Der Druck auf Gesundheitssenatorin Eva Quante-Brandt (SPD) wächst. Nach der Kritik an ihrem Führungsstil steht sie zunehmend auch fachlich unter Beschuss. Auf einer Veranstaltung der Deutschen Gesellschaft für soziale Psychiatrie (DGSP) zur Psychiatriereform in Bremen haben am Donnerstag Experten erneut deutlich gemacht, dass sie zur Versorgung psychisch kranker Menschen mehr erwarten als zeitlich befristete Modellprojekte. Es fehle ein Konzept, das an den Bedürfnissen der Patienten ausgerichtet ist und die Forderungen der Bürgerschaft umsetze, hieß es. Diese hatte 2013 beschlossen, die Psychiatrie im Land müsse neuen Ansätzen folgen. Von einer modernen Psychiatrie sei man zumindest im Klinikum Bremen-Ost (KBO) weit entfernt.
Die DGSP ist ein unabhängiger Fachverband, der sich nach eigenen Angaben für eine an den Menschenrechten orientierte Versorgung von psychisch Kranken einsetzt. Zur Veranstaltung im Bürgerzentrum Neue Vahr waren rund 90 Gäste gekommen, darunter Politiker, Klinikleiter, Vertreter der Behörde und der Kostenträger, Psychiatrie-Erfahrene und Psychiater.
Quante-Brandt nimmt Stellung
Mit erklärenden Worten versuchte Senatorin Quante-Brandt, ihren Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die Bürgerschaft habe 2013 für Bremen sehr ambitionierte Ziele gesteckt. "Wenn man dann nicht Tempo aufnimmt, kann sich Enttäuschung einstellen", räumte die Senatorin ein. Die Bürgerschaft fordert unter anderem, bis 2021 Behandlungsplätze in den Kliniken abzubauen und psychisch kranke Menschen in ihrem Umfeld zu behandeln. Quante-Brandt gab zu, dass der Abbau stationärer Plätze und die gleichzeitige Schaffung ambulanter Behandlungsmöglichkeiten zu langsam vorangeht. "Da bedarf es eines höheren Tempos und klarer Rahmenbedingungen, wie dieses Ziel umgesetzt werden kann", sagte sie. Zudem fehle in Mitte eine geeignete Immobilie für eine Tagesklinik.
Kein Grund dafür, dass die Reform nicht vorankommt, findet Wolfgang Rust. Er ist Geschäftsführer der Gesellschaft für Seelische Gesundheit beim Arbeiter-Samariterbund. Als Hemmschuh bezeichnete Rust die Leitung des KBO. Bundesweit seien fortschrittliche Modellprojekte in der Regel auf Initiativen von engagierten Klinikärzten entstanden. In Bremen beteilige sich die Leitung des KBO nur sehr zögerlich an der Verbesserung der Psychiatrie. Zu ihrem Ziel, psychisch Kranke künftig zu Hause aufzusuchen und so Krisen vorzubeugen, passe nicht, "dass die Klinik neuerdings Behandlungen für spezielle Probleme anbietet", so Rust. Man könne entweder die Klinikversorgung ausbauen oder die Behandlungen auslagern. Von der Senatorin, die auch Aufsichtsratsvorsitzende der Geno ist, verlangt er mehr Einsatz: "Da ist eine gewisse Zufriedenheit mit dem Prozess, die ich nicht nachvollziehen kann", monierte Rust und verwies auf die Forderung des Landesbehindertenbeauftragten, für psychisch kranke Menschen aufsuchende Hilfe zu schaffen und sie in die Lage zu versetzen, am öffentlichen Leben teilzuhaben.
Geno plant Erweiterungsbau
Hans-Georg Güse, Berater der Firma Mediconsult, belegte mit Zahlen des Statistischen Bundesamtes, dass von Reform keine Rede sein kann: Mit 110 Betten pro 100.000 Einwohner gebe es so viele Klinikplätze wie in keinem anderen Bundesland. "Da ist Bremen einsame Spitze. Alle anderen Länder liegen deutlich darunter." Während sich in anderen Städten die Dauer von psychischen Erkrankungen reduziere, stabilisiere sie sich in Bremen. Im Wirtschaftsplan des Klinikverbundes Gesundheit Nord (Geno) nehme die Anzahl der vollstationären Plätze zu. Dass sich die Klinikleitung intensiv um einen Erweiterungsbau bemühe, passe nicht zu ihrer Aussage, Patienten künftig zu Hause behandeln zu wollen. Güse geht davon aus, dass die Geno so ihre Einnahmen sichern will. "Und ich glaube, die Politik kann sich gegenüber dieser Praxis nicht durchsetzen."
Der Direktor des Zentrums für psychosoziale Medizin am KBO, Jens Reimer, verteidigte die Politik der Geno. Die Versorgung im häuslichen Umfeld der Patienten zu stärken, sei auch für die Klinikleitung essenziell. Doch dafür müssten auch die Rahmenbedingungen stimmen, sagte er, ohne Details zu nennen. Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes seien schlichtweg falsch. "Es gab nur einen geringen Bettenzuwachs in Bremen und der geht nicht auf die Geno zurück", so Reimer. Das KBO behandle heute viel mehr Patienten ambulant als noch vor Jahren und nutze mehr Plätze in den Tageskliniken.