S 2 KR 2292/13

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 2 KR 2292/13
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.194,05 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5% seit dem 25.07.2012 zu zahlen. 2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. 3. Der Streitwert wird auf 4.195,05 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

In Streit steht die Vergütung einer teilstationären psychiatrischen Behandlung.

Die 30jährige bei der Beklagten Versicherte befand sich im Zeitraum 17.November 2011 bis 13. Januar 2012 in teilstationärer Behandlung in der klägerischen Klinik. Die dafür in Rechnung gestellten Kosten in Höhe von 5.500,42 EUR bezahlte die Beklagte zunächst in vollem Umfang, beauftragte jedoch den MDK mit der Überprüfung der Notwendigkeit und Dauer der teilstationären Behandlung.

In seinem Gutachten vom 20. Juni 2012 bewertete der MDK die teilstationäre Behandlung ab 1. Dezember 2011 als sekundäre Fehlbelegung. Auf Grund komplexer psychiatrischer Vorerkrankungen und einer Verschlechterung der depressiven Symptomatik sei zwar eine Krisenintervention nachvollziehbar, jedoch wäre nach 14 Behandlungstagen eine ambulante Weiterbehandlung ausreichend gewesen. Dabei unterstellte der MDK (fälschlicherweise), dass die Versicherte vor Beginn der hier streitigen teilstationären Behandlung bereits im Zeitraum 4. August 2011 bis 18. Oktober 2011 eine ebenfalls teilstationäre Behandlung durchlief. Gegen die weitere teilstationäre Behandlungsbedürftigkeit spreche weiter die mangelnde Motivation der Versicherten; im Übrigen könne die Diagnose einer schweren depressiven Episode nicht nachvollzogen werden, da die Versicherte ein gepflegtes Äußeres zeigte und das formale Denken geordnet verlief.

Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein und stellte klar, dass die Versicherte im vorangegangenen Zeitraum vom 4. August 2011 bis 18. Oktober 2011 nicht teilstationär sondern stationär behandelt worden war. Im Übrigen hätte während des streitigen teilstationären Behandlungszeitraumes eine schwerwiegende depressive Episode vorgelegen mit Konzentrationsproblemen, Schlafstörungen mangelnder Zukunftsperspektive und wenig Selbstvertrauen. Darüber hinaus hätte die Versicherte eine Affekt- und Antriebsstörung gezeigt und zusätzlich an einer Borderline- und Essstörung gelitten, so dass eine 14tägige Krisenbehandlung nicht ausreichend gewesen wäre.

Der MDK blieb auch in seinem zweiten Gutachten vom 24. Juli 2012 bei seiner Einschätzung und hielt weiterhin eine zweiwöchige Krisenbehandlung für medizinisch ausreichend auch zur Vermeidung einer Hospitalisierung. Die Krankenakte weise darüber hinaus auch auf keine schwer depressive Symptomatik hin.

Daraufhin verrechnete die Beklagte am 25. Juli 2012 einen Betrag in Höhe von 4.194,05 EUR mit anderen unstreitigen Forderungen der Klägerin.

Am 16. Dezember 2013 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin Klage erhoben. Er vertritt die Auffassung, dass die teilstationäre Behandlung in vollem Umfang erforderlich gewesen sei und beruft sich insoweit auf die medizinische Einschätzung der behandelnden Krankenhausärzte und beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 4.194,05 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % seit dem 25. Juli 2012 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen

und beruft sich im Wesentlichen auf die Ausführungen des MDK in seinen Gutachten vom 20. Juli 2012 und 24. Juli 2012.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtes vom 10. Mai 2014. Darin kommt der medizinische Sachverständige zu dem Ergebnis, dass die teilstationäre Behandlung über den gesamten Zeitraum medizinisch notwendig gewesen sei.

Der MDK hielt in einem weiteren Gutachten vom 19. September 2014 an seiner bisherigen Auffassung fest und verwies ergänzend darauf, dass die Versicherte in den ersten zwei Wochen der Behandlung keine psychische Destabilisierung gezeigt habe, die eine Intervention erfordert habe. Im Übrigen bemängelte die Beklagte zuletzt in der mündlichen Verhandlung die teilweise lückenhafte Dokumentation in der Krankenakte.

Hinsichtlich des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichts-, Verwaltungs- und Krankenakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Gleichordnungsverhältnis nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erhobene Leistungsklage ist statthaft (vgl. BSG, Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 8/11 R, recherchiert nach juris) und auch im Übrigen zulässig und begründet. Die Klägerin hat einen weiteren Vergütungsanspruch in Höhe von 4.194,05 EUR 7.975,35 EUR nebst 5 % Zinsen seit dem 25. Juli 2012.

Streitbefangen ist hier nicht mehr der Anspruch auf Zahlung des Behandlungsfalles der versicherten Patientin, da diese Forderung von der Beklagten bereits nach Vorliegen der notwendigen Abrechnungsdaten vollständig beglichen wurde. In Streit steht aktuell, ob die Beklagte berechtigt war, am 25. Juli 2012 mit einem entsprechenden öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch aus diesem Behandlungsfall gegen spätere unstreitige Forderungen der Klägerin aus anderen Behandlungsfällen in Höhe der Klageforderung aufzurechnen. Eine solche Aufrechnung ist nach § 69 Abs. 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (SGB V) i.V.m. § 387 ff Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) grundsätzlich möglich; vorliegend ist die Kammer jedoch zu der Überzeugung gelangt, dass der Beklagten ein entsprechender öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch (zur Anwendung auf überzahlte Krankenhausvergütung vgl. z.B. BSG SozR 4-5562 § 9 Nr. 4 Rdnr.9; BSGE 109,236) nicht zusteht, da die Versicherte während des gesamten Behandlungszeitraumes der teilstationären Behandlung bedurfte. Die Klägerin hat folglich aus den später unstreitig erfolgten weiteren Behandlungen anderer Versicherten noch einen Vergütungsanspruch in Höhe der Klageforderung.

Die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse entsteht – unabhängig von einer Kostenzusage – unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten. Der aus § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V resultierenden Behandlungspflicht des Krankenhauses steht ein Vergütungsanspruch gegenüber, der auf der Grundlage der gesetzlichen Ermächtigung in den §§ 16, 17, 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) nach Maßgabe der Bundespflegesatzverordnung (BPfV) in der Pflegesatzvereinbarung zwischen Krankenkasse und Krankenhausträgern festgelegt wird sowie den am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Vertrag Allgemeine Bedingungen Krankenhausbehandlung vom 19. Dezember 2002 zwischen der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft e.V. und u.a. der Beklagten (Vertrag nach § 112 SGB V). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG entsteht die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich ist (vgl. BSG, Urteil vom 18.09.2008 – B 3 KR 15/07 R, recherchiert nach juris).

Vorliegend hat die teilstationäre Krankenhausbehandlung in einem zugelassenen Krankenhaus stattgefunden und war auch nach der Überzeugung der Kammer aus medizinischen Gründen in vollem Umfang erforderlich. Damit hat die Beklagte die klägerischen Rechnungen zu Recht bezahlt und ihr steht kein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zu, mit dem sie wirksam aufrechnen konnte.

Nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V ist eine teilstationäre Behandlung erforderlich, wenn das Behandlungsziel nicht durch vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Die Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung ist weiter davon abhängig, dass die Behandlung primär dazu dient, eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder die Krankheitsbeschwerden zu lindern (vgl. § 27 Abs. 1 SGB V). Die Krankenkasse ist dann nicht mehr leistungspflichtig, wenn der Versicherte keiner ärztlichen Behandlung mehr bedarf, sondern aus anderen Gründen, etwa wegen Hilflosigkeit, Pflegebedürftigkeit, zur Verwahrung oder zum Schutz der Öffentlichkeit im Krankenhaus behalten und dort untergebracht wird. Die Krankenkasse schuldet eine Krankenhausbehandlung nur dann, wenn der Gesundheitszustand des Patienten sie aus medizinischen Gründen erfordert (vgl. Beschluss des Großen Senats des BSG vom 25.09.2007 – GS 1/06, recherchiert nach juris), wobei die Frage, ob eine Krankenhausbehandlung aus medizinischen Gründen notwendig ist, gerichtlich grundsätzlich in vollem Umfang nachprüfbar ist.

In seiner Entscheidung vom 13. November 2012 (vgl. B 1 KR 27/11 R, recherchiert nach juris) hat das BSG nochmals betont, dass das Regelungssystem des SGB V Ansprüche auf eine erforderliche Krankenhausbehandlung unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes nach objektiven Kriterien begründet. Dies bedeute, dass die Krankenhausbehandlung ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein muss und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürfe. Nur unter diesen Voraussetzungen schulde die Krankenkasse dem Versicherten eine Krankenhausbehandlung und dem Leistungserbringer korrespondierend die vereinbarte Vergütung. Über die Erforderlichkeit der Behandlung habe allein die Krankenkasse und im Streitfall das Gericht zu entscheiden, ohne dass diese an die Einschätzung des Krankenhauses oder seiner Ärzte gebunden seien.

Die Kammer ist nach Würdigung des Gutachtens des gerichtlich bestellten Sachverständigen vom 10. Mai 2014 und der MDK-Gutachten vom 20. Juni 2012, 24. Juli 2012 und 19. September 2014 zu der Auffassung gelangt, dass die teilstationäre Krankenhausbehandlung im streitigen Zeitraum vom 1. Dezember 2011 bis 13. Januar 2012 im Sinne von §§ 27 Abs. 1, 39 Abs. 1 SGB V erforderlich war und damit zu Recht von der Beklagten beglichen wurde. Die Kammer folgt insoweit den überzeugenden Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen.

Im Gutachten vom 10. Mai 2014 wird die Schwere der Erkrankung, die die teilstationäre Behandlung in vollem Umfang erforderte, insbesondere daran festgemacht, dass der Versicherten bereits 4 Wochen nach der vorausgegangenen 10wöchigen stationären Behandlung von ihrem ambulanten Facharzt für Neurologie und Psychiatrie mit der Diagnose rezidivierende depressive Störung – schwere Episode erneut eine Krankenhausbehandlung verordnet worden war. Es wird weder vom MDK ausgeführt noch ist der Krankenakte zu entnehmen, auf welche Ursachen der erhebliche Stimmungseinbruch nach relativ kurzer Zeit zurückzuführen ist. Jedenfalls ist es für die Kammer nicht erkennbar, warum unter diesen Umständen die vom MDK vorgeschlagene kurze Krisenintervention in jedem Fall ausreichend gewesen sein soll. Die hierfür vom MDK angeführte Begründung, dass nach 10wöchiger stationärer Behandlung es der Versicherten bei einem Aufflammen der schweren Depression möglich sein müsste, sich nach zwei Wochen soweit zu stabilisieren, dass eine weitere ambulante Behandlung ausreichend ist, wird nicht weiter durch Argumente untermauert. Zu berücksichtigen ist hier nach Auffassung der Kammer insbesondere, dass gerade nicht erkennbar war, dass bestimmte konkrete Ereignisse diese gesundheitliche Verschlechterung ausgelöst haben. Der medizinische Sachverständige stellt jedenfalls fest, dass die ärztliche Erfahrung unter den gegebenen Umständen gegen einen hinreichenden medizinischen Erfolg einer kurzen Krisenbehandlung spreche. Die Kammer schließt sich dieser Einschätzung an.

Im Übrigen sieht der medizinische Sachverständige in der Tatsache, dass die Versicherte während der teilstationären Behandlung wenig Motivation zeigte, gerade eine Folge der diagnostizierten Depression und zugleich auch ein Hindernis in Bezug auf eine ambulante Weiterbehandlung, die auch vom MDK als notwendig erachtet wurde. Auch diese Schlussfolgerung des medizinischen Sachverständigen ist für die Kammer nachvollziehbar, da eine ambulante Weiterbehandlung unmittelbar von einer entsprechenden Mitwirkung und damit entsprechenden Motivation der Versicherten abhängig ist. Darüber hinaus schließt sich die Kammer auch den weiteren Ausführungen des medizinischen Sachverständigen an, dass das gepflegte äußere Erscheinungsbild der Versicherten und auch das Fehlen von Einschränkungen des formalen Denkens nicht unmittelbar gegen das Krankheitsbild einer schweren depressiven Episode sprechen.

Auch der Einwand des MDK im Gutachten vom 19. September 2014, dass die Versicherte in den ersten beiden Behandlungswochen keine psychische Destabilisierung zeigte, die eine Intervention erforderte, führt zu keiner anderen Beurteilung. Dies gilt insbesondere, da die Versicherte gerade nicht auf konkrete äußere Ereignisse mit interventionsbedürftigen Stimmungsschwankungen reagierte, sondern im Gegenteil über die gesamte teilstationäre Behandlungszeit ein relativ konstantes und sich nur langsam besserndes Krankheitsbild zeigte, was aber nicht gegen die Diagnose einer schweren depressiven Episode spricht.

Auch die zuletzt in der mündlichen Verhandlung von der Beklagten monierte unzureichende medizinische Dokumentation in der Krankenakte, kann den geltend gemachten öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch nicht hinreichend begründen. Es trifft zwar zu, dass in der Pflege- und Behandlungsdokumentation für den 18.11., 24.11, 2.12., 16.12. und 30.12.2011 entsprechende Einträge des Pflege- und Behandlungsteams fehlen. Es gibt aber andererseits keine ernsthaften Hinweise, dass die Versicherte an den genannten Tagen nicht behandelt wurde, da an den entsprechenden Tagen zumindest eine Medikamentengabe mit Handzeichen in der Krankenakte vermerkt wurde. Im Übrigen haben weder der MDK noch der medizinische Sachverständige eine mangelnde Dokumentation bemängelt.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§12, 14 des Hamburger Vertrages über die Allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung vom 19. Dezember 2002.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen, da sie in vollem Umfang unterlegen ist. Der Streitwert wird in Höhe des mit der Klage geltend gemachten Anspruchs gemäß § 197a SGG in Verbindung mit § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz GKG festgesetzt.
Rechtskraft
Aus
Saved