Berlin/Paderborn. Jedes Jahr werden 19 Millionen Patienten in deutschen Krankenhäusern behandelt. Im Auftrag der Krankenkassen überprüft der medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) bei mehr als 20 Prozent dieser Behandlungen die Notwendigkeit und Dauer. Kommt der MDK zu dem Schluss, dass das Krankenhaus falsch abgerechnet hat, wird die Klinik für die erbrachte Leistung nicht oder nur teilweise bezahlt. Die Krankenhausdirektoren sehen in steigenden Budgetabzügen und Prüfquoten die Existenz vieler Krankenhäuser gefährdet und befürchten Versorgungsengpässe für Patienten. „Die zunehmend rigorosen Prüfungen sind zermürbend für die Kliniken", sagt Josef Düllings, Präsident des Verbands der Krankenhausdirektoren Deutschlands und Geschäftsführer des St. Vincenz-Krankenhaus Paderborn. „Unterstellen die Kassen, die Krankenhäuser würden bewusst falsch abrechnen, werden vonseiten der Krankenhäuser eine zunehmende Misstrauenskultur, immer umfänglichere Rechnungsprüfungen und stark steigende Prüfquoten moniert." Viele Krankenhäuser haben dem Vorgehen laut Düllings nichts mehr entgegenzusetzen, außer einem verzweifelten Hilferuf an die Politik. „Der Anteil der Allgemeinkrankenhäuser mit roten Zahlen ist in Deutschland 2017 auf 46 Prozent gestiegen." Die Krankenkassen nutzen den MDK laut Düllings im Sinne eines Geschäftsmodells mehr und mehr zur ökonomischen Eigenoptimierung. Eine Auswertung der Zweckverbände für Westfalen-Lippe habe gezeigt, dass die Prüfquoten von 18 Prozent in 2016 auf 21 Prozent in 2017 angestiegen sind. „Ebenso deutlich sind die Budgetabzüge von 2,5 Prozent in 2016 auf 3,4 Prozent in 2017 gestiegen." „Die Praxis der Krankenkassen gefährdet Wohl der Patienten" Im Zweckverband freigemeinnütziger Krankenhäuser Münsterland und Ostwestfalen sind die Budgetabzüge sogar auf 4,2 Prozent gestiegen. „Das sind Abzüge in Höhe von 110 Millionen Euro", erklärt Vorstandsvorsitzender Georg Rüter. „Die Überprüfung ausgewählter Behandlungen ist wichtig, weil jedes Krankenhaus Fehler macht, aber die steigenden Prüfquoten und Budgetabzüge entbehren jeglicher Sinnhaftigkeit und Seriosität." Der MDK will sich zu den Vorwürfen nicht äußern. Mit Blick auf die steigende Zahl von Patienten, die im Krankenhaus Hilfe sucht, gefährdet die Praxis des MDK laut Rüter das Wohl der Patienten. Überfüllte Notaufnahmen prägen aktuell die Debatte um den Mangel an Ärzten und Pflegekräften in Deutschland. Auch in den Krankenhäusern in OWL steigt die Zahl der Patienten in den Ambulanzen. Dabei handelt es sich in vielen Fälle gar nicht um Notfälle, doch aufgrund des Mangels an Hausärzten, der Hilflosigkeit hochbetagter Patienten und Kommunikationsproblemen von Zuwanderern suchen viele trotzdem Hilfe in der Notaufnahme. Seit Langem weisen die Krankenhäuser auf das Problem hin, doch ausreichend unterstützt werden sie dabei nach Einschätzung der Krankenhausdirektoren nicht. „Ungeachtet dieser Probleme, werden die Überprüfungen durch den MDK umfangreicher und die Abzüge höher. Das Vorgehen der Krankenkassen zeugt von einer extremen Kundenferne. Der Patient spielt nur noch eine untergeordnete Rolle", moniert Rüter, Geschäftsführer des Franziskus Hospitals Bielefeld, des Mathilden Hospitals Herford und des Sankt Vinzenz Hospitals Rheda-Wiedenbrück. Die Folge: „Immer mehr Krankenhäuser schreiben rote Zahlen und die Gefahr von Versorgungslücken, insbesondere in ländlichen Regionen wie OWL, steigt", ergänzt Düllings. "Betroffen sind vor allem hochbetagte Patienten" Besonders deutlich werden diese Probleme laut Rüter bei der Behandlung von Senioren. „Was soll ein Krankenhaus machen, wenn Freitagnacht ein hochbetagter Patient in der Notaufnahme kommt, aber kein Pflegedienst verfügbar ist? Es handelt sich dabei vielleicht nicht immer um akute Notfälle, die stationär behandelt werden müssen, aber alleine nach Hause schicken, können wir die Patienten in solchen Situationen auch nicht", erklärt Rüter. „Wenn der MDK Situationen wie diese jedoch anders einschätzt, erhalten wir als Krankenhaus für die erbrachte stationäre Behandlung trotzdem nur das wesentlich geringere Budget für eine ambulante Behandlung." Ein weiterer Fall aus dem Franziskus Hospital Bielefeld steht laut Rüter exemplarisch für die Fehlentwicklungen im Prüfsystem des MDK. Einem 20-jährigen Patienten werden in einer minimalinvasiven Operation 18 Schrauben und andere Metallteilen mit einer Länge von bis zu zwölf Zentimetern aus den Unterschenkeln entfernt. „Nach dem Eingriff war der Patient so geschwächt, dass er anfangs nicht selbstständig gehen konnte. Deshalb wurde er drei Tage stationär im Krankenhaus behandelt", erklärt Rüter. „Der MDK stellt trotz des Eingriffes und dem Zustand des Patienten die Frage: Warum nicht ambulant?"