Medizin:Psychiatrien ohne Kontrolle

Mehr als die Hälfte aller Kliniken verschweigt ihre Personalausstattung, obwohl sie dazu verpflichtet ist. Doch Verstöße bleiben ohne Folgen. Gesundheitsexperten vermuten im überwiegenden Teil der Psychiatrien Personalmangel.

Von Kristiana Ludwig, Berlin

Nicht einmal die Hälfte aller Psychiatrien in Deutschland hat in diesem Jahr einen Nachweis über ihr Personal erbracht. Aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen geht hervor, dass nur 43,7 Prozent der Kliniken diese Pflichtmeldung gemacht haben: "Damit entziehen sich die psychiatrischen Einrichtungen ihrer gesetzlichen Verpflichtung", sagt die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Maria Klein-Schmeink.

Personalmangel in einer Psychiatrie hat für die Patienten ernste Konsequenzen. Den Menschen, die wegen ihrer Erkrankung zu Aggressionen neigen, können Pfleger und Ärzte mit Einfühlungsvermögen und Ruhe helfen. Doch wenn diese Ruhe fehlt und ein Wutausbruch eskaliert, bleiben den Mitarbeitern oft nur Zwangsmaßnahmen wie die Fixierung am Bett als Ausweg - eine Maßnahme, die das Bundesverfassungsgericht erst im Juli als einen Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit bezeichnet hat und nur unter strengen Auflagen erlaubt. "Eine quantitativ und qualitativ ausreichende Personalausstattung ist unverzichtbar für die Vermeidung von Gewalt und Zwang ", heißt es in einer Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie.

Weil es so wichtig ist, psychiatrische Abteilungen gut zu besetzen, hat die Bundesregierung vor drei Jahren veranlasst, dass Kliniken jedes Jahr nachweisen müssen, wie viele Mitarbeiter sie dort einsetzen. Diesen Nachweis müssen die Kliniken unter anderem den Krankenkassen vorlegen, die daran erkennen können, ob Geld, das in Personal fließen sollte, tatsächlich für neue Pfleger, Ärzte und Psychologen verwendet wurde. Die Pflicht gilt für jede der bundesweit 481 Psychiatrien, eigentlich. Der Grund für die mangelnde Beteiligung der Kliniken ist simpel: Es gibt zwar eine Nachweispflicht, doch im Gesetz stehen keinerlei Sanktionen. Wer auf die Meldung verzichtet, muss keine Strafe fürchten. Das führt nicht nur zu mangelnder Transparenz, sondern im Augenblick auch zu einer Patt-Situation mit den Kassen: Aus dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen heißt es, gerade sei es schwer, mit den Kliniken Jahresbudgets auszuhandeln.

Dabei spricht Gesundheitsexperten zufolge vieles dafür, dass im überwiegenden Teil der Psychiatrien Personalmangel herrscht. Kürzlich schrieben Betriebs- und Personalräte aus knapp 100 Einrichtungen einen offenen Brief an Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), in dem sie über die schlechte Personalausstattung und Überlastung klagten.

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