährige Co-Geschäftsführer der Kliniken Pasing und Perlach.
1 / 2Geschäftsführer ist seit sechs Jahren Michael Kelbel. Zuvor war der 53-Jährige Co-Geschäftsführer der Kliniken Pasing und Perlach. © Andreas Leder
Das Krankenhaus Agatharied, eine gemeinnützige GmbH mit rund 1000 Mitarbeitern unter der Trägerschaft des Landkreises, wurde auf der grünen Wiese neu erbaut und 1998 eröffnet. Es verfügt über rund 350 Betten und ein mittlerweile breites medizinisches Leistungsspektrum.
2 / 2Das Krankenhaus Agatharied, eine gemeinnützige GmbH mit rund 1000 Mitarbeitern unter der Trägerschaft des Landkreises, wurde auf der grünen Wiese neu erbaut und 1998 eröffnet. Es verfügt über rund 350 Betten und ein mittlerweile breites medizinisches Leistungsspektrum. © Thomas Plettenberg

Ein ordentlicher Brocken, möchte man meinen. Doch Geschäftsführer Michael Kelbel (53) spricht davon, dass für wirkliche Zukunftsprojekte nichts mehr übrig bleibt. Gute Perspektiven für das Haus sieht der Diplom-Kaufmann, der seit Mai 2012 an der Spitze der Klinik steht, trotzdem. Welche Pläne er hat und wie es mit Agatharied weitergeht, verrät er im Interview.

Herr Kelbel, der Kreistag bewilligt der Klinik über den Haushalt rund 20 Millionen Euro, und es reicht Ihren Worten nach trotzdem nicht für künftige Projekte. Das müssen Sie erklären.

Bei dem Paket handelt es sich im Grunde nicht um eine Zukunftsinvestition, es bereinigt den aktuellen Status. Katheter, Strahlentherapie, OP-Säle – das alles gibt es ja schon. Die Krankenhaus-Gesellschaft ist bei der Finanzierung in Vorleistung gegangen, jetzt wird das Geld von einer Bilanz in die andere überführt. Bekanntermaßen ist die Krankenhaus Agatharied GmbH nur für den laufenden Betrieb zuständig, bei Investitionen oder Erweiterungen muss der Landkreis als Eigentümer ran. Erschwerend kommt hinzu, dass das Krankenhaus als Gemeinschaftsprojekt von Landkreis und Bezirk gebaut wurde. Bevor hier nicht eine klare Trennung der Eigentumsverhältnisse vollzogen ist, hat der Landkreis also kein Stück Grund allein und tut sich schwer, etwas Neues zu bauen. Es sieht aber danach aus, als könnte nach langen Verhandlungen heuer im Sommer die Realteilung erfolgen.

Erst dann kann also auch der Bau des Parkdecks starten?

Richtig. Wenngleich das Parkhaus auch kein Zukunftsprojekt ist. Das hätte es schon vor Jahren gebraucht.

Worin sehen Sie dann die Zukunft? Wie sieht Ihr Geschäftsmodell aus?

Zwei große Vorhaben sind in dem Investitionspaket nicht abgebildet. Das eine ist ein neues Bettenhaus mit 32 Komfortzimmern auf zwei Stockwerken und einer Abteilung für Geriatrische Rehabilitation mit 32 Betten im Erdgeschoss. Das andere ist ein Funktionsgebäude mit integriertem Notfallzentrum, einer neuen OP-Spange, einer Abteilung für Intensivmedizin und möglicherweise einem Tagungszentrum. Das Bettenhaus könnte an ein bestehendes angebaut werden. Für das Funktionsgebäude haben wir den Hubschrauberlandeplatz im Blick. Dieser würde dann auf das Dach wandern.

Der Kreishaushalt lässt keinen Spielraum erkennen. Wie wollen Sie das bitte finanzieren?

Es besteht ein maximales Eigeninteresse der Bevölkerung an einer Abteilung für Geriatrische Rehabilitation. Ich bin guter Dinge, einen Großteil der dafür erforderlichen vier Millionen Euro über Spenden finanzieren zu können. Bei den rund acht Millionen Euro für das Bettenhaus wäre wieder der Landkreis gefragt. Hier kam im Aufsichtsrat die Idee auf, vielleicht lieber in ein Zukunftsprojekt des Krankenhauses als in ein Parkhaus zu investieren und für Letzteres einen Investor und Betreiber zu suchen.

Wie steht der Landkreis zum Funktionsgebäude?

Das ist vorrangig ein Thema für den Freistaat. Wir haben schon vorgefühlt, wie das Gesundheitsministerium zu einer Arrondierung des Geländes steht. Aus Sicht des Freistaats besteht momentan aber keine Notwendigkeit für neue Investitionen – unser Krankenhaus ist noch zu jung. Aktuell sind wir deshalb dabei, den Nachweis zu erbringen, dass wir in vielen Bereichen Defizitflächen haben sowie prozessuale Probleme, die sich nur durch einen Neubau beheben lassen. Ich gehe davon aus, dass die Studie bis Ende des Jahres vorliegt. Aus heutiger Sicht ist es aber völlig offen, wann dieser Funktionsbau realisiert werden kann.

Wie sieht eigentlich der finanzielle Spielraum des Krankenhauses aus, um solche Projekte zu stemmen?

Als Betriebsgesellschaft haben wir nicht die Liquidität, um solche Ausgaben sofort tätigen zu können. Da muss immer der Eigentümer als Finanzier einspringen. Wir können aber versuchen, Überschüsse zu erwirtschaften, um die Finanzierungskosten zu tragen. Ich fürchte nur, dass der Spielraum dafür in Zukunft eher geringer wird. Die Branche Gesundheitswesen ist grundsätzlich nicht darauf ausgerichtet, wahnsinnige Überschüsse zu produzieren. In den vergangenen fünf Jahren haben wir den Umsatz um 35 Prozent gesteigert, die Fallzahlen sind gestiegen, aber trotzdem hat sich das Ergebnis nicht verbessert. Warum? Wir haben alles sofort wieder investiert, beispielsweise ins Personal oder ein zusätzliches medizinisches Angebot.

Die Bilanz 2017 hat sich schlechter entwickelt als erwartet. Wie hoch wird der Verlust ausfallen?

Genaue Zahlen liegen noch nicht vor, aber ich rechne mit 500 000 bis 800 000 Euro. Wir hatten im Oktober und November einen untypischen Rückgang von Patienten mit schweren Erkrankungen, was zu einem direkten Umsatzausfall von rund 1,4 Millionen Euro geführt hat. Das ließ sich bis zum Ende des Jahres nicht mehr auffangen. Gleichzeitig konnten die beiden neuen Operationssäle nicht wie geplant in Betrieb gehen.

Was lernen Sie daraus für die Zukunft?

Wir werden genauer hinschauen, wie Leistungen bei uns erbracht werden. Bei den Kostenstrukturen haben wir wenig Möglichkeiten, wir müssen vielmehr bei den Abläufen ansetzen. Finanziell Luft verschaffen wir uns nur über die Optimierung von Prozessen. Beispielsweise, indem wir Leerlaufzeiten rausnehmen. Das würde auch den Patienten entgegenkommen.

Wie weit sind Sie mit der elektronischen Krankenakte? Auch die könnte doch zu besseren Abläufen beitragen.

Die Digitalisierung ist ein extrem wunder Punkt und eigentlich vom Freistaat über Fördermittel zu bezahlen. Von den 1,2 Millionen Euro, die wir pro Jahr für Medizintechnik, Haustechnik und IT bekommen, geben wir drei Millionen aus. Man sieht also, da ist nicht wirklich Luft, um einen echten Fortschritt in der Digitalisierung zu erzielen. Der Freistaat verkündet vollmundig, dass er die Krankenhausförderung in Bayern um 140 Millionen Euro auf 640 Millionen aufgestockt hat. Das ist aber die Summe, die wir 1994 schon mal hatten. Wir hängen bei der IT extrem nach und bauen nicht darauf, dass der Freistaat sein Füllhorn ausschüttet. Wir werden das aus eigener Kraft irgendwie hinkriegen müssen.

Könnte eine Steigerung der OP-Zahlen finanziell helfen? Mit den neuen OP-Sälen hätten Sie zumindest die Voraussetzungen dafür geschaffen.

Natürlich bereiten wir uns darauf vor, dass die Fallzahlen weiter steigen, nicht zuletzt durch die neue Hauptabteilung Unfallchirurgie und Orthopädie. Inzwischen bekomme ich die positive Rückmeldung, dass sich die Lage in den neuen OPs auch eingespielt und entzerrt hat. Dieser Komfort wird so aber nicht bleiben. Wir müssen deshalb jetzt die Prozesse anschauen und auch hier überlegen, wie man das optimieren kann.

Wie weit wird das Wachstum gehen?

Mein Antrieb ist es nicht, Umsatz zu generieren. Mein Ansatz ist vielmehr zu überlegen, welche berechtigte Nachfrage nach medizinischer Leistung es in der Region gibt und wo unser Auftrag noch nicht komplett abgebildet ist. Ich denke, den Punkt, an dem wir der Bevölkerung das richtige Leistungsportfolio anbieten und es auch vernünftig abbilden können, haben wir langsam erreicht. Das Wachstum wird also nicht ewig andauern.

Trotzdem zielen Sie mit Ihrem medizinischen Angebot bewusst und weiterhin auch auf Patienten von außerhalb ab.

Um überhaupt die Qualität halten zu können, braucht es für die jeweilige Einheit eine gewisse Größe, und die definiert sich über Patientenzahlen. In zwei bis drei Jahren wird es vom Gesetzgeber Mindestmengenvorgaben in Hülle und Fülle geben. Heißt: Die Kassen erstatten der Klinik bestimmte OP-Kosten dann nur noch, wenn diese eine Mindestzahl dieser OPs pro Jahr durchführt. Wir brauchen also diese spezialisierten Leistungen und damit auch Patienten von außerhalb, um die Basismenge halten zu können.

Bieten sich da nicht Kooperationen mit anderen Kliniken an?

Die sind in Zukunft zwingend erforderlich. Es stellt sich nur die Frage, ob sie in unserem Fall realistisch sind. Eine Kooperation, beispielsweise mit Bad Tölz, bringt nichts, wenn man den Bürger nicht mitnimmt und er stattdessen gleich nach München fährt. Als Klinik müssen wir gut überlegen, welche Leistungen

wir tunlichst selbst vor Ort anbieten.

Das Krankenhaus hat sich kürzlich selbst Konkurrenz vom Hals geschafft und Orthopädensitze aufgekauft. In Miesbach gibt es jetzt ein Medizinisches Versorgungszentrum.

Wir haben mitbekommen, dass Kliniken aus benachbarten Landkreisen Praxen im Landkreis übernehmen und sich so eine feste Einweiserstruktur aufbauen wollten. Da mussten wir tätig werden. Zum anderen sind wir maximal daran interessiert, die Versorgung zu vernetzen und ein möglichst perfektes medizinisches Leistungsbündel aus einer Hand für die Bürger des Landkreises anzubieten. Da bietet sich der orthopädische Bereich an.

Gibt es diesbezüglich weitere Planungen?

Wir sind als Krankenhaus aufgefordert, darüber nachzudenken, welche Leistungen wir zwingend stationär erbringen müssen und welche ambulant möglich sind. Die Klinik ist freilich nur auf stationäre Leistungen ausgerichtet. Wir haben deshalb Räume im Holzkirchner Atrium angemietet und werden dort Mitte des Jahres ein ambulantes OP-Zentrum in Betrieb nehmen. In diesem Zentrum werden dann Ärzte aus dem Krankenhaus und niedergelassene Ärzte operieren.

Wird es weitere Zukäufe geben, möglicherweise auch in anderen Fachbereichen?

Das ist nicht geplant und käme nur infrage, wenn andere Arztgruppen gezielt auf uns zukommen.

Vor Kurzem hat Dr. Markus Knöringer mit seiner Praxis das Krankenhaus verlassen. Was passiert jetzt mit der Neurochirurgie?

Wir konnten seinen Konsiliararztvertrag in der vorliegenden Form nicht weiterführen und haben ihn deshalb gekündigt. Unser Problem ist auch, dass es seit Jahresbeginn beim Verletztenartenverfahren der Unfallversicherung neue Vorgaben gibt. An diesem Verfahren nehmen wir teil, um Verletzte nach Arbeitsunfällen behandeln zu dürfen. Die Bestimmungen lauten jetzt, dass wir rund um die Uhr die Neurochirurgie vorhalten müssen. Wir werden also in Kürze einen leitenden Oberarzt für Neurochirurgie einstellen.

Der eine Arzt wird aber nicht rund um die Uhr an Bord sein können.

Deshalb gibt es eine Kooperation mit der Unfallklinik in Murnau, die jetzt schon greift. Der Neurochirurg wird auch nicht bei jeder OP nach einem Arbeitsunfall zum Einsatz kommen. Wir brauchen aber die Behandlungskompetenz. Ganz praktisch heißt das: Wenn wir diese Bedingung nicht erfüllen und beispielsweise ein Landwirt mit einer Schnittwunde, die er sich bei der Feldarbeit zugezogen hat, ins Krankenhaus kommt, dürften wir ihn nicht behandeln, sondern müssten ihn weiterschicken.

Operationen und Ärzte sind das eine, einen wesentlichen Stützpfeiler eines Krankenhauses bilden aber auch die Pflegekräfte. Wie bewerten Sie deren derzeitige Lage?

Wir haben einen Stellenplan, der angemessen und auch ausgefüllt ist. Dass immer wieder Wechsel stattfinden, hat viel mit familiären Gründen zu tun. In diesem Beruf arbeiten in erster Linie Frauen. Momentan dauert es etwa vier Monate, bis wir eine Stelle wieder besetzt bekommen. Aber zumindest bekommen wir sie besetzt. Viele Münchner Kliniken schaffen das nicht.

Ist die Zahl der Pflegekräfte nicht generell zu niedrig?

Seriöse Berechnungen zeigen auf, dass deutschlandweit mindestens 100 000 Pflegestellen in den Krankenhäusern fehlen – wohlgemerkt Stellen. Darüber hinaus sind ja bereits heute längst nicht alle vorhandenen Stellen besetzt. Aber selbst wenn es diese Stellen gäbe, woher sollen die Pflegekräfte kommen? Wir müssen dringend die Attraktivität des Berufs steigern und das Thema Wertschätzung angehen, also die Pflege in ihrer Professionalität annehmen und ernst nehmen. Dieser Appell geht insbesondere an die Berufsgruppen, die mit den Pflegekräften zusammenarbeiten, also die Ärzte. Da denke ich an so Selbstverständlichkeiten wie die Einhaltung von Visitenzeiten. Die Pflege hat ja auch ein Tagesprogramm. Es kann nicht sein, dass es zu Überstunden kommt, weil Pflegekräfte ärztliche Anweisungen nacharbeiten müssen.

Das Krankenhaus hat inzwischen italienische Pflegekräfte akquiriert, um den Bedarf zu decken. Wie reagiert das bestehende Personal?

Die ersten fünf Italiener sind seit Anfang März im Haus. Nach den Sprachkursen, die sie in ihrer Heimat begonnen haben und hier fortsetzen, ist ihr Deutsch mittlerweile ganz gut. 14 weitere Pflegekräfte werden in den kommenden Monaten folgen. Dass sie gut ausgebildet sind und inzwischen in Grundzügen auch die Sprache beherrschen, hat vielen Kritikern den Wind aus den Segeln genommen. Es ist ja auch so, dass sie hiesigen Pflegekräften keinen Platz wegnehmen.

Wo wohnen die neuen Mitarbeiter?

Wir haben sie allesamt hier auf dem Campus in frei gewordenen Wohnungen untergebracht. Das war eine Vorbedingung. Das alles soll nicht zulasten auch unserer Pflegeschüler gehen. Für sie wird es weiter günstigen Wohnraum geben.

Abschließend noch ein Wort zur Verweildauer. Ist der Eindruck richtig, dass Patienten schneller als früher aus dem Krankenhaus entlassen werden?

Die durchschnittliche Verweildauer liegt bei 5,6 Tagen, das hat sich in den letzten Jahren nicht merklich verändert. Sie wird in Summe künftig wohl eher zunehmen, weil wir am Krankenhaus das Potenzial für ambulante Eingriffe gar nicht mehr haben und die Schweregrade bei den Patienten zunehmen. Es gibt immer mehr ältere Patienten, die wegen gleich mehrerer Erkrankungen extrem behandlungsbedürftig sind.

sh

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