Zwölf Notaufnahmen in München droht die Schließung

Planungen zur Reform der Notfallversorgung in Krankenhäusern: Welche Münchner Krankenhäuser von der bundesweiten Strukturreform betroffen sind - und warum.
| Julia Sextl, Bernhard Junginger
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen
Rettungskräfte vor einer Notaufnahme in München. Künftig sollen weniger Kliniken eine haben.
dpa Rettungskräfte vor einer Notaufnahme in München. Künftig sollen weniger Kliniken eine haben.

München - Rund die Hälfte der Münchner Notaufnahmen könnte bald schließen müssen. Das zumindest sehen Planungen zur Reform der Notfallversorgung in Krankenhäusern vor, die der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) - das Selbstverwaltungsorgan der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen in Deutschland - beschlossen hat.

Hintergrund: Künftig müssen Notaufnahmen in Kliniken bestimmte Voraussetzungen erfüllen, wenn sie dafür den finanziellen Zuschlag der Gesetzlichen Krankenkassen erhalten wollen. So müssen bestimmte Fachabteilungen vorhanden sein, eine Intensivstation mit mindestens sechs Betten, Facharzt und Anästhesist müssen binnen 30 Minuten beim Patienten sein können.

Nach AZ-Informationen können rund ein Dutzend der Münchner Kliniken diese neuen Vorgaben nicht mehr erfüllen. Die Folge: Die Kliniken müssten mit hohen finanziellen Einbußen rechnen - und ihre Notaufnahmen in der Folge möglicherweise schließen. Die Notfallversorgung der städtischen Kliniken werde definitiv aufrechterhalten, betont das städtische Gesundheitsreferat.

Das Klinikum Dritter Orden in Nymphenburg, das nach AZ-Informationen von der Reform betroffen wäre, zeigt sich dennoch zuversichtlich. Von einer drohenden Schließung könne keine Rede sein, sagte der Ärztliche Direktor, Stephan Kellnar, auf Anfrage. "Unsere Notaufnahme - sowohl in der Erwachsenenklinik als auch in der Kinderklinik - ist auch weiterhin voll funktionsfähig, maximal ausgelastet und für die Versorgung der Patienten in München und Umgebung unabdingbar."

Auch das Klinikum Augustinum in Hadern - nach AZ-Informationen ebenfalls ein möglicher Verlierer der Reform - geht fest davon aus, seine Notaufnahme weiterhin betreiben zu können. „Unsere Notaufnahme bleibt bestehen, wir sind auch weiterhin rund um die Uhr für Notfälle da“, sagte ein Sprecher des Krankenhauses zur AZ. Die Klinik betreibe schon seit 2009 eine zertifizierte Chest Pain Unit (kardiologische Notaufnahme). Der Klinik-Geschäftsführung zufolge sollen auch künftig alle Kliniken mit Chest Pain Unit an der Notfallversorgung teilnehmen und diese vergütet bekommen.

Wie genau das neue Vergütungsmodell für Krankenhäuser künftig aussehen wird, ist noch unklar. "Wir beobachten die Neuordnung der Notfallversorgung in Deutschland. Abzuwarten sind die Details der im GBA vereinbarten Regelungen", sagte etwa ein Sprecher des Krankenhauses Martha-Maria in Solln zur AZ. "Auf dieser Basis werden wir auch die Arbeit der Notfallaufnahme am Krankenhaus Martha-Maria München ausrichten."

Einige Krankenhäuser müssen drastische Abschläge in Kauf nehmen

Denn genau hierin liegt die Krux: Die Reform könnte nicht nur Auswirkungen auf die Anzahl der Notaufnahmen haben, sondern die Existenz zahlreicher Kliniken bedrohen, warnt CSU-Gesundheitsexperte Georg Nüßlein.

Seinen Angaben zufolge sieht das derzeitige Konzept vor, dass Kliniken, die nicht an der Notfallversorgung teilnehmen oder die Voraussetzungen für den Zuschlag nicht mehr erfüllen, drastische Abschläge in Kauf nehmen müssen: Bis zu 50 Euro oder mehr wird den Nicht-Notfallkliniken pro Patient abgezogen. Notfallkliniken bekommen dem Konzept nach dafür einen Zuschuss von zehn Euro pro Fall - denn Kliniken, die diese Anforderungen erfüllen, haben höhere Kosten, arbeiten oft defizitär. Während ein Abzug von 50 Euro pro Fall die betroffenen Häuser weit überfordere, sei den Notfallkliniken mit einem Zuschuss von lediglich zehn Euro pro Fall nur unzureichend geholfen.

Er sei kein Gegner der Strukturreform schlechthin. Dass etwa Schlaganfallpatienten in spezialisierten Kliniken, an denen es sogenannte "Stroke-Units" gebe, die besten Überlebenschancen hätten, sei unbestritten. Doch das Vergütungsmodell, "das sich bei den Krankenkassen durchzusetzen scheint", sei für viele Kliniken brandgefährlich.

Durch die fehlenden Einnahmen könne etwa das Geld für Arzt- oder Pflegerstellen fehlen, Häuser, die ohnehin ums Überleben kämpften, müssten vielleicht schließen. Er halte es nicht für ausgeschlossen, so Nüßlein, dass dies den Kassen gar nicht ungelegen käme. Möglicherweise stecke hinter den Plänen eine Marktbereinigungsstrategie.

Florian Lanz, Sprecher des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenkassen, sagte der AZ: "Dass einzelne Krankenhäuser durch die Neuregelung finanzielle Einbußen erleiden, müssen wir im Zweifelsfall in Kauf nehmen." Es gehe nicht darum, Geld zu sparen, sondern um die bessere Versorgung von Notfallpatienten. Es habe sich gezeigt "dass es häufig besser ist, etwa weiter in das spezialisierte Krankenhaus zu fahren, als ins nächstbeste."

Wie die Finanzierung genau aussehen wird, ist noch nicht festgelegt. Ein Weiterbetrieb der Notaufnahmen dürfte nach diesem Modell für die betroffenen Kliniken wirtschaftlich kaum mehr vertretbar sein. Möglich wäre er aber - die Mitte April vom GBA beschlossene Richtlinie regelt lediglich die Voraussetzungen für die Vergütung.

Akute Notfälle bleiben von der Reform unberührt. Sie müssen – wie bisher auch – in allen Krankenhäusern angenommen und behandelt werden. Darauf weist auch ein Sprecher der orthopädischen Schön-Klinik in Harlaching explizit hin: "Wir wissen derzeit noch nicht, wie das Land Bayern den Beschluss des GBA konkret ausgestaltet und umsetzt. Wir haben bisher eine auf orthopädische Erkrankungen wie Rückenschmerzen und Frakturen ausgerichtete Notaufnahme angeboten. Wie in der Vergangenheit auch werden wir in Zukunft Notfallpatienten mit orthopädischen Erkrankungen behandeln und aufnehmen", so der Vorsitzende Geschäftsführende Direktor, Markus Hamm, zur AZ. Dies gelte insbesondere für Patienten mit akutem Rückenschmerz oder Sportverletzungen.

 


Diese Notaufnahmen könnten möglicherweise schließen müssen:

 - Klinikum Dritter Orden (Notaufnahme für Kinder soll weiter bestehen)

 - Klinik Augustinum

 - Sana Klinik Solln

 - Internistische Klinik Dr. Müller

 - Krankenhaus Martha-Maria

 - Chirurgisches Klinikum München Süd

 - Schön Klinik München-Harlaching

 - Deutsches Herzzentrum

 - Frauenklinik Dr. Geisenhofer

 - Frauenklinik des Rotkreuzklinikums

 - Frauenklinik München West

Mehr News aus München lesen Sie hier

  • Themen:
Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Ladesymbol Kommentare