Saarbrücken „Absurdität mit Hang zum Zynismus“

Saarbrücken · Sind Patienten, die nach einer Reanimation noch in der Notaufnahme sterben, ein stationärer Fall oder ein ambulanter? Die Kliniken halten die Abrechnungspraxis für ethisch nicht vertretbar.

 Patienten, die von einem Notarzt reanimiert werden, kommen mit dem Rettungsdienst in die Notaufnahme. Nicht immer kann der Patient jedoch gerettet werden.

Patienten, die von einem Notarzt reanimiert werden, kommen mit dem Rettungsdienst in die Notaufnahme. Nicht immer kann der Patient jedoch gerettet werden.

Foto: dpa/Hauke-Christian Dittrich

Im weitgehend durchökonomisierten Gesundheitssystem gibt es kein Geld zu verschenken, weder für die Krankenhäuser noch für die Krankenkassen. Nach Ansicht der Kliniken treibt diese Entwicklung mittlerweile aber höchst bedenkliche Blüten. Wie der SZ übereinstimmend aus mehreren Krankenhäusern berichtetet wurde, kommt es immer wieder vor, dass Krankenkassen Patienten, die wiederbelebt werden müssen, deswegen ins Krankenhaus kommen und noch am selben Tag im Schock­raum oder in der Notaufnahme  sterben, nicht als stationären, sondern als (günstigeren) ambulanten Fall abrechnen wollen.

„Hier wird bei allem Bestreben der Kasse, Geld zu sparen, die Grenze des ethisch Vertretbaren weit überschritten“, sagt etwa Dr. Jacqueline Voges, die Leiterin des Medizin­controllings im Klinikum Saarbrücken auf dem Winterberg. Sie spricht von einer „Absurdität mit Hang zum Zynismus“. Auch der Krankenhausträger Marienhaus, der Häuser in St. Wendel, Saarlouis, Dillingen, Neunkirchen-Kohlhof, Ottweiler und Losheim betreibt, bestätigt solche Vorgänge. Es seien zwar Einzelfälle, sagt Dr. Katja Seidel, die Medizin-Controllerin von Marienhaus. „Aber emotional geht einem das natürlich nahe.“

Streitpunkt ist dabei die Frage, wann eine Behandlung stationär ist. „Definitionsgemäß ist ein stationärer Fall ein solcher, der der besonderen Mittel des Krankenhauses bedarf und der in den Stationsablauf eingebunden wurde“, sagt Jacqueline Voges. Aber welcher Patient bedürfe denn mehr der besonderen Mittel eines Krankenhauses als der Patient, den wiederzubeleben versuche? Sie sei selbst lange Zeit als Notärztin und Intensivmedizinerin tätig gewesen und könne daher den Ressourcenverbrauch bei einer Reanimation bestens beurteilen.

Auch bei Marienhaus heißt es, natürlich habe ein Reanimations­patient die Mittel des Krankenhauses gebraucht. „Sonst hätte er ja zum Hausarzt gehen können“, sagt Katja Seidel. Wann aber ist ein Patient – zweites Kriterium – in den stationären Ablauf eingebunden? Seidel sagt, der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) argumentiere, dies sei erst der Fall, wenn eine Akte auf der Station angelegt werde. Aber so weit kämen Reanimationspatienten, die im Schockraum oder in der Notaufnahme sterben, ja erst gar nicht.

Der Verband der Ersatzkassen (vdek) erklärt, man müsse den einzelnen Fall betrachten, da man nur so einschätzen könne, warum eine Abrechnungsgrundlage (ambulant/stationär) gewählt worden sei. „Eine Verallgemeinerung dieser Frage, gleich in welche Richtung, ist aus unserer Sicht daher nicht angebracht und wird der Situation der Angehörigen und der Trauer um einen Menschen nicht gerecht.“

Beim MDK, der prüft, ob Leistungen richtig abgerechnet werden, heißt es, die Krankenhäuser würden selbstverständlich die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur klaren Abgrenzung zwischen ambulanter und stationärer Abrechnung von Reanimationspatienten kennen. Dr. Anja Hünnighausen, die Leitende Ärztin des MDK im Saarland, schrieb auf SZ-Anfrage, ebenso sei den Krankenhäusern der vorgegebene Weg bekannt, strittige Einzelfälle medizinisch mit dem MDK oder leistungsrechtlich mit den Kassen zu erörtern. „Diese Erörterung spezifischer Fälle über die Presse zu führen, halten wir grundsätzlich für nicht zielführend.“

Das Verhältnis zwischen Krankenhausseite und dem Medizinischen Dienst scheint auch unabhängig von der aktuellen Frage äußerst angespannt. Als es vor wenigen Wochen zu einem Konflikt über vom MDK beanstandete Klinik-Rechnungen kam, habe die Krankenhausseite „die Ebene des sachlichen Diskurses verlassen und mit emotionalen und zum Teil diffamierenden Äußerungen eine Argumentationsebene gewählt, auf die wir uns mit der Bitte um Verständnis nicht einlassen möchten“, schreibt Hünnighausen der SZ.

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