Von der Klinik in die Wiesbadener Teestube: Obdachloser...

Ohne Wohnung auf der Straße: Wer bestimmt, wann jemand nicht mehr selbst bestimmen kann, was für ihn gut ist? Archivfoto: dpa
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Ein obdachloser Patient wird aus dem St.-Josefshospital entlassen und kommt in die Wiesbadener Teestube - und das, obwohl er offensichtliche Wunden an den Füßen und im Gesicht...

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WIESBADEN. Es ist etwa 15 Uhr, als das Medimobil mit dem Mann vor der Teestube in der Dotzheimer Straße ankommt. Ein ganz normaler Wochentag, eine Stunde später macht die Teestube zu. Die Medimobil-Mitarbeiter laden einen Mann aus, der gut bekannt ist in der ambulanten Einrichtung der Diakonie. Er hat verbundene Füße, Wunden im Gesicht, er trägt ein Krankenhaushemdchen, wird sitzend gebracht. Eine Wohnung hat er nicht.

Matthias Röhrig, Leiter der Teestube, kann es nicht fassen und spricht die Medimobil-Leute an. „So kann der Mann doch nicht hierbleiben. Wir können ihn hier nicht versorgen“, sagt Röhrig. Und ruft bei der Rettungsleitstelle an. Dort ist man laut Röhrig aber nicht bereit, den Mann wieder in ein Krankenhaus zu bringen, denn er wurde ordnungsgemäß entlassen. Er war vorher einige Tage im St.-Josefshospital (Joho), bestätigt dessen Pressesprecherin Susanne Schiering-Rosch. Er sei vom zuständigen Arzt als „entlassfähig“ eingestuft worden. Der Arzt habe, um die Situation des Patienten wissend, den Sozialdienst eingeschaltet.

"Er selbst wollte nicht bleiben"

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Der Sozialdienst hat sich „um den Patienten gekümmert, um eine ambulante Weiterversorgung anzubieten“, berichtet Schiering-Rosch. „Er selbst wollte nicht bleiben.“ Der Sozialdienst hat in Absprache mit dem Arzt auch ein Attest für einen Platz im Männerwohnheim ausgestellt. „Aber der Patient lehnte dies ab.“ Er habe den Wunsch geäußert, in die Teestube gebracht zu werden, sagt die Joho-Sprecherin.

Das St.-Josefshospital, das betont auch Matthias Röhrig, nehme oft Wohnungslose auf. „Und wir arbeiten auch gut zusammen“, sagt der Diakonie-Mann. Der Patient hat eine Krankenversicherung. „Das spielt aber keine Rolle dabei, ob wir jemanden aufnehmen oder nicht“, sagt die Joho-Sprecherin. Es ist purer Zufall, dass genau zu diesem Zeitpunkt, als der Mann in der Dotzheimer Straße ankommt, auch ein Arzt zur Stelle ist, der ehrenamtlich in der Teestube Sprechstunde abhält. Der Arzt hat, nachdem die Leitstelle nicht bereit war, den Mann wieder in eine Klinik bringen zu lassen, eine Einweisung geschrieben, sodass er erneut in ein Krankenhaus kam. In welches, das weiß Matthias Röhrig nicht. Der Wohnungslose übernachtet ab und an im Biwak, der Notunterkunft der Diakonie über der Teestube. Sehr oft auch in einer Unterführung, sagt Matthias Röhrig, der den Besucher durchaus als „schwierige Persönlichkeit“ beschreibt.

Immunsystem vieler Besucher ist geschwächt

Sozialarbeiter Röhrig nennt noch einen weiteren ähnlichen Fall. Da sei vor gut zwei Wochen ein Teestubenbesucher, der sich den Fuß gebrochen hatte, mit dem Krankenwagen von einer Klinik in die Teestube gebracht worden. „Die Fahrer waren in voller Montur“, beschreibt Röhrig den Umstand, dass sie Schutzkleidung trugen, weil der Patient wohl auch Träger multiresistenter Keime ist. „So jemanden kann man doch nicht auf die Straße setzen.“

Röhrig: „Ich bin auch verantwortlich für unsere Mitarbeiter, die sich eventuell infizieren könnten.“ Und auch viele andere Besucher der Teestube seien gesundheitlich nicht in einem guten Zustand, ihr Immunsystem geschwächt.

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„Eine Lücke in unserem Hilfesystem“

Der oben beschriebene Teestubenbesucher hat einen Betreuer. Ob er zum beschriebenen Zeitpunkt mental in der Lage war, tatsächlich selbst zu bestimmen, wohin er vom Krankenhaus aus gebracht werden sollte, ist schwer nachzuvollziehen. Es gibt verschiedene Arten der gesetzlichen Betreuung. Die am weitesten ausgeprägte ist die, die auch die Bestimmung des Aufenthaltsorts vorsieht, erklärt die Leiterin des Amts für Soziale Arbeit, Christa Enders, auf Anfrage. Das ist wohl hier der Fall.

Inwieweit der Betreuer einbezogen war, ist nicht klar. Matthias Röhrig: „Der Mann war nicht gehfähig, als er bei uns ankam. Ich halte auch das Männerwohnheim nicht für geeignet, ihn in einer solchen Situation aufzunehmen. Wir haben hier eine Lücke in unserem Hilfesystem. Das können wir nicht auf dem Rücken der Allerschwächsten austragen.“