Hebammenmangel in Darmstadt

Vor allem bei der Wochenbettbetreuung fehlt es an Hebammen. Nachdem Mutter und Kind Zuhause sind, ist Rat und Tat gefragt, aber die meisten Hebammen sind ausgebucht. Das...

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DARMSTADT. Rosa Söckchen, Strampelanzüge, Rasseln und Kuscheltiere liegen auf dem Tisch, der üppig bestückt ist nach dem "Baby Shower": einer Party, die Freundinnen von Yannicka Russo kürzlich für die hochschwangere Dreißigjährige organisiert haben. In gut zwei Wochen soll der Nachwuchs - voraussichtlich ein Mädchen - auf die Welt kommen. Die Familie freut sich riesig, alles ist vorbereitet. Yannicka ist erstaunlich gelassen.

Das allerdings nur auf den ersten Blick. Denn eines bereitet der munteren jungen Frau dann doch ein wenig Sorge. Yannicka hat keine Hebamme gefunden, weder für einen Vorbereitungskurs, den sie gerne mit dem werdenden Papa Daniel gemacht hätte, noch für das Wochenbett - die Zeit also, wenn die jungen Eltern mit ihrem Baby nach Hause kommen.

Wochenlang hat Yannicka nach dem dritten Schwangerschaftsmonat die Hebammen-Liste des Kreisverbandes Darmstadt-Dieburg, die sie von ihrer Frauenärztin bekommen hat, abtelefoniert und Mails geschrieben. "Aber ich habe nur Absagen bekommen. Keine hatte Kapazität, alle sind ausgebucht und überlastet", sagt Yannicka "Da war ich frustriert und ratlos."

Mit ihrer Ratlosigkeit ist die junge Frau nicht alleine; wie ihr geht es vielen schwangeren Frauen in Deutschland. Die Angst, keine Hebamme für das Wochenbett zu finden, ist groß. "Und das seit vielen Jahren", sagt Gabriele Kopp, Vorsitzende des Landesverbands der Hessischen Hebammen. In den vergangenen zehn Jahren hätte sich die Lage kontinuierlich verschlechtert. "Immer mehr Hebammen ziehen sich zurück oder schulen um. Und es fangen zu wenige eine Ausbildung an, um den Bedarf zu decken."

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Warum das so ist, liegt für sie auf der Hand. "Die Bedingungen stimmen nicht mehr: Die Bezahlung ist nicht adäquat, die Haftpflichtproblematik nicht hinreichend gelöst", sagt Kopp, erfahrene Hebamme seit 40 Jahren. Für einen Wochenbettbesuch, rechnet sie vor, bekommt eine Hebamme 38 Euro brutto. "Das sind 19 Euro netto, und das ist doch lächerlich", sagt sie.

Kopp weiß, dass es auch eng wird in den Kliniken, im Kreißsaal und auf der Wochenbettstation. Geschichten von Frauen, die hochschwanger in einer Geburtsklinik vorsprechen und wegen Überfüllung an andere Krankenhäuser verwiesen werden, machen die Runde - auch bei Yannicka und ihren Freundinnen, die solch eine Odyssee zum Teil hinter sich haben.

Daher ist die junge Frau froh, wenigstens dieses Problem gelöst zu haben. Mit ihrem Freund hat sie sich kürzlich die drei Darmstädter Krankenhäuser mit Geburtsstation - Klinikum, Marienhospital und Alice-Hospital - angeschaut und fürs Marienhospital entschieden. "Ein Bauchgefühl", sagt sie. Die Hebamme, die sie informiert und ihre Daten aufgenommen hat, sei kompetent und sehr freundlich gewesen. "Da hab' ich mich gleich wohl gefühlt und bin so froh, dass ich dort entbinden kann."

In der Regel reichen die 65 Betten der Frauenklinik im Klinikum und fünf Entbindungsbetten im Kreißsaal aus, um alle Gebärenden zu versorgen, sagt Dr. Sven Ackermann, Leiter der Geburtskliniken im Klinikum und Marienhospital. Dort stehen vier Kreißsäle zur Verfügung und 16 Stellen auf der Mutter-Kind-Station. Natürlich kooperieren die beiden Kliniken - und wenn es in einer Engpässe gebe, könne man freie Kapazitäten der anderen nutzen, so Ackermann.

Im Marienhospital arbeiten derzeit 20, im Klinikum 17 Hebammen, am Alice-Hospital sind es 14 Beleghebammen. Dort werden pro Jahr rund 1100 Kinder geboren, 2017 waren es im Klinikum 1839 Babys, im Marienhospital 1226. Die Hebammen sind dort fest angestellt - im Gegensatz zu vielen Kliniken, die mit freiberuflichen Beleghebammen zusammenarbeiten, die einen Teil ihrer hohen Haftpflichtprämien selber zahlen und direkt mit den Krankenkassen abrechnen. Seit Februar, so wollen es die Kassen, dürfen sie nur zwei Frauen gleichzeitig betreuen, während angestellte Hebammen die Frauen betreuen, die pro Schicht da sind.

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Das kann ganz schön in die Knochen gehen. "Manchmal ist es körperlich und psychisch schon anstrengend", sagt Muradiye Uzunkavak. Doch die Leitende Hebamme des Klinikums würde ihren Beruf nicht tauschen wollen. "Es ist wunderbar, diesen besonderen Moment der Geburt mit den Paaren zu teilen", sagt sie.

"Durch den Schichtdienst sind immer ausgeruhte Hebammen da, die nicht den Druck haben, neben einer Geburt noch Nachsorgen betreuen zu müssen. Sie können sich völlig auf die jeweilige Schwangere konzentrieren", nennt Ackermann die Vorzüge der fest angestellten Hebammen. Sie werden nach Tarif bezahlt: Der Bruttoverdienst liegt zwischen 2877 und 3544 Euro. Für zusätzliche Dienste gibt es Prämien. Daher könne eine Vollzeitkraft auf 4500 Euro kommen, so Klinik-Sprecherin Eva Bredow-Cordier.

Das Klinikum geht auch eigene Wege bei der Rekrutierung ihres Nachwuchses und ist eine Kooperation mit der Hebammenschule in Frankfurt eingegangen, sagt Eva Bredow-Cordier. "Wir versuchen, pro Jahr acht Hebammen und Entbindungspfleger auszubilden und zu behalten." Obendrein kooperiert das Klinikum mit dem Start-Up Kinderheldin: Gebärende bekommen einen Gutschein und erhalten auch am Wochenende oder nachts medizinisch fundierte Beratung per Chat oder am Telefon.

Nach der Geburt immer früher daheim

Auch mit der Stadt ist das Klinikum im Gespräch. Dort weiß Sozialdezernentin Barbara Akdeniz um den Hebammenmangel: "Er zeichnet sich in Darmstadt vor allem bei der Wochenbettbetreuung ab." Durch die Einführung von Fallpauschalen in Kliniken würden die Frauen nach der Geburt immer früher entlassen, "dadurch steigt der ambulante Betreuungsbedarf im Wochenbett", sagt Akdeniz. Dieser Mangel wirkt sich auch auf das Darmstädter "Netzwerk Frühe Hilfen und Familienhebammen" aus. Eigentlich, so die Sozialdezernentin, haben die "Frühen Hilfen" werdende Familien im Blick, besonders jene mit psychosozialen Belastungsfaktoren. "Es kommt aber zu einer Verschiebung", sagt sie. "Familien fragen zwar nach einer Familienhebamme, benötigen aber eigentlich eine Wochenbettbetreuung."

Noch ist das Wochenbett für Yannicka weit weg - obwohl die Geburt in zwei, drei Wochen näher rückt. Auch ohne Vorbereitungskurs ist sie zuversichtlich, dass sie und ihr Partner die Geburt meistern werden. Schließlich seien sie als Sportler "Teamarbeit" gewohnt - wie auch Pünktlichkeit. "Daher gehen wir auch bei unserem Baby von einer Punktlandung aus."