Herr Weindel, hat das Klinikum ein Personalproblem im Pflegebereich?

Ja. Wir haben momentan elf Stellen von 280 nicht besetzt, obwohl wir ausschreiben, zusätzlich ausbilden oder ausländische Pflegekräfte anwerben. Aber der Pflegepersonalmangel ist auch in unseren drei Krankenhäusern spürbar.

Warum ist es so schwierig, diese freien Stellen zu besetzen?

Wir haben die Plätze in der Ausbildung aufgestockt und bieten zusätzliche Ausbildungsgänge an. Unsere Kurse kriegen wir voll, aber der Bedarf ist höher. Das heißt, es gibt nicht genügend Bewerber. Der Beruf kann sehr erfüllend sein, aber eben auch sehr stressig. Viele Krankenhäuser bilden aus, aber da dieser Beruf zu 80 Prozent von Frauen erlernt wird, stehen sie in der Familienphase zeitweilig eben nicht zur Verfügung. Frauen bekommen Kinder, fehlen wegen Mutterschutz und Elternzeit und arbeiten danach am liebsten in Teilzeit. Das ist keine Wertung, sondern eine nüchterne Betrachtung. Wir bieten deshalb auch Teilzeit oder flexible Arbeitszeiten an, aber wir müssen unsere Patienten ja trotzdem rund um die Uhr versorgen. Wir tun viel, aber es fehlt trotzdem an Fachpersonal. Das ist ein existenzielles Problem.

Warum stellen Sie dann nicht mehr Pflegepersonal ein, um die Arbeit vielleicht besser zu verteilen?

Es täte der Versorgung der Patienten tatsächlich gut, wenn wir mehr Pflegekräfte einstellen könnten – wenn es genügend Bewerber gäbe. Dann kommt allerdings die Finanzierungsproblematik im Gesundheitswesen dazu, die schlägt da voll durch. Wir hätten gern und bräuchten mehr Geld für zusätzliche Pflegekräfte, gar keine Frage.

Und was tun Sie, um die Fachkräfte, die Sie haben, zu halten?

Eine Menge. Wir haben beispielsweise zur Entlastung des Pflegepersonals Servicekräfte eingestellt. Die helfen dem Patienten beispielsweise beim Tasche packen, sie bringen Wasser oder erledigen kleine Gänge. Oder es gibt Hilfspersonal, das nachts Regale auffüllt oder beim Patiententransport unterstützt. Andere Angebote werden als Leistungen unseres Hauses für die Mitarbeiter gar nicht so zur Kenntnis oder angenommen, das betriebliche Gesundheitsmanagement etwa oder die Möglichkeit, vergünstigt einen „MCB-Mini“ zu leasen, in unserer Apotheke oder dem Zentrallager einzukaufen und einiges mehr. Die Möglichkeiten sind nicht riesig. Ich würde gern mehr tun, wenn wir dafür Budgets hätten.

Gerade im letzten Bundestagswahlkampf war das Thema Pflegenotstand allgegenwärtig. Können Sie das unterschreiben?

Wir wissen bereits heute, dass in wenigen Jahren 480 000 Pflegekräfte in Krankenhäusern und Pflegeheimen fehlen werden, denn Deutschland wird immer älter. Die Gruppe der über 60-Jährigen wächst kontinuierlich und mit ihr der Bedarf an Pflegepersonal. Diese Zahl ist überhaupt nicht fassbar. Eigentlich müsste die Hälfte der Schulabgänger in die Pflege gehen, um diesen Bedarf auszubilden. Und dieser absehbare Fachkräftemangel trifft ja nicht nur das Gesundheitswesen, er trifft Polizei oder Lehrerschaft gleichermaßen. Wir stehen im Grunde vor einer Katastrophe. Selbst wenn die Bundesregierung jetzt Personaluntergrenzen in der Pflege festlegt und sie tatsächlich bezahlt, ist immer noch die Frage, ob man so viele Leute auf dem Arbeitsmarkt bekommt. Wir sind gespannt, was auf uns zukommt.

Was müsste denn aus Ihrer Perspektive passieren, um diesem Pflegenotstand nicht sehenden Auges entgegenzulaufen?

Ich habe meine Zweifel, dass etwas Wirkungsvolles passiert, weil sich in den vergangenen 30, 40 Jahren eben nicht viel getan hat. Nur waren die Babyboomer früher noch im Beruf, die jetzt alle in Rente gehen. Ich bin davon überzeugt, dass die Spezialisten in der Pflege einfach adäquat bezahlt werden müssten. Aber das ist ein Tarifproblem. Gut ausgebildete oder qualifizierte Kräfte müssen besser verdienen und für Hilfstätigkeiten müsste man abgestufte Tarife haben.

Sie sind Klinikchef. Warum machen Sie das nicht einfach so?

Wir zahlen Tarif und halten auch daran fest, weil es für alle eine verlässliche Größe ist. Aber dieser Tarif müsste differenzierter gestaltet werden. Wenn eine OP-Schwester oder eine onkologische Pflegekraft mit Zusatzqualifikation mehr verdient, würden vielleicht auch mehr diesen Beruf wählen. Es ist eine herausfordernde Tätigkeit, in der Krankenpflege zu arbeiten. Dazu Nachtdienst, Schichtdienst, Wochenenddienst oder auf der Intensivstation: Das müsste aus meiner persönlichen Sicht anders und viel besser vergütet werden. Aber das müssen die Tarifpartner miteinander verhandeln.

Haben Sie keine Möglichkeiten, Zusatzanreize zu setzen, um Pflegepersonal zu bekommen?

Das machen wir. Mitarbeiter unserer Intensivstationen erhalten jährlich eine Prämie, wenn sie uns ein komplettes Wirtschaftsjahr die Treue halten. Wir honorieren auch, wenn unsere Mitarbeiter neue Kollegen anwerben. Allein in dieses Zuschussprogramm für das deutschlandweit dringend gesuchte Personal von Intensivstationen investieren wir jährlich rund 200 000 Euro für alle drei Häusern.

In der vergangenen Woche wurde auch an der Klinik Tettnang, die zum MCB gehört, gestreikt. Dann müssten Sie ja befürworten, wenn die Gewerkschaft Verdi 6 Prozent mehr Lohn auch für Pflegekräfte durchsetzt?

Dann brauchen die Krankenhäuser von den Krankenkassen aber auch entsprechend mehr Geld, weil wir unsere Preise ja nicht selbst gestalten können. Wir bekommen diesen Tarifanstieg ja nicht, sondern nur den Durchschnitt dessen, was die Beschäftigten in Deutschland mehr bekommen. Das heißt, die Schere zwischen Mehrausgaben fürs Personal und Mehreinnahmen von den Kassen geht noch weiter auseinander. Aber die Krankenkassen horten einen Überschuss von 35 Milliarden Euro. Das sind 35 000 Millionen! Die sind doch keine Sparkasse. Ein winziger Bruchteil für jedes Krankenhaus, und wir könnten allein im Klinikum Friedrichshafen 35 oder 40 Vollzeitkräfte mehr einstellen. Was glauben Sie, was wir dann für eine Pflege bieten könnten! Das ist ein Übel, kann ich Ihnen sagen.

In unserem Bericht über Pflegemängel im Klinikum vor 14 Tagen wurde der Vorwurf formuliert, Ihnen als Klinikchef gehe es nur um den Gewinn fürs Haus und der Patient bleibe auf der Strecke. Was sagen Sie dazu?

Eigentlich möchte ich das nicht kommentieren, weil es bar jeglicher Vernunft ist. Wir haben im Krankenhaus zwei Finanzierungstöpfe. Der eine ist für Investitionen, den füllen das Land und in unserem Fall die Zeppelin-Stiftung. Für die Betriebskosten sind die Krankenkassen zuständig. Wir sind bei allem, was Gebäude oder medizinisches Gerät anbetrifft, dank der Stiftung wirklich gut ausgestattet. Für die Personal- und Sachkosten bekommen wir das Geld von den Kassen. Da sind die „guten Zeiten“ längst vorbei. Aktuell reicht das Geld nicht aus. Kurzum: Wir machen keinen Gewinn. Die Versorgung der Patienten wird von Jahr zu Jahr besser und teurer, auch wegen des medizinischen Fortschritts. Und wir brauchen mehr Personal, das wir angemessen bezahlen möchten. Das Geld dafür reicht aber nicht mehr. Wir haben intern umorganisiert, Abläufe optimiert, Möglichkeiten geschaffen, andere Einnahmequellen zu generieren… Die Zitrone ist ausgepresst, da geht nichts mehr.

Die Grippewelle im Frühjahr hat also die Problematik verschärft?

Wir hatten in den letzten Wochen und Monaten die schlimmste Grippewelle seit vielen Jahren, sowohl bei den Patienten als auch bei unseren Mitarbeitern mit extrem hohen Krankheitsquoten. Deshalb haben wir zeitweise zusätzliches Leihpersonal eingestellt, obwohl dieses uns zweieinhalb Mal so viel kostet. Letztlich haben wir unser Pflegepersonal auf weniger Stationen als normal konzentriert. Wenn das Haus dann maximal belegt ist, wächst die Unzufriedenheit bei Patienten und Angehörigen aber auch bei den Mitarbeitern, das ist klar. Dafür habe ich Verständnis. Aber wir sind jenseits aller Gedanken, an dieser Stelle einzusparen. Ganz im Gegenteil: Wir suchen Pflegekräfte, aber der Arbeitsmarkt ist leer. Und das ist im ärztlichen Bereich nicht sehr viel besser.

In den vergangenen Jahren blieb aber immer ein fünf- bis sechsstelliger Betrag übrig...

Unser Krankenhaus muss kostendeckend arbeiten, das ist der Auftrag. Es gab eine Zeit, da haben wir Gewinn gemacht und Mitarbeiter daran sogar mal beteiligt. Das hatte es bis dahin in einem öffentlichen Krankenhaus in Deutschland noch nie gegeben. 2009 hatten wir 3 Millionen Euro Überschuss und jedem in Vollzeit beschäftigten Mitarbeiter, ausgenommen Geschäftsführer und Chefärzte, eine Prämie von 500 Euro bezahlt.

Solche Gewinne sind nicht mehr drin?

Nein. Sie müssen sich nur die Ergebnisse der Kliniken in Baden-Württemberg in den vergangenen Jahren und deren Perspektiven anschauen. Die Krankenhäuser sind unterfinanziert. Wir sind kein profitorientiertes Krankenhaus, sondern ein öffentliches, und der öffentliche Auftrag lautet Kostendeckung. Dafür sichern ein breites medizinisches Angebot für die Bevölkerung und picken keine gewinnversprechenden Rosinen, wie es private Kliniken gern tun. Dafür und vor dem Hintergrund der geforderten Mindestmengen bei Operationen in Zentren brauchen wir die anderen beiden Krankenhäuser in Weingarten und Tettnang. Das haben wir gemacht. Punkt.

Fragen: Katy Cuko

 

Lage der Kliniken

Fast die Hälfte der Krankenhäuser im Südwesten beurteilten ihre aktuelle wirtschaftliche Lage im zweiten Quartal 2017 als schlecht, nur 14,9 Prozent als gut. So geht es aus dem im Dezember 2017 veröffentlichten Klinik-Report der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG) hervor. 51 Prozent der Häuser rechneten damit, das Jahr 2017 mit roten Zahlen abzuschließen. Und fast 70 Prozent der Kliniken gaben an, Schwierigkeiten zu haben, freie Stellen mit Pflegefachkräften zu besetzen. Pro Patient liegen die Kosten der Kliniken im Südwesten allein aufgrund der höheren Löhne fast 100 Euro über dem Bundesdurchschnitt.

Johannes Weindel

Johannes Weindel leitet seit 2005 das Klinikum Friedrichshafen und seit 2015 den Medizin-Campus Bodensee (MCB), zu dem die Klinik Tettnang und das Krankenhaus 14 Nothelfer in Weingarten mit insgesamt über 2000 Mitarbeitern gehören. Der 62-Jährige begann seinen Berufsweg übrigens selbst als Krankenpfleger. (kck)

Johannes Weindel
Johannes Weindel | Bild: Klinikum