Dienstag, 19. März 2024

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Forschungsprojekt "Promise"
Keine Bettruhe nach der OP

Drei Tage Bettruhe nach einer OP - das war einmal. Die Patienten, die beim Forschungsprojekt Promise mitmachen, stehen schon am Tag der Operation wieder auf den Beinen. Dann verlieren sie keine Muskeln durchs Liegen - und sind insgesamt schneller wieder raus aus dem Krankenhaus.

Von Anke Petermann | 22.09.2018
    Eine Ärztin sitzt am in einer Arztpraxis am Schreibtisch, während ein Patient mit Krücken im Sprechzimmer steht.
    Wer nach der OP schneller fit ist, kann auch früher nach Hause (picture-alliance / dpa / Christin Klose)
    Patientenseminar an der Universitätsmedizin Mainz. Thomas Klonschinski, Oberarzt in der orthopädischen Chirurgie, kommt zügig zur Sache. Drei Tage ausruhen nach der Operation – das war einmal.
    "Sie sollen am OP-Tag schon stehen. Wir erwarten das quasi von Ihnen. Und wir machen das auch mit Ihnen. Wir scheuchen Sie nicht aus dem Bett mit einem Feldwebel, sondern da kommt jemand, der Ihnen hilft."
    Neue Hüfte, neues Knie - und keine Schonzeit. Damit aber auch kein Verlust von Muskelmasse durchs Liegen. Das ist die Botschaft an die sechs Zuhörer zwischen Ende 40 und Mitte 60. Sie alle leiden, teils unfall-, teils altersbedingt an Arthrose, also Gelenkverschleiß, samt unerträglichen Schmerzen beim Gehen. In den nächsten Tagen wird ihnen eine Prothese implantiert. Keine Bettruhe nach der OP – Nikolaus Falker schreckt diese Aussicht nicht.
    "Ich bin grundsätzlich ein sehr mobiler Mensch. Und das belastet mich sehr, dass ich nicht mehr so kann, wie ich möchte. Und ich bin auch bereit, alles zu unternehmen, damit das Ganze wieder in die richtigen Bahnen gelenkt wird."
    Patientenseminar ist unverzichtbar
    Der Klempnermeister hat Jahrzehnte lang schwere Rohre und Wannen geschleppt. Zuletzt waren die Hüftschmerzen so stark, dass er aufs Radeln verzichtete, Treppen mied – und an Gewicht zulegte. Im Patienten-Seminar erfährt der Pensionär nacheinander vom Chirurgen, Anästhesisten und der Pflegechefin, warum er sich so bald nach dem Eingriff wieder bewegen kann: schonende OP-Methoden, kleine Schnitte, Verzicht auf Schläuche machen es möglich. All das gehört zum 5 Millionen Euro schweren Modell- und Forschungsprojekt mit dem Kürzel Promise. Unverzichtbar dabei: das Patientenseminar, betont Professor Philipp Drees, Chefarzt für Orthopädie an der Mainzer Universitätsmedizin.
    "Weil sonst bei dem Patienten der Eindruck entsteht: Die haben kein Personal mehr, und deswegen muss ich alles alleine machen. Nein, es ist ganz anders. Es ist am Anfang aufwendiger für das Personal drum herum, für die Physiotherapie und die Pfleger, weil Sie eben nicht im Bett liegen und sie sagen, da hast du einen Katheter, da läuft der Urin ab, da hast du eine Bettpfanne, und hier hast du noch Schläuche im Knie, und damit kannst du sowieso nicht laufen. Es ist am Anfang aufwendiger, aber das Ergebnis ist viel besser."
    Schon vor der Operation bekommt Nikolaus Falker seine Gehstützen, im Volksmund Krücken.
    "Lassen Sie uns das mal kurz üben."
    Physiotherapeut Adam Ptak leitet Falker und die anderen Seminar-Teilnehmer an: nicht humpeln, sondern natürlich gehen wie beim Nordic Walking - und die Gehhilfen nutzen, um nicht zu fallen. Das Coaching hilft den Seminarteilnehmern, sich die ersten Schritte nach der OP vorzustellen. Schmerzfrei werden sie nach dem Eingriff nicht sein. Aber der Schmerz rührt von einer bestens versorgten Wunde, erläutert Ulrich Betz, Leiter der Physikalischen Therapie an der Uniklinik.
    "Von daher haben wir kein schlechtes Gewissen, den Schmerz zu dämpfen auf ein Maß, das der Patient sehr gut ertragen kann, und dem Patienten zu sagen, was an Schmerz übrig ist, ist nicht gefährlich für dich. Der Körper wird lernen, dass alles gut ist, dass das heilen wird, dass das voll belastbar wird."
    Zeit im Krankenhaus verkürzt sich
    Das Gehen mit Krücken klappt, sogar die Treppe ist zu bewältigen - bei Nikolaus Falker wachsen Motivation und Zuversicht, bei seiner Frau auch.
    "Man weiß so im Großen und Ganzen, was auf einen zukommt, das beruhigt schon ein bisschen."
    "Das klappt auf jeden Fall sehr schnell, da bin ich ganz sicher."
    Kurzer Blick noch auf den Bewegungsparcours im langen Klinik-Flur, eine Art Trimmpfad mit Ballettstangen an den Seiten. Hier werden Falker und die anderen Patienten mit Anleitung und selbstständig üben. Früher blieben Patienten mit Gelenk-Prothesen durchschnittlich elf Tage im Krankenhaus, heute sieben.
    Und wer die schützende Muskulatur ums neue Gelenk so konsequent trainiert wie die pensionierte Lehrerin Renate Ulrichs, ist schon nach vier Tagen wieder draußen. Allerdings nicht zuhause, sondern in der Reha. Die Median-Klinik Aukammtal in Wiesbaden macht mit beim interdisziplinären Forschungs- und Modellprojekt Promise. Weil die beteiligten Krankenhäuser jetzt früher fittere Patienten entlassen, intensiviert sich auch die Reha. Ulrichs hat den Vergleich. Drei Tage Bettruhe nach der ersten Hüft-OP vor neun Jahren hatten sie erst mal Fitness gekostet.
    "Damals war ich auch schon in der Aukamm-Klinik zur Reha. Und es waren so drei verschieden Anwendungen am Tag, maximal vier. Und jetzt ist man gut zu Fuß, das heißt sechs bis sieben am Tag, und es bringt unheimlich viel."
    Allein an diesem Nachmittag stehen nach dem Ganzkörper-Training noch Radeln auf dem Stand-Fahrrad und Wassergymnastik auf dem Programm. "Tut alles gut", strahlt die pensionierte Lehrerin.
    "Nach ein paar Tagen bin ich aus dem Zimmer rausgegangen und habe mich gewundert – irgendwas fehlte – ooch, ich hab' meine Krücken vergessen. Weil es schon so gut ging."
    Gesundheitssystem könnte entlastet werden
    Frei gehen, Auto fahren, all das wird die 70-Jährige nach der Entlassung kommende Woche können. "Wir führen die Patienten schneller ins Leben zurück", sagt Johannes Schröter, Chefarzt Orthopädie an der Reha-Klinik.
    "Und das ist ja eines der Studienziele: Wie sieht das aus bei den berufstätigen Menschen, fangen die früher an, wieder zu arbeiten? Entstehen weniger Kosten, denn wenn jemand schmerzfrei ist und frei laufen kann, braucht er weniger Medikamente und Therapien im Nachgang, und so glauben wir, dass wir das Gesundheitssystem deutlich entlasten können."
    Bewegtes Krankenhaus, intensivierte Reha, aktivierte Patienten – diese Grundidee taugt nicht nur für die Orthopädie - davon sind die kooperierenden Chefärzte Drees und Schröter überzeugt.
    "Und die Lebensfreude, die wir den Menschen geben, die ist unbezahlbar."