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Organtransplantation

Organtransplantationen für viele Kliniken zu teuer

München / Lesedauer: 5 min

Über 1400 Menschen in Bayern warten auf eine Transplantation. Ärzte fordern mehr Mittel.
Veröffentlicht:04.05.2018, 19:13

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Das Ausgeliefertsein, das Schwinden der Kräfte, die Todesangst: Peter Fricke, 62, hat dieses Drama dreimal durchlebt. Einmal, als er vor 28 Jahren nach einer Herzmuskelentzündung auf ein neues Organ wartete. Zweimal als Vater einer Tochter, die mit 20 Jahren nach derselben Erkrankung ihr erstes Herz transplantiert bekam, und deren Körper es fünf Jahre später wieder abstieß.

Dreimal fand sich ein Spender. „In der Nacht zu ihrem 26. Geburtstag wurde Julia operiert“, erzählt Fricke, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands der Organtransplantierten. Für die Mutter eines kleinen Sohnes begann ein neues Leben.

So viel Glück hat nicht jeder. Derzeit stehen in Deutschland mehr als 10 000 Patienten auf der Warteliste von Eurotransplant . Jeden Tag sterben drei von ihnen, weil für sie kein Spenderorgan gefunden wurde. Vergangenes Jahr nahm die Zahl der Organspender nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation bundesweit um sieben Prozent auf 797 ab und erreichte damit den niedrigsten Stand seit 20 Jahren. Die einzig positive Ausnahme ist Bayern. Hier stieg die Zahl der Organspender um 18 Prozent auf 143. Rund 1400 Patienten warten derzeit auf eine Transplantation.

Spezialisten werden freigestellt

Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) macht für die Trendwende im Freistaat das bayerische Gesetz zur Ausführung des Transplantationsgesetzes mitverantwortlich. Zwar wurden in anderen Bundesländern auch Transplantationsbeauftragte in den Kliniken ernannt, die sich um Organspenden kümmern sollen. Aber nur im Freistaat gibt es seit 2017 eine konkrete Regelung zu deren Freistellung von anderen Klinikaufgaben, die abhängig von der Intensivbettenzahl ist. „Die Arbeit als Transplantationsbeauftragter im Krankenhaus ist im hektischen und dicht gefüllten Klinikalltag nur leistbar, wenn ausreichend Zeit zur Verfügung steht“, so Huml.

Die rund 240 Ärzte sollen in den knapp 200 bayerischen Entnahmekliniken potenzielle Spender erkennen, das Personal schulen, die Angehörigen betreuen und Leitlinien zur Einleitung und zum Ablauf einer Organspende erarbeiten.

Doch während Ministerin Huml Bayern bereits als Vorzeigeland feiert und in den Koalitionsverhandlungen in Berlin eine bundeseinheitliche Regelung zur verbindlichen Freistellung der Transplantationsbeauftragten durchsetzen konnte, werten Experten in den Kliniken das Gesetz nur als einen Schritt in die richtige Richtung. „Natürlich werden die Häuser so aktiv für das Thema sensibilisiert. Aber nur, weil der Beauftragte jetzt mehr Zeit hat, um durch die Stationen zu gehen, wird es nicht deutlich mehr Spender geben“, sagt Professor Bruno Meiser , Leiter des Transplantationszentrums der Ludwig-Maximilians-Universität in München-Großhadern.

„Um wirklich etwas zu ändern, muss an vielen Stellschrauben gedreht werden – und dafür braucht es einen nationalen Aktionsplan“, sagt Meiser, der auch Präsident der Stiftung Eurotransplant ist, die in acht europäischen Ländern die Spenderorgane verteilt.

Ärzte fordern mehr Mittel

Statt die Krankenkassen Massen von Organspendeausweisen verschicken zu lassen, sollte das Geld lieber in die Kliniken investiert werden. „Denn hier wird nach dem Hirntod eines Patienten mit den Angehörigen oft nicht über eine mögliche Organentnahme gesprochen, sondern mit deren Einverständnis die Therapie eingestellt und das Bestattungsunternehmen gerufen“, sagt der Herzchirurg Meiser. Einer der Gründe: Der Kostendruck. Eine Organentnahme lohnt sich schlichtweg nicht. „Die Hürden sind zu groß, die Anreize zu gering“, bringt Meiser die Problematik auf den Punkt.

Vor einer Organentnahme muss zweimal innerhalb von wenigstens zwölf Stunden der irreversible Hirntod des Patienten von zwei Ärzten, darunter mindestens einem Facharzt für Neurologie oder Neurochirurgie, festgestellt werden. „Doch kleinere Kliniken haben diese Expertise nicht und befinden sich in einem Dilemma, wer soll es machen?“, beschreibt Meiser und fordert daher mobile Expertenteams zur Feststellung des Hirntods.

Doch selbst wenn das Know-how vorhanden ist, wird oft nicht gehandelt. Das erfährt Josef Briegel, Professor für Anästhesiologie und seit 20 Jahren Transplantationsbeauftragter in Großhadern, bei Gesprächen mit Kollegen immer wieder. „Sie müssen sich das so vorstellen: Der eigentlich tote Patient belegt ein dringend nötiges Bett auf der Intensivstation, bringt das eng getaktete Programm im OP durcheinander und bindet das eh schon knappe Pflegepersonal – das dann für andere Eingriffe fehlt“, beschreibt Briegel. Zwar bekämen Kliniken eine Fallpauschale, doch die decke bei Weitem nicht Aufwand und Kosten. Chefärzte, die Zielvereinbarungen mit der Klinikleitung hätten und ökonomischen Zwängen unterlägen, würden sich im Zweifel daher nicht rühren – und einen potenziellen Spender nicht der DSO melden.

Von der Freistellung des Transplantationsbeauftragten hält Briegel trotzdem nichts. „Das ist kontraproduktiv“, so Briegel. Gerade in mittelgroßen oder großen Häusern mit mehreren Intensivstationen könne ein Einzelner nicht jeden Fall überwachen. „Das Screening ist Teamarbeit. Alle Kollegen müssen motiviert sein.“

Tod ist Tabuthema in der Gesellschaft

Ein Lichtblick zeichnet sich ab. „Die mit einer Organentnahme an den sogenannten Entnahmekrankenhäusern verbundenen Aufwendungen sollen besser vergütet werden“, kündigt Huml an und verweist auf die Koalitionsverhandlungen.

Bruno Meiser geht das nicht weit genug. Er hält die Widerspruchslösung, die in vielen europäischen Ländern gilt, für überfällig. Hier müssen die Bürger zu Lebzeiten aktiv einer Spende widersprechen, ansonsten dürfen die Organe nach dem Tod entnommen werden. „Alle Aufklärungskampagnen haben nicht wesentlich weitergeholfen. Dass viele keinen Organspendeausweis haben, liegt nicht am Organspendeskandal, den haben die Leute längst vergessen, sondern daran, dass der Tod ein Tabuthema in unserer Gesellschaft ist.“