Das Qualitätsmanagement und insbesondere die Organisation von Notaufnahmen werden in den letzten Jahren in Deutschland in der wissenschaftlichen Literatur, der Politik und der Presse zunehmend diskutiert. In dem aktuellen Gutachten des Sachverständigenrates (SVR) zur bedarfsgerechten Steuerung der Gesundheitsversorgung wird eine umfassende sektorenübergreifende Ausgestaltung der Notfallversorgung empfohlen [1]. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat kürzlich ein gestuftes System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern beschlossen, wobei „die Aufnahme von Notfällen … ganz überwiegend in einer Zentralen Notaufnahme (ZNA)“ erfolgen und „die ZNA … eine räumlich abgegrenzte, fachübergreifende Einheit mit eigenständiger fachlich unabhängiger Leitung“ sein soll. Des Weiteren soll der „verantwortliche Arzt … über die Zusatzweiterbildung „Klinische Notfall- und Akutmedizin“ verfügen [2, S. 3 §6, S. 4 §9].

Inwieweit dieser Arzt – insbesondere auch im Hinblick auf die Heilverfahren in der gesetzlichen Unfallversicherung – über eine entsprechende unfallchirurgische Fachkompetenz bzw. entsprechende Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten verfügen soll, wird nicht weiter ausgeführt. Transparente Darstellungen, die eine Abschätzung darüber erlauben, welchen Anteil Patienten aus diesem Fachgebiet am Gesamtpatientenaufkommen in der Notaufnahme haben, liegen nicht vor.

Ziel der vorliegenden Auswertung war es, den Stellenwert der Unfallchirurgie für die Notfallbehandlung in Krankenhäusern anhand der Verteilung und Häufigkeit von unfallchirurgischen bzw. orthopädischen Krankheitsbildern in den Notaufnahmen einer deutschen Großstadt darzulegen.

Material und Methoden

Untersuchungsgebiet und Klinikdaten München

Die Stadt München erstreckt sich über eine Fläche von 310,71 km2 mit einer Einwohnerzahl von aktuell ca. 1,5 Mio. Einwohnern (Stand: Ende 2017). Sie ist die Landeshauptstadt des Freistaats Bayern und die nach Einwohnern drittgrößte Stadt Deutschlands. Im Jahr 2015 verzeichnete das statistische Amt der Landeshauptstadt München 472.442 Patientenzugänge in allen Kliniken mit einer Fallzahl von 472.750 (errechnet aus der Hälfte der Patientenzugänge plus der Hälfte der Patientenabgänge, einschl. Todesfälle). Im Jahr 2006 betrug die Fallzahl der Patienten in München noch 420.667. Im Jahr 2015 arbeiteten 5683 Ärzte in den Kliniken in München, 399 in der Chirurgie und 167 in der Orthopädie, hiervon verfügten 58 über die Zusatzweiterbildung spezielle Unfallchirurgie nach der Weiterbildungsordnung 2004/2017 bzw. den Schwerpunkt Unfallchirurgie nach der Weiterbildungsordnung 1993/2002 [3].

Datenerfassung und -auswertung

Es handelt sich um eine deskriptive, epidemiologische Studie, die als prospektiv geplante Subgruppenanalyse im Rahmen einer Studie zur Feststellung des Ist-Standes der Versorgung durch die wichtigsten Krankenhausnotaufnahmen der Stadt vorgenommen wurde. Im Zeitraum vom 01.07.2013 bis 30.06.2014 wurden alle Fälle, die sich in einer der 14 teilnehmenden Notaufnahmen vorstellten, unabhängig von Behandlungs- oder Abrechnungsart, erfasst und ausgewertet. Die Auswahl der Kliniken basierte auf der Häufigkeit, mit der diese vom Rettungsdienst angefahren wurden. Ziel war es, mindestens 95 % der rettungsdienstlich vorgestellten Fälle im Beobachtungszeitraum zu erfassen. Beteiligt waren das Klinikum der Universität München mit den Standorten Großhadern und Innenstadt, die städtischen Kliniken Bogenhausen, Harlaching, Neuperlach, Schwabing, die HELIOS-Kliniken Pasing und Perlach, das Klinikum Dritter Orden, das Krankenhaus Barmherzige Brüder, das Rotkreuz Klinikum, die Kliniken Dr. Müller und Dr. Rinecker sowie das Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München. Psychiatrische Einrichtungen wurden in die Untersuchung nicht aufgenommen.

Im Beobachtungszeitraum stellten sich in den Notaufnahmeeinrichtungen dieser Kliniken insgesamt 524.716 Patienten vor. Die Daten dieser Fälle wurden von den Kliniken in anonymisierter Form zur zentralen Auswertung an das Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement (INM) übermittelt. Außerdem wurden Daten des elektronischen Einsatzleitsystems ELDIS 3 By der Integrierten Leitstelle (ILS) und des elektronischen interdisziplinären Versorgungsnachweises IVENA ausgewertet, die ebenfalls in anonymisierter Form vorlagen. Details zur Methodik sind anderorts beschrieben [4].

Das Studienprotokoll, eine detaillierte Beschreibung der verwendeten Daten und das Datenschutzkonzept wurden im Vorfeld der Ethikkommission am Klinikum der Universität München vorgelegt, die keine Beanstandungen hatte und die Beratungspflicht nach Fakultätsrecht aussetzte (Projekt-Nr. 17-530 UE).

Die Diagnosen basierten auf der Internationalen Statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (10. Revision, German Modification (ICD-10-GM) Version 2015), einer monohierarchisch strukturierten, alphanumerischen Klassifikation für Diagnosen mit bis zu 5 Hierarchieebenen. Die Systematik besteht aus 22 Kapiteln, von denen die meisten organspezifisch sind. Darüber hinaus werden Symptome und Krankheiten aber auch in nichtorganspezifischen Kapiteln beschrieben [5]. Insgesamt ist eine Fachgebietszugehörigkeit auf der Basis der ICD-10 nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich. Insbesondere für das Fachgebiet Unfallchirurgie bzw. Orthopädie kann aber anhand der ICD-Kapitel XIII („Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes“) und XIX („Verletzungen, Vergiftungen und bestimmte andere Folgen äußerer Ursachen“) ein fachlicher Bezug hergestellt werden. Alle Diagnosen wurden zunächst entsprechend den ersten 3 Stellen im Code gruppiert (sog. Dreisteller). Die Diagnosen, die dem Fachgebiet Unfallchirurgie bzw. Orthopädie zugeordnet wurden, sind in Tab. 1 dargestellt. Alle anderen Diagnosen wurden als „Andere“ klassifiziert.

Tab. 1 Kodierung nach ICD-10 der unfallchirurgischen bzw. orthopädischen Diagnosen

Um die häufigsten Krankheitsbilder aus medizinischer Sicht sinnvoll beschreiben zu können, wurde zusätzlich eine weitere Kategorisierung vorgenommen, da mit den Dreisteller-Codes der ICD-10 nur anatomische Regionen zusammengefasst werden, die Diagnosen aber nicht nach zugrunde liegender Pathologie unterschieden werden können. So lassen sich Frakturen am Handgelenk von Prellungen nur unterscheiden, wenn man diese zusätzlich nach der 4. Stelle im Code (sog. Viersteller) klassifiziert.

Außerdem wurden die Fälle nach der Art der Notaufnahmeeinrichtung kategorisiert: Vier Notaufnahmeeinrichtungen gehörten zu einer ausgewiesenen Kinderklinik. Fälle aus einer dieser pädiatrischen Notaufnahmeeinrichtungen wurden in der Kategorie „NA Kinder“ zusammengefasst. Weiter gab es Notaufnahmeeinrichtungen, die alleine einer speziellen Fachabteilung wie z. B. Frauen‑, Augen- oder Hautklinik zugeordnet waren. Diese Fälle wurden der Kategorie „NA Spezial“ zugeordnet. Alle anderen Fälle wurden in der Kategorie „NA Erwachsene“ zusammengefasst. Die Fälle der Kategorie „NA Spezial“ wurden ausgeschlossen, weil diese für die Fragestellung als nichtrelevant angesehen wurden.

Um die häufigsten Krankheitsbilder aus medizinischer Sicht sinnvoll beschreiben zu können, wurden die Codierungen [6] zunächst nach ICD-Typ, ICD-Kapitel und ICD-Gruppe mit ICD-Code untergliedert. Je nach Klassifikation von Diagnosen wurden die ICD-Gruppen sinnvoll zusammengefasst und in die wichtigsten Krankheitsbilder wie Verletzungen des Kopfes, Frakturen wie z. B. koxale Femurfrakturen und tiefe Wunden untergliedert.

Der Aufnahmetyp „stationär“ wurde für alle Fälle angewendet, die tatsächlich eine primäre stationäre Aufnahme auf eine Intensivstation, Überwachungsstation oder Normalstation aufwiesen. Alle anderen Fälle wurden als „ambulant“ kategorisiert. Zur Beschreibung des zeitlichen Verlaufs wurden Montag bis Freitag als „werktags“ und Samstag und Sonntag als „Wochenende“ zusammengefasst. Feiertage wurden ignoriert. Falls nicht anders angegeben, werden Daten als Mittelwert (MW) dargestellt.

Aufgrund der hohen Fallzahl von 524.716 Fällen wurde auf die Berechnung von 95 %-Konfidenzintervallen verzichtet.

Ergebnisse

Die Reduktion des Gesamtkollektivs auf die für die Unfallchirurgie bzw. Orthopädie relevanten Fälle ist in der Abb. 1 dargestellt. Zunächst wurden Patienten mit nichtdokumentierter Diagnose sowie Patienten mit Aufnahme in Spezialeinrichtungen ausgeschlossen. Anschließend wurden Patienten mit der Diagnoserubrik „Andere“ subtrahiert. Im Zeitraum vom 01.07.2013 bis 30.06.2014 wurden insgesamt 524.716 Patienten in den Notaufnahmen behandelt. Bei 71.606 Fällen war keine Diagnose codiert, 59.523 Patienten wurden in Spezialabteilungen wie z. B. Frauen‑, Augen- oder Hautkliniken versorgt.

Abb. 1
figure 1

Flussdiagramm für ein- und ausgeschlossene Fälle

Anteil der unfallchirurgischen Patienten

In die Analyse konnten somit insgesamt 393.587 Fälle aus den Kategorien „NA Erwachsene“ und „NA Kinder“ eingeschlossen werden, bei 169.208 Fälle wurde eine Hauptdiagnose gestellt, die dem Fach Unfallchirurgie bzw. Orthopädie zugeordnet werden konnte.

Damit ergibt sich ein Anteil für Fälle des Faches Unfallchirurgie bzw. Orthopädie von 43 % (Tab. 2). Davon verteilen sich 136.988 Fälle auf Notaufnahmen für Erwachsene und 32.220 Fälle in pädiatrischen Notaufnahmeeinrichtungen.

Tab. 2 Anteil von Fällen mit Hauptdiagnose im Fachgebiet Unfallchirurgie und Orthopädie, abhängig von der Notaufnahmekategorie

34.701 Patienten wurden unmittelbar nach Versorgung in der Notaufnahme primär stationär aufgenommen (21 %) und 134.507 Patienten ambulant (79 %) behandelt.

Zeitpunkt der Vorstellung der unfallchirurgischen Patienten

Die Auswertung der Verteilung der unfallchirurgischen bzw. orthopädischen Fälle im Tages- und Wochenverlauf ergab, dass die Hauptaufnahmezeit dieser Patienten von Montag bis Sonntag zwischen 8 Uhr morgens und 22 Uhr abends lag (Abb. 2). Zusätzlich wurden an den Arbeitstagen – v. a. montags und mittwochs zwischen 8 Uhr und 10 Uhr Stoßzeiten mit Spitzen von über 40 Patienten/h beobachtet.

Abb. 2
figure 2

Verteilung der unfallchirurgischen bzw. orthopädischen Fälle im Tages- und Wochenverlauf (Mittelwert pro Stundenintervall aus 52 Wochen des Beobachtungszeitraumes)

In der Heatmap-Darstellung der unfallchirurgischen bzw. orthopädischen Fälle pro Wochentag werden die oben genannten Verteilungen verdeutlicht (Abb. 3). An den Werktagen bzw. Montag bis Freitag bestehen die größten Stoßzeiten zwischen 8 Uhr und 10 Uhr morgens mit einem Mittelwert bis zu 47 Patienten/h und zwischen 13 Uhr und 15 Uhr bis zu 36 Patienten/h. Am Wochenende bzw. Samstag und Sonntag verteilen sich die meisten Patienten zwischen 11 Uhr und 19 Uhr auf den Nachmittag. Der Tag mit den meisten Patienten pro Tag ist der Montag.

Abb. 3
figure 3

Heatmap der unfallchirurgischen bzw. orthopädischen Fälle pro Tag (Mittelwert pro Stundenintervall aus 52 Wochen des Beobachtungszeitraumes)

Häufigkeit spezieller unfallchirurgischer Krankheitsbilder

In Tab. 3 ist die Unterteilung der unfallchirurgischen bzw. orthopädischen Krankheitsbilder nach anatomischen Regionen entsprechend den ICD-Dreistellern dargestellt. 29.920 Patienten erlitten Verletzungen des Kopfes; diese bildeten, anatomisch gesehen, die größte Gruppe aller unfallchirurgischen Krankheitsbilder (18 %). Von diesen wurden 7964 stationär aufgenommen (27 %) und 21.956 ambulant (73 %) behandelt. Die zweitgrößte Gruppe waren 23.254 Verletzungen des Handgelenks und der Hand (14 %). Davon wurden 725 primär stationär (3 %) und 22.529 ambulant (97 %) behandelt. Des Weiteren wurden 16.922 Verletzungen der Knöchelregion und des Fußes (10 %) erfasst. Davon wurden 436 primär stationär (3 %) und 16.486 ambulant (97 %) behandelt. Im Gegensatz dazu erfolgte bei den 5563 Verletzungen der Hüfte und des Oberschenkels (3 %) bei 3177 Patienten eine primäre stationäre Aufnahme (57 %) und bei 2386 eine ambulante Versorgung (43 %).

Tab. 3 Verteilung der unfallchirurgischen und orthopädischen Krankheitsbilder

Für eine differenziertere Analyse wurden die Diagnosen anhand der ICD-Viersteller zusätzlich gruppiert: Insgesamt wurden 34.143 Patienten mit Frakturen (20 %) dokumentiert. 21.361 Frakturen wurden 12.782 stationär (37 %) und ambulant (63 %) behandelt (Tab. 4). 16.528 Frakturen betrafen die oberen Extremität (69 %) und 10.494 die untere Extremität (31 %).

Tab. 4 Verteilung der Frakturen

Die größte Gruppe umfasste die 7169 Frakturen des Ellenbogens und des Unterarms (21 %). Die häufigste Fraktur war mit 3906 Fällen die distale Radiusfraktur (11 %). Hiervon wurden 1106 primär stationär (28 %) und 2800 ambulant (72 %) versorgt. In 2063 Fällen lag eine Humeruskopffraktur (6 %) vor, 1091 wurden primär stationär (53 %) und 972 ambulant (47 %) behandelt.

Im Bereich der unteren Extremität war in 2687 Fällen das koxale Femur (8 %) betroffen. Hiervon wurden 2336 primär stationär (87 %) und 351 ambulant (13 %) behandelt. Im Gegensatz dazu wurden unter den 2373 Frakturen des oberen Sprunggelenks (7 %) 980 Fälle primär stationär (40 %) und 1393 ambulant (60 %) behandelt.

Außerdem wurden 24.367 offene bzw. tiefe Wunden dokumentiert; dies umfasste 14 % aller unfallchirurgischen Krankheitsbilder. Den größten Anteil mit 9535 Fällen stellten offene bzw. tiefe Wunden im Bereich des Kopfes (39 %) dar. Davon wurden 307 primär stationär (3 %) und 9228 ambulant (97 %) behandelt (Tab. 5).

Tab. 5 Verteilung der offenen Wunden

Diskussion

Ziel der Untersuchung war es, die Verteilung und Häufigkeit der unfallchirurgischen bzw. orthopädischen Krankheitsbilder in Notaufnahmen der Großstadt München zu erfassen und entsprechend auszuwerten. Das Ergebnis liefert einen wichtigen Anhaltspunkt dafür, welchen Stellenwert die Unfallchirurgie für deutsche Notaufnahmen besitzt und ermöglicht eine bedarfsgerechte Anpassung der Organisation sowie der personellen und infrastrukturellen Ausstattung.

Bei 43 % der Patienten, die innerhalb des Beobachtungszeitraumes vom 01.07.2013 bis 30.06.2014 in den 14 Notaufnahmen der Stadt München behandelt wurden, lag ein unfallchirurgisches bzw. orthopädisches Krankheitsbild vor. Der Hauptteil der Diagnosen war auf akute Verletzungen zurückführbar, sodass die unfallchirurgische Kompetenz bei der Versorgung von Notfällen in der Notaufnahme mit Diagnosen aus dem Fachbereich Unfallchirurgie und Orthopädie im Vordergrund steht.

79 % dieser Patienten konnten ambulant behandelt werden, und 21 % wurden am gleichen Tag primär stationär aufgenommen. Allerdings ist es aufgrund des Studiendesigns nicht möglich zu differenzieren, ob darunter Fälle waren, für die im weiteren Verlauf eine stationäre Aufnahme zur frühelektiven operativen Behandlung vereinbart wurde. Nicht nur hinsichtlich der Indikationsstellung zur Operation, sondern auch für eine adäquate Aufklärung und Vorbereitung solcher Patienten scheint die permanente Verfügbarkeit eines Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie in der Notaufnahme eines akutversorgenden Krankenhauses dringend erforderlich.

Im Sachverständigengutachten von 2018 über eine „bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung“ werden die häufigsten ICD-Kapitel einerseits für die Bereitschaftsdienste der Vertragsärzte und andererseits für die ambulanten Notfälle in Krankenhäusern für das Jahr 2015 in Deutschland angeführt [1].

Im Bereitschaftsdienst der Vertragsärzte lag ein unfallchirurgisches bzw. orthopädisches Krankheitsbild in 22 % aller Diagnosen vor. Das ICD-Kapitel „Verletzungen, Vergiftungen und bestimmte andere Folgen äußerer Ursachen“ bildete mit 12 % den drittgrößten Anteil aller Diagnosen. „Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes“ verursachten 10 % aller Behandlungsanlässe im Bereitschaftsdienst [1].

Bei der Analyse der ambulanten Notfälle der Krankenhäuser lagen in 43 % der Fälle „Verletzungen, Vergiftungen und bestimmte andere Folgen äußerer Ursachen“ und in 10 % der Fälle „Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes“ vor [1].

Fasst man die beiden ICD-Kapitel zusammen, so ergibt sich ein Anteil von insgesamt 53 %. Die Auswertungen des Sachverständigengutachtens verdeutlichen somit ebenfalls den Stellenwert der Unfallchirurgie für die Notfallbehandlung in Krankenhäusern.

Dass der prozentuale Anteil der unfallchirurgischen Krankheitsbilder hier um 10 % höher ist als in unserer Auswertung, erscheint dem Umstand geschuldet, dass dort eine ausschließliche Betrachtung von ambulanten Notfällen stattfand, während in die vorliegenden Studie sowohl ambulante wie auch stationäre Fälle eingeschlossen wurden.

Auch im Gutachten zur ambulanten Notfallversorgung im Krankenhaus der Deutschen Gesellschaft Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin e. V. (DGINA) für das Jahr 2013 zeigt sich, dass unter den 25 häufigsten Diagnosen bei 21 Diagnosen ein unfallchirurgisches oder orthopädisches Krankheitsbild vorliegt (Tab. 9 aus [7, S. 70]). Zudem betont das Gutachten, dass die unfallchirurgischen Krankheitsbilder vorwiegend als „krankenhausspezifisch“ zu werten sind. Insbesondere wegen den notwendigen diagnostischen Maßnahmen wie Labor, konventioneller Radiographie oder Computertomographie kann die Versorgung von Frakturen, Luxationen und komplexen Wunden häufig nicht außerhalb des Krankenhauses erfolgen. In die Zuständigkeit der Unfallchirurgie fallen außerdem die berufsgenossenschaftlichen Notfallbehandlungen. Laut dem Gutachten zur ambulanten Notfallversorgung in Deutschland der DGINA lag im Jahr 2013 in 6 % Fälle ein Arbeits‑, Wege- oder Schulunfall vor [7, S. 33, 34].

Der Stellenwert der Unfallchirurgie wird auch im aktuellen Beschluss zur Regelung eines gestuften Systems der Notfallversorgung des G‑BA dargelegt, der für die Teilnahme an der Notfallversorgung für die Basis-, erweiterte und umfassende Notfallversorgung die Vorhaltung eines Schockraums und die entsprechende unfallchirurgische Kompetenz fordert [2, S. 5 §11, S. 6 §13].

Limitationen

Die Zuordnung der Patienten auf die Unfallchirurgie und Orthopädie erfolgte nach den Diagnosen entsprechend den ICD-Kapiteln XIII und XIX. Zur Auswertung standen für die stationären Fälle in erster Linie die Daten des § 21 KHEntG zur Verfügung. Für die ambulanten Fälle wurden vergleichbare Daten zur Verfügung gestellt. Insbesondere hier war die Datenqualität eingeschränkt. Insgesamt fehlte bei 13,6 % der Fälle die Diagnose, wobei es sich hierbei überwiegend um ambulante Fälle handelte.

Die Zuweisungen der Rettungsleitstellen in die Unfallchirurgie konnten nicht explizit ausgewertet werden. Einerseits werden Patienten der Nachbarleitstellen in der Regel nicht durch die Leitstelle München mittels IVENA gebucht, andererseits war eine entsprechende Aufschlüsselung der IVENA-Daten für das Fachgebiet Unfallchirurgie erst nach dem Beobachtungszeitraum möglich.

Die Auswertung umfasst nur die Patienten, die in den Notaufnahmen der 14 oben angeführten Kliniken behandelt wurden, die 96 % der durch den Rettungsdienst transportierten Patienten versorgen. Die Daten der Notaufnahmen von Fachkliniken und kleinen Krankenhäusern standen nicht für die Auswertung nicht zur Verfügung.

Daten über den Krankheitsverlauf, die Weiterbehandlung im Krankenhaus sowie Aufenthaltsdauer liegen nicht oder nur eingeschränkt vor, sodass eine detaillierte Auswertung der Versorgung nicht möglich ist. Des Weiteren kann der Anteil hochdringlich zu versorgender und vital gefährdeter Patienten, für die eine entsprechende fachliche Besetzung einer Notaufnahme wesentlich ist, nicht ausreichend dargestellt werden.

Per definitionem wurden alle Fälle, die nicht stationär aufgenommen wurden, als ambulante Versorgung klassifiziert. Es ist denkbar, dass hier Fälle enthalten sind, die aus Kapazitätsgründen weiterverlegt werden mussten. Es erscheint z. B. unwahrscheinlich, dass Patienten mit koxaler Femurfraktur ambulant behandelt wurden. Derartige Fälle erscheinen entweder in einer der teilnehmenden Zielklinik als neuer stationärer Fall oder werden bei Verlegung in eine nichtteilnehmende Privatklinik oder in das Umland von München nicht erfasst.

Ein anderes Problem, welches die geübte Praxis widerspiegelt, das aber nicht anhand der Daten abbildbar ist, sind Patienten, die nach zunächst ambulanter Versorgung sekundär zur frühelektiven operativen Versorgung wieder aufgenommen wurden. Typische Verletzungen, die davon betroffen sein könnten, sind die zahlreichen Unterarm- oder Sprunggelenkfrakturen.

Für eine vollständige Darstellung des unfallchirurgischen Notfallgeschehens in der Landeshauptstadt München müssten die vorliegenden Daten der 14 Notaufnahmen zusätzlich noch mit den entsprechenden Notfällen zusammengeführt werden, die während der Sprechstundenzeiten durch Praxen und außerhalb dieser Zeiten durch den ärztlichen Bereitschaftsdienst versorgt werden.

Insgesamt zeigte sich, dass die von den Kliniken zu Abrechnungszwecken erfassten Daten mit Einschränkungen zur Beantwortung von epidemiologischen Fragestellungen geeignet sind. Es ist zu fordern eine entsprechend erweiterte Datenerhebung auch im Hinblick auf zukünftige Versorgungsforschung zu ermöglichen.

Fazit

Das Qualitätsmanagement von Notfällen und insbesondere die Organisation von Notaufnahmen ist ein wesentlicher Bestandteil der aktuellen Diskussionen. Bislang lag jedoch nur unzureichendes Datenmaterial vor, welches als wissenschaftliche Grundlage herangezogen werden könnte. Die vorgestellte Studie analysierte anhand von § 21 Daten umfassend und repräsentativ die Patienten, welche sich innerhalb eines Jahres in den relevanten Notaufnahmen einer deutschen Großstadt vorstellten. Hierbei zeigen wir erstmals anhand eines Datenkollektivs von mehr als 500.000 eingeschlossenen und 400.000 auswertbaren Fällen, dass

  • 43 % der Patienten Diagnosen auf dem Gebiet der Unfallchirurgie oder Orthopädie aufwiesen,

  • der Hauptteil dieser Diagnosen auf akute Verletzungen zurückführbar war, dazu zählen v. a. Verletzungen des Kopfes, gefolgt von Verletzungen der Hand und des Unterarms sowie des Knöchels, und dass

  • sich diese Patienten rund um die Uhr vorstellten, wobei unter der Woche das Patientenaufkommen zwischen 8 und 14 Uhr am höchsten war und sich am Wochenende erheblich in die Abendstunden verlagerte.

Die vorliegende Analyse kann nun als wissenschaftliche Datengrundlage herangezogen werden, um zum einen die Kompetenz in der Notaufnahme und personelle Ausstattung bedarfsgerecht zu strukturieren und zum anderen die Gestaltung der Dienstpläne und damit Vorhaltung von Ärzten entsprechend dem Aufkommen zu optimieren. Dabei ist klar, dass die unfallchirurgische und orthopädische Kompetenz in der Notaufnahme eine der entscheidenden Schlüsselqualifikationen darstellt.