S 15 KR 844/17

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 15 KR 844/17
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Berufung wird nicht zugelassen.
IV. Der Streitwert wird auf 593,39 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Streitig ist eine Krankenhausforderung in Höhe von 593,39 EUR. Die Beklagte ist eine gesetzliche Krankenversicherung. Die Klägerin ist Trägerin von Krankenhäusern und zur Behandlung der Versicherten der Beklagten berechtigt.

Die bei der Beklagten versicherte C. (nunmehr: Versicherte) befand sich vom 15.02.2011 bis zum 17.02.2011 im Krankenhaus der Klägerin in stationärer Behandlung. Die Versicherte litt seit Jahren unter palmoplantarer Hyperhidrose und stellte sich im Krankenhaus der Klägerin zur Behandlung des Schwitzens ihres linken Fußes vor. Endoskopisch wurde im Rahmen einer Retroperitoneoskopie eine lumbale Blockade des Sympathikusnerven durchgeführt, indem das lumbale Ganglion L4 reseziert und die Trunkusenden clipversiegelt wurden. Die Klägerin rechnete die erbrachten stationären Leistungen mit einem Betrag von 2910,11 EUR ab (Rechnung vom 22.02.2011), wobei die DRG B17C zugrundegelegt wurde.

Der von der Beklagten eingeschaltete MDK Bayern beanstandete die kodierte Hauptdiagnose G90.8 und gab stattdessen die Diagnose R61.0 vor. Am 01.05.2012 verrechnete die Beklagte den aus ihrer Sicht überzahlten Differenzbetrag von 593,39 EUR (Differenz zwischen dem ursprünglichen Rechnungsbetrag und dem von der Beklagten anerkannten Betrag in Höhe von 2316,72 EUR).

Die Klägerin erhob am 10.07.2017 Klage zum Sozialgericht München, um den Differenzbetrag einzuklagen. Strittig sei die Kodierung der Hauptdiagnose, wobei die Kodierung von G90.8 ("Sonstige Krankheiten des autonomen Nervensystems") für richtig gehalten werde. Die Beklagte hingegen beharre auf der Kodierung R61.0 ("Hyperhidrose, umschrieben"), wobei die Kodierung von Symptomen als Hauptdiagnose nur dann rechtmäßig sei, wenn eine Diagnose im Sinne einer Symptomursache aus medizinischen Gründen nicht gestellt werden könne. Es sei aber gesicherte medizinische Erkenntnis, dass die hier vorliegende primäre Hyperhidrose ausschließlich neurologische Ursachen im Sinne einer Steuerungsstörung des Schwitzens habe. Die Abläufe der Hyperhidrose seien hinreichend bekannt, so dass eine ursächliche Therapie möglich sei. Eine solche Ursachentherapie werde im Krankenhaus der Klägerin - auch im streitgegenständlichen Fall - durchgeführt.

Die Klägerin strebe mit der vorliegenden Klage eine grundsätzliche Klärung der korrekten Kodierung der Hyperhidrose-Behandlungen für eine Vielzahl vergleichbarer Fälle an. Eine gütliche Einigung mit der Beklagten sei bislang nicht möglich gewesen.

Die Klägerin beantragt: Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 593,39 EUR nebst Zinsen in Höhe von vier Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie führt aus, dass laut der Kodierrichtlinie "D002f Hauptdiagnose" aus dem Jahr 2011 eine Hauptdiagnose wie folgt definiert werde: "Die Diagnose, die nach Analyse als diejenige festgestellt wurde, die hauptsächlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthalts des Patienten verantwortlich ist." Der Begriff "nach Analyse" bezeichne die Evaluation der Befunde am Ende des stationären Aufenthalts, um diejenige Krankheit festzustellen, die hauptsächlich verantwortlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthalts gewesen war. Richtigerweise hätte die Klägerin die DRG J10B abrechnen müssen, die durch Zugrundelegung der Hauptdiagnose R61.0 angesteuert werde. Die Ätiologie der Hyperhidrose sei nicht eindeutig geklärt. Durch die streitgegenständliche Operation werde die vermutete Regulationsstörung nicht behandelt, sondern lediglich auf die Symptomatik Einfluss genommen. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Beauftragung von Dr. E., der am 25.10.2015 sein dermatologisches und sozialmedizinisches Gutachten vom 25.10.2015 vier Tage später dem Gericht vorlegte.

Der Gutachter führt aus, dass es nicht zulässig sei, von der als richtig angenommenen DRG die Verschlüsselung retrogard abzuleiten. Daher sei das Argument der Kl., dass die von der Beklagten vorgenommene Verschlüsselung zu einer J-DRG, also einer DRG betreffend eine Krankheit an Haut, Unterhaut und Mamma, führen würde, nicht zielführend.

Die Hyperhidrose sei eine multifaktorelle Erkrankung, wobei insbesondere keine Fehlbildung an den Schweißdrüsen selbst vorliegen würde. Mit R61.0 würde korrekterweise nur ein Symptom verschlüsselt. In der Einleitung zu dem Kapitel R00-R99 werde dargestellt, dass das Kapitel auch für ungenau bezeichnete Zustände gelte, für die an anderer Stelle keine klassifizierbare Diagnose vorliegen würde.

So verhalte es sich mit der palmoplantaren Hyperhidrose. Hinsichtlich dieser Erkrankung sei bekannt, dass es sich um eine Störung des autonomen Nervensystems handeln würde, ohne dass hierzu spezifische Angaben vorhanden seien. Der von der Kl. verwendete Schlüssel G90.8 ("sonstige Krankheiten des autonomen Nervensystems") sei aus gutachterlicher Sicht nicht spezifischer in Bezug auf die vorliegende Erkrankung. Unter "sonstigen Krankheiten" könnten viele Erkrankungen subsumiert werden: Die komplexe Störung des Nervensystems, die u.a. auch mit einer palmoplantaren Hyperhidrose vergesellschaftet ist, sei nur eine Möglichkeit und käme sicherlich auch nicht als erstes in Betracht. Im Gegensatz dazu würde der Code R61.0 ("Hyperhidrose, umschrieben") die Manifestation sehr spezifisch umschreiben.

Letztlich würden aber die DKR bzgl. der Bestimmung der Hauptdiagnose Vorrang vor ICD und OPS haben. Die operative Ausschaltung des lumbalen Ganglions L4 sei keine Maßnahme zur Behandlung der zugrundeliegenden komplexen Störung des Nervensystems, sondern eine Maßnahme, die direkt auf die Ausschaltung der Hyperhidrose durch Zerstörung der die Schweißdrüsen steuernden Nervenbahnen gerichtet sei. Die zugrundeliegende Störung werde nicht korrigiert, da die Fehlsteuerung nicht dem Ganglion L4 zuzuordnen sei. Vor diesem Hintergrund bestimme die DKR D002f (Hauptdiagnose): "Wenn sich ein Patient mit einem Symptom vorstellt und die zugrundeliegende Krankheit zum Zeitpunkt der Aufnahme bekannt ist, jedoch nur das Symptom behandelt wird, ist das Symptom als Hauptdiagnose und die zugrundeliegende Krankheit als Nebendiagnose zu kodieren." Behandelt werde lediglich das Symptom "Hyperhidrose", nicht aber die zugrundeliegende komplexe Störung. Das Symptom wäre erst recht dann als Hauptdiagnose zu verschlüsseln, wenn keine Vorstellung über die zugrundeliegende Krankheit existieren würde. Daher könne die Kodierung der Kl. nicht bestätigt werden. Die abzurechnende DRG laute J10B. Weitere Gutachten seien nicht notwendig.

Die Kl. erklärte sich mit dem Gutachten nicht einverstanden. Die vorliegende Gesundheitsstörung sei die Störung des autonomen Nervensystems.

Erheblich sei die Aussage in der DKR002f: "Wenn sich ein Patient mit einem Symptom vorstellt und die zugrundeliegende Krankheit zum Zeitpunkt der Aufnahme bekannt ist und behandelt wird bzw. während des Krankenhausaufenthaltes diagnostiziert wird, so ist die zugrundeliegende Krankheit zu kodieren."

Entgegen der Auffassung des Gutachters würde mit der streitgegenständlichen Operation nicht nur das Symptom, sondern die Erkrankung selbst behandelt werden. Die hier vorliegende Hyperhidrose werde durch die Störung einer speziellen Nervenbahn hervorgerufen, so dass nicht das ganze Nervensystem behandelt werden müsse. Es reiche aus, die Fehlfunktion dieser Nervenbahn zu behandeln, um das Symptom zu beheben.

Die Erkrankung (Störung des autonomen Nervensystems) werde durch die Unterbrechung beseitigt. Der Gutachter als Dermatologe könne die Beweisfrage nicht abschließend beurteilen, so dass ein weiteres Gutachten des Neurologen Dr. F. einzuholen sei.

Die Kodierung eines Symptoms als Hauptdiagnose hänge im Übrigen davon ab, ob nur das Symptom behandelt werde (dann ist dieses Hauptdiagnose), oder zumindest auch die Grunderkrankung behandelt werde (dann stelle dieses die Hauptdiagnose dar) (Bezugnahme auf SG Berlin, E. vom 09.11.2015, S 81 KR 2480/12; LSG Hamburg, 23.07.2015, L 1 KR 96/13, Rn. 21 juris). Vorliegend werde nicht ausschließlich das Symptom Hyperhidrose behandelt, sondern gerade auch die vom Gutachter bestätigte zugrundeliegende Störung des autonomen Nervensystems.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakte des hiesigen Verfahrens Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 87, 90 ff Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Leistungsklage der Klägerin ist nicht begründet. Denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung der Vergütung in beantragter Höhe und dementsprechend auch nicht auf Zahlung von Zinsen.

Die Klägerin hat keinen weiteren Vergütungsanspruch für die Behandlung der Versicherten. Die von der Klägerin erhobene (echte) Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) ist im hier bestehenden Gleichordnungsverhältnis zulässig (Bundessozialgericht (BSG), Urteile vom 16.12.2008 - B 1 KN 1/07 KR R -, SozR 4-2500 § 109 Nr 13 m.w.N.; und vom 08.11.2011 - B 1 KR 8/11 R -, SozR 4-5560 § 17b Nr 2 m.w.N.), aber nicht begründet.

Der ursprünglich entstandene Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Vergütung von Krankenhausbehandlungsleistungen für andere Versicherte, der bezüglich der Höhe nicht streitig ist und deshalb keiner näheren Prüfung zu unterziehen ist (BSG, Urteil vom 21.04.2015 - B 1 KR 8/15 R -, juris m.w.N.), ist durch die Aufrechnung mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch wegen Überzahlung der Vergütung für die Krankenhausbehandlung der Versicherten analog § 387 Bürgerliches Gesetzbuch erloschen (zur entsprechenden Anwendung auf überzahlte Krankenhausvergütung vgl. z.B. BSG, Urteil vom 08.11.2011 - B 1 KR 8/11 R -, SozR 4-5560 § 17b Nr 2 m.w.N.), da der Beklagten ein Erstattungsanspruch zusteht.

Der Klägerin steht wegen der stationären Behandlung der Versicherten neben dem von der Beklagten gezahlten und nicht zurückgeforderten Betrags kein weitergehender Vergütungsanspruch nach DRG B17C zu. Die Voraussetzungen des Gegenanspruchs aus öffentlich-rechtlicher Erstattung sind erfüllt. Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch setzt u.a. voraus, dass der Berechtigte Leistungen im Rahmen eines öffentlichen Rechtsverhältnisses ohne rechtlichen Grund erbracht hat (st.Rspr.; vgl. z.B. BSG, Urteil vom 28.09.2010 - B 1 KR 4/10 R -, SozR 4-2500 § 264 Nr 3; Urteil vom 03.07.2012 - B 1 KR 16/11 R -, SozR 4-2500 § 129 Nr 7). Dies ist der Fall. Denn die Kl. hat gegen die Bekl. einen Vergütungsanspruch für die Behandlung der Versicherten nur in der von der Bekl. geltend gemachten Höhe nach DRG J10B.

Die Klägerin hat die Grundvoraussetzungen eines Anspruchs auf Krankenhausvergütung erfüllt, indem sie die Versicherte stationär behandelt hat. Die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entsteht - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung - wie hier - in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (st.Rspr., vgl. z.B. BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 1 KN 1/07 KR R -, SozR 4-2500 § 109 Nr 13 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die Höhe der Vergütung bemisst sich nach DRG J10B und nicht nach DRG B17C.

Die Vergütung für Krankenhausbehandlungen des Versicherten bemisst sich nach vertraglichen Fallpauschalen auf gesetzlicher Grundlage. Die Fallpauschalenvergütung für Krankenhausbehandlung Versicherter in zugelassenen Einrichtungen ergibt sich aus § 109 Abs. 4 S. 3 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) i.V.m. § 7 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und § 17 b KHG. Der Anspruch wird auf Bundesebene durch Normsetzungsverträge (Fallpauschalenvereinbarungen) konkretisiert. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung gemeinsam vereinbaren nach § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 KHEntgG mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft als Vertragsparteien auf Bundesebene mit Wirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG einen Fallpauschalenkatalog einschließlich der Bewertungsrelationen sowie Regelungen zur Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit von diesen zusätzlich zu zahlenden Entgelte oder vorzunehmenden Abschläge. Ferner vereinbaren sie insoweit Abrechnungsbestimmungen in den Fallpauschalenvereinbarungen auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 KHEntgG.

Welche DRG-Position abzurechnen ist, ergibt sich rechtsverbindlich aus der Eingabe und Verarbeitung von Daten in einem automatischen Datenverarbeitungssystem, das auf einem zertifizierten Programm basiert. Die Anwendung der zwischen den Vertragspartnern auf Bundesebene beschlossenen Deutschen Kodierrichtlinien (DKR - hier Version 2011) und der Fallpauschalenabrechnungsbestimmungen einschließlich der OPS erfolgt eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht. Nur dann kann eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, ihren Zweck erfüllen. Da das DRG-basierte Vergütungssystem vom Gesetzgeber als jährlich weiter zu entwickelndes und damit lernendes System angelegt ist, sind bei zu Tage tretenden Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen in erster Linie die Vertragsparteien berufen, diese mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen (st. Rspr. des BSG, vgl. Urteil vom 17.11.2015, B 1 KR 41/14 R). Nach Ansicht des BSG handelt es sich bei der konkreten Auslegung der DKR und Abrechnungsbestimmungen um eine rechtliche Prüfung (BSG, B 1 KR 97/15 B - juris Rn. 8).

Die DRG B17C nach FPV 2011 wird nur dann im Groupierungsvorgang angesteuert, wenn die strittige Kodierung G90.8 rechtsfehlerhaft ist. Dies ist nicht der Fall. Die Argumentation der Kl. kann nicht überzeugen. Für die Kammer steht es in Übereinstimmung mit dem Sachverständigengutachten von Dr. E. fest, dass bei der Behandlung der Hyperhidrose mittels der Resektion des Ganglions L4 die Kodierung R61.0 gewählt werden muss. In diesem Falle wird - wie von der Bekl. korrekt ermittelt - die DRG J10B angesteuert.

Die Beweiserhebung hat ergeben, dass durch die streitgegenständliche Operation die zugrundeliegende Erkrankung nicht behandelt wird. Das Gutachten von Dr. E. ist insoweit eindeutig, schlüssig und überzeugend. Die Durchtrennung einer Nervenbahn behebt nicht die Störung der autonomen Regelungen, sondern bewirkt lediglich, dass die elektrischen Impulse nicht an die Empfänger - die Schweißdrüsen - weitergegeben werden. Damit ist die Störung als solche aber nicht tangiert, d.h. wenn die Nervenbahnen wieder verbunden werden würden, so würde das übermäßige Schwitzen wieder auftreten. Anders ist nicht zu erklären, dass Patienten nach entsprechenden Operationen gerichtsbekannt häufig über vermehrt auftretendes Schwitzen an anderen Körperregionen klagen. Entsprechend wurde bereits von Versicherten in der erkennenden Kammer die Bezahlung einer Operation eingeklagt, die die Durchtrennung der Nervenfasern wieder rückgängig machen soll, weil entweder der versprochene Erfolg nicht eingetreten ist oder weil sich die Problematik des übermäßigen Schwitzens an andere Stelle verlagert hat.

Auch die Ausführungen des behandelnden Operateurs Dr. G. in der mündlichen Verhandlung konnten die Kammer nicht davon überzeugen, dass mit der Zerstörung des Ganglions L4 eine ursächliche Behandlung der Erkrankung erfolgt. Dr. G. führte selbst aus, dass Begleitsymptome der nicht genau bekannten neuronalen Störung regelmäßig die hier streitgegenständliche Hyperhidrose, aber auch vermehrtes Erröten, Herzrasen und die Symptomatik von "kalten Händen und Füßen" seien, alles Symptome, die mit einer Störung des sympathischen Nervensystems einhergehen. Die Durchtrennung des Ganglions L4 kann aber keinen Einfluss auf jene anderen Begleit-Symptome der Erkrankung haben. Die Erkrankung selbst bleibt mithin unbehandelt, die Durchtrennung des Ganglions hat mithin das Ziel, eine Symptomatik der Erkrankung zu behandeln. Dr. G. hat entsprechend die Frage des Vorsitzenden, ob er seine Patienten darüber aufklären würde, dass nach der Operation vermehrtes Schwitzen an anderer Stelle auftreten könne, bejaht. Wäre das jeweils - abhängig vom konkreten Ort des Schwitzens - behandelte Ganglion wirklich "krank" im Sinne einer Funktionsstörung dieses Nervenknotenpunkts, so würde ein solcher Effekt nicht eintreten können. Dr. G. schilderte selbst, dass diese Effekte durch Schleifen (loops) im neuronalen Regelkreis erfolgen würden, mithin also der gesamte Regelkreis und nicht nur das behandelte Ganglion von der Funktionsstörung betroffen ist. Dr. G. behauptete selbst nicht, dass mit der durchgeführten Operation der gesamte Regelkreis behandelt werden könnte.

Daher kann auch das Urteil des LSG Hamburg vom 17.05.2017 (L 1 KR 56/14) nicht überzeugen. Der Senat führte dort aus, dass eine Messung der Nervenimpulse, die zur krankhaften Hyperhidrose führten, nicht möglich sei. Er schildert überzeugend, dass die Diagnose der zugrundeliegenden (vermuteten) Erkrankung ("primäre fokale Hyperhidrose") letztlich aufgrund einer Ausschlussdiagnostik erfolgt. Der dort angehörte chirurgische Sachverständige gab an, dass die Fehlsteuerung des Nervensystems nicht "zu 100 %" ergründet sei. Man gehe nicht von einer Fehlsteuerung durch den Hypothalamus (über das endokrine System), sondern von fehlsteuernden Ganglien aus.

Diese Ausführungen vermögen nicht das Sachverständigengutachten von Dr. E. zu entkräften, dass die Ursache der Erkrankung letztlich nicht verstanden ist. Vielmehr werden diese bestätigt, da an die Stelle von Gewissheiten Hypothesen gesetzt werden. Diese reichen nach der Überzeugung der Kammer für die Ersetzung der spezifischen Kodierung R61.0 ("Hyperhidrose, umschrieben") nicht aus.

Die Kostenentscheidung entspricht dem Ausgang des Verfahrens und folgt aus § 197a Abs. 1 S. 1 SGG, § 154 Abs. 1 VwGO). Der Streitwert war in Höhe von 593,39 EUR festzusetzen, da die Zahlung des oben genannten Betrags streitig war und dieser nach § 52 Abs. 3 GKG zu Grunde zu legen ist.

Die Berufung war nicht zuzulassen, da keine grundsätzliche Bedeutung vorliegt und eine Abweichung von höchstrichterlichen Entscheidungen (des Bayerischen Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts und des Bundesverfassungsgerichts) nicht gegeben ist. Insbesondere liegt keine grundsätzliche Bedeutung vor. Hier für muss eine Rechtsfrage mit grundsätzlicher Bedeutung ungeklärt sein und die Klärung muss im allgemeinen Interesse liegen, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Ein Individualinteresse reicht nicht. Auch eine Klärung von Tatsachenfragen mit verallgemeinerungsfähigen Auswirkungen genügt nicht (zum Ganzen Meyer-Ladewig et. al., SGG, § 144 Rn. 28 f.).

Hier liegt bereits keine Rechtsfrage vor, die klärungsbedürftig ist, da strittig die Frage auf Tatsachenebene ist, ob mit der streitgegenständlichen Operation die zugrundeliegende Erkrankung (mit-) behandelt wird. Die Klärung dieser Frage hat zwar verallgemeinerungswürdige Auswirkungen, dies reicht aber wie dargelegt nicht für die Zulassung der Berufung nach § 144 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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