Es ist kein außergewöhnlicher Fall, dass Krankenkassen und Kliniken sich über Rechnungen streiten. War die für die komplexe Fallpauschale so wichtige Hauptdiagnose richtig? Handelt es sich um eine psychische Krankheit oder um ein internistisches Problem? Bis über vermeintliche Rückforderungen der Kassen eine Einigung erzielt ist, kann viel Zeit ins Land gehen. Bisher betrug die Verjährungsfrist für Rückforderungen der Krankenkassen wegen fehlerhafter Klinikrechnungen vier Jahre. Mit der Verabschiedung des Pflegepersonal-Stärkungsgesetzes hat der Bundestag die Verjährungsfrist jetzt auf zwei Jahre verkürzt.

Klagen sollen Forderungen aus Falschabrechnungen sichern

In Kraft getreten ist die Regelung mit ihrer Verabschiedung am 9. November und nicht wie vom Gesetzgeber zunächst vorgesehen zum 1. Januar 2019. Dennoch hat die letzte Phase der parlamentarischen Beratungen ausgereicht, um die Krankenkassen zu einer Reaktion auf die Einschränkung der Verjährungsfristen zu veranlassen, die jetzt manchen Krankenhäusern zu schaffen macht. Die Krankenkassen haben einerseits vor Sozialgerichten Klagen eingereicht, um sich die sonst auf einen Schlag verjährten Forderungen aus Falschabrechnungen zu sichern. Andererseits verrechnen die Kassen aber auch ihre strittigen Rückforderungen mit unstrittigen aktuellen Rechnungen der Krankenhäuser und zahlen diesen im November weniger Geld.

 

Diese Aufrechnungen treffen offenbar den Gesundheitsverbund Landkreis Konstanz (GLKN) so massiv, dass sich der Landkreis als Mehrheitsanteilseigner zum Handeln gezwungen sieht. Landrat Frank Hämmerle, der zugleich Aufsichtsratschef des Klinikverbunds ist, hat für den 26. November eine Sondersitzung des Kreistags einberufen. In der Sitzungsvorlage ist das Problem umschrieben: "Die Aufrechnungen haben bei den Krankenhäusern Sofortausfälle bei der Liquidität zur Folge." Auch der Gesundheitsverbund mit seinen Einrichtungen in Konstanz, Singen und Radolfzell sei betroffen.

Betriebskostenzuschuss und kapitalstärkende Maßnahmen

Zahlen über die Höhe der Ausfälle durch Rechnungskürzung der Krankenkassen sind nicht genannt. Die Auswirkungen würden derzeit noch geprüft, heißt es. Über die Höhe der finanziellen Einbußen soll der Kreistag am 26. November informiert werden. Dass es ernst ist, zeigt der weitere Ausblick: Der Kreistag soll "gegebenenfalls über erforderliche Maßnahmen zur Stärkung der Liquidität entscheiden". Denkbar wären ein kurzfristiger Betriebsmittelzuschlag sowie der Auftrag, mit den beiden anderen Gesellschaftern über "kapitalstärkende Maßnahmen" zu verhandeln.

Ein Problem nicht nur im Landkreis Konstanz

Der Landrat und GLKN-Aufsichtsratsvorsitzende Hämmerle bestätigte auf Anfrage: "Es gibt ein Liquiditätsproblem, aber das wird der Kreistag lösen." Und: "Es muss schnell gehandelt werden." Die Höhe des Finanzbedarfs der Kliniken bleibt vorerst offen. Hämmerle betonte, der Gesundheitsverbund stehe mit dem Problem nicht allein da.

Abgeordneter spricht von Vertrauensbruch

Nach Einschätzung des CDU-Bundestagsabgeordneten Lothar Riebsamen (Bodenseekreis), der dem Gesundheitsausschuss des Bundestags angehört, kann es insbesondere bei gemeinnützigen Krankenhäusern, die keinen finanzstarken Träger haben, zu kurzfristigen Liquiditätsengpässen kommen. Er sieht in der Vorgehensweise der Krankenkassen einen "Vertrauensbruch", denn der Bundestag habe den Termin des Inkrafttretens der verkürzten Verjährungsfrist eigens auf Betreiben der Kassen vom 1. Januar 2019 auf den 9. November 2018, den Tag der Gesetzesverabschiedung, vorgezogen.

Der Gesundheitspolitiker Riebsamen will sich dafür einsetzen, dass die Verrechnungspraxis der Krankenkassen geändert wird: "Es sollte künftig keine Verrechnungen mehr geben, ohne dass Klarheit besteht, dass die Ansprüche der Kassen gerechtfertigt sind."

„Hemdsärmeliges Vorgehen“

  • Der Anlass: Auslöser der Rechtsänderung war ein Urteil des Bundessozialgerichts, wonach eine Kasse die Vergütung kürzen kann, wenn der Transport eines Schlaganfallpatienten zur Spezialklinik über eine halbe Stunden dauert. Die Verkürzung der Verjährungsfristen sollte Krankenhäuser vor Nachforderungen der Krankenkassen schützen.
  • Die Klagen: In den letzten Tagen vor der Verabschiedung des Pflegestärkungsgesetzes im Bundestag haben Krankenkassen offenbar zur Wahrung ihrer Ansprüche noch Tausende von Klagen zur Absicherung möglicher finanzieller Ansprüche aus Falschabrechnungen der Kliniken eingereicht. Beim Sozialgericht in Konstanz gingen in der Woche bis zum 9. November rund 300 Klagen ein. Nach Angaben von Gerichtssprecherin Meike Ebert liegt der Streitwert jeweils im drei- bis vierstelligen Bereich. Der Landkreistag sondiert derzeit, wie viele Krankenhäuser von der Verrechnungspraxis der Kassen betroffen sind.
  • Die Krankenkassen: Die AOK (Versichertenanteil im Kreis Konstanz etwa 40 Prozent) lehnt die von der Großen Koalition beschlossene rückwirkende Verkürzung der Verjährungsfrist für die Prüfung von Klinikrechnungen ab: "Für dieses hemdsärmelige Vorgehen auf Kosten der Solidargemeinschaft der Beitragszahler gibt es keinen sachlichen Grund." Hier werde die Rechtssicherheit in Frage gestellt.