Der Arzt aus dem Smartphone

Die Digitalisierung Schwedens hat mit Macht das Gesundheitswesen erfasst. Apps, die Videokonsultationen mit Ärzten ermöglichen, erleben einen Boom.

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Doktor App wächst rasant

(Bild: MinDoktor)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Hanns-J. Neubert

Arztkonsultationen über Smartphone und Tablet nehmen derart rasant zu, dass die Gesundheitsbehörden damit überfordert sind, Kosten und Wildwuchs einzudämmen. Dank der privaten Portale Kry, Min Doktor und Medicoo stieg die Zahl der digitalen Arztkontakte von 13000 im April 2017 auf 35000 im April 2018. 90 Prozent der Online-Patienten sind unter 50 Jahre alt. 43 Prozent der Nutzer stammen aus dem Großraum Stockholm, obwohl die Hauptstadtbewohner nur 23 Prozent der Bevölkerung ausmachen.

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Per Internet konsultiert werden können nicht nur Allgemeinmediziner, sondern auch Internisten, HNO-, Haut- und Kinderärzte. Seit März bietet Kry sogar eine Online-Verhaltenstherapie für depressive Patienten an. Viele Ärzte, die sich per App kontaktieren lassen, arbeiten in staatlichen Krankenhäusern und verdienen sich online ein Zubrot – mitunter sogar während der Dienstzeit, wie die Tageszeitung "Sydsvenskan" berichtete.

Losgetreten hat den Boom die Regionalverwaltung in Jönköping am Südende des Vättersees. Sie beschloss 2016, für Videovisiten genauso zu zahlen wie für persönliche Sprechstunden in traditionellen Gesundheitszentren. Damit halbierte sich zugleich die Selbstbeteiligung der Patienten auf umgerechnet 25 Euro pro Online-Arztkontakt.

Zwei privat betriebene, aber staatlich finanzierte Behandlungszentren in Jönköping schlossen daraufhin Verträge mit den beiden führenden Arztportalen Kry und Min Doktor, sodass die Abrechnungen für Online-Arztberatungen aus ganz Schweden seitdem ausschließlich über Jönköping laufen. Da das schwedische Gesundheitssystem aber regional organisiert ist, holt sich die Behörde in Jönköping die Kosten aus den Heimatgemeinden der App-Nutzer zurück.

Die Gemeinden geben dadurch immer mehr von ihrem eigenen Budget nach Jönköping ab. Diese Gelder fehlen den örtlichen Behandlungszentren für Investitionen oder bürgernahe Telefon- und Onlineservices. Oder auch, um in den wenig bewohnten Gebieten des Nordens Gesundheitsräume in Supermärkten vorzuhalten.

Wieso aber sind die Online-Portale bei der schwedischen Bevölkerung derart beliebt? Ein Grund sind die langen Wartezeiten bei den traditionellen Behandlungszentren, die bei nicht akuten Gesundheitsproblemen schon mal mehrere Wochen betragen können. Kry und Min Doktor versprechen dagegen den schnellen Kontakt zu einem Arzt innerhalb von zehn Minuten.

Trotzdem könnte dieser prompte Service der schwedischen Gesundheitsinfrastruktur auch Nachteile bringen. Denn die Daten aus den Videokonsultationen landen ebenfalls in Jönköping und stehen nicht schnell genug zur Verfügung, wenn der Patient doch noch vor Ort das zuständige Behandlungszentrum oder Krankenhaus aufsuchen muss. Obendrein sollen die App-Ärzte einem Bericht der Regionalregierung in Jönköping zufolge Infektionen diagnostiziert und Antibiotika verschrieben haben, obwohl das ohne körperliche Untersuchung gar nicht erlaubt ist.

(bsc)