L 11 KR 4427/17 B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 8 KR 4419/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 4427/17 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zur Festsetzung eines sog. Vergleichsmehrwerts in
sozialgerichtlichen Verfahren.
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 07.09.2017 abgeändert.

Der Vergleichsmehrwert wird auf 33.300 EUR festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Beschwerde wendet sich gegen die Streitwertfestsetzung des Sozialgerichts Stuttgart (SG) gemäß § 63 Abs 2 Gerichtskostengesetz (GKG).

Im Ausgangsverfahren stritten die Beteiligten darüber, ob die Beklagte zu Recht eine im Behandlungsfall C. A. gezahlte Aufwandspauschale iHv 300 EUR im Wege der Erstattung gegen eine unstreitige Gegenforderung der Klägerin aufgerechnet hatte. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 03.05.2017 kamen insgesamt sieben zwischen den Beteiligten anhängige Parallelverfahren zum Aufruf und wurden zeitgleich verhandelt. In der für alle Verfahren gemeinsam geführten Niederschrift wurde folgender Gesamtvergleich für die geladenen sieben Verfahren sowie "sämtliche in der Anlage aufgeführten derzeit bei Sozialgericht Stuttgart anhängigen Verfahren" protokolliert: 1. Die Beklagte verpflichtet sich, an die Klägerin in sämtlichen Fällen 80% der Aufwandspauschale zu erstatten. 2. Die Beklagte trägt die Kosten sämtlicher Verfahren. 3. Die Beklagte verpflichtet sich, keine weiteren Aufwandspauschalen für Behandlungszeiträume bis zum 31.12.2015 streitig zu stellen. 4. Die Beteiligten erklären damit sämtliche in der Anlage aufgelisteten Verfahren übereinstimmend für erledigt. 5. Die Beteiligten vereinbaren ein Widerrufsrecht bis zum 17.05.2017 (Eingang bei Gericht).

Nach Ablauf der Widerrufsfrist hörte das SG die Beteiligten zur beabsichtigten Streitwertfestsetzung iHv 300 EUR an. Die Klägerin äußerte hierzu mit Schriftsatz vom 12.06.2017, dass die Festsetzung mit 300 EUR nicht sachgerecht sei. Es sei ein Mehrvergleich geschlossen worden, der sich auf die in der Anlage genannten anhängigen Verfahren beziehe. Zudem sei darüber hinaus wegen Ziff 3 des Vergleichs eine angemessene Erhöhung vorzunehmen. Die im Zeitraum 01.01.2013 bis 31.12.2015 von der Klägerin abgerechneten Aufwandspauschalen müssten in den Streitwert einfließen.

Mit Beschluss vom 07.09.2017 hat das SG den Streitwert endgültig auf 300 EUR festgesetzt. Nach § 52 Abs 3 GKG sei der Streitwert auf 300 EUR festzusetzen, weil dies die Höhe des streitigen Betrags und damit auch das wirtschaftliche Interesse der Klägerin an dem Verfahren darstelle.

Hiergegen richtet sich die am 21.09.2017 eingelegte Beschwerde der Klägerin. Der Mehrvergleichswert sei ebenfalls mit festzusetzen, da sowohl weitere anhängige wie bisher nicht anhängige streitige Verfahren beendet worden seien. Aus der dem Vergleich beigefügten Liste ergäben sich 164 anhängige Verfahren. Dies umfasse einen Streitwert von 49.200 EUR (164 x 300 EUR). Im Übrigen enthalte der Vergleich mit der Abgeltungsklausel unter Ziff 3 einen weiteren Mehrvergleich dahin, dass der Beklagten untersagt werde, weitere Aufwandspauschalen für Behandlungsfälle bis 31.12.2015 streitig zu stellen. Einzubeziehen seien wegen der Verjährung Aufwandspauschalen ab 01.01.2013. Dies seien 1.791, von denen die bereits berechneten 164 in Abzug zu bringen seien. Daraus ergebe sich ein Mehrvergleich iHv 488.100 EUR.

Die Beklagte ist der Beschwerde mit Schreiben vom 15.01.2018 entgegengetreten. Vom Verfahrensablauf her habe die Beklagte mit Schreiben vom 04.12.2015 die Klägerin zur Rückerstattung von Aufwandspauschalen in Fällen der sachlich-rechnerischen Richtigkeitsprüfung aufgefordert mit Rechnungsdatum ab 01.07.2014 und dazu eine Fallliste in der Anlage beigefügt. In dieser ursprünglichen Fallliste seien 164 Fälle genannt worden. Diese Liste sei jedoch mit Schreiben vom 21.12.2015 aktualisiert worden und habe nur 112 Fälle betroffen, die in der Folgezeit von der Beklagten zum Ausgleich gebracht worden seien. 2016 habe die Klägerin in diesen Fällen jeweils Einzelklagen vor dem SG erhoben. Der vor dem SG geschlossene Gesamtvergleich habe sich auf die anhängigen Verfahren bezogen. Die im Einleitungssatz des Vergleichs erwähnte Anlage sei die ursprüngliche Fallliste mit den 164 Fällen gewesen. Da keiner der Beteiligten im Termin die aktualisierte Fallliste mit den 112 Fällen dabei gehabt habe, sei die alte Fallliste herangezogen worden, wobei in dem Einleitungssatz der Hinweis aufgenommen worden sei "in sämtlichen in der Anlage aufgeführten derzeit beim SG anhängigen Verfahren" um klarzustellen, dass es tatsächlich nur um die von der Klägerin anhängig gemachten Fälle gehe. Die im dritten Punkt des Vergleichs aufgenommene Erklärung beziehe sich ausschließlich auf die Fälle der Aufwandspauschale im Zusammenhang mit sachlich-rechnerischer Richtigkeitsprüfung, die vom 01.07.2014 bis 31.12.2015 in Rechnung gestellt und von der Beklagten nicht beglichen worden seien. Es seien nicht alle von der Klägerin abgerechneten Aufwandspauschalen streitrelevant gewesen. Nach interner Prüfung habe dies insgesamt 73 Fälle betroffen. Es sei abwegig, sämtliche Aufwandspauschalen einzubeziehen auch lange vor dem 01.07.2014.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Zu beachten sei, dass der Vergleich nur einmal und nicht sieben Mal abgeschlossen worden sei. Daher werde auch der Intention der Klägerin, in allen sieben Fällen die Streitwertfestsetzung wegen eines Mehrvergleichswertes anzugreifen, entschieden entgegengetreten.

Mit Beschluss vom 23.01.2018 hat das SG der Beschwerde nicht abgeholfen. Nach Nr 7600 GKG- Kostenverzeichnis (KV) sei beim Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs für diesen ein gesonderter Streitwert festzusetzen, soweit der Wert des Vergleichsgegenstands den Wert des Streitgegenstandes übersteige. Ein Vergleichsmehrwert entstehe, wenn die Beteiligten neben dem gerichtlichen Verfahrenswert weitere Forderungen in den Vergleich einbezögen. Zwar sei ein Vergleich über 164 beim SG anhängige Verfahren geschlossen worden. Es sei allerdings zu berücksichtigen, dass in diesen einzelnen Verfahren jeweils 300 EUR als Streitwert festgesetzt worden seien, deren gerichtlicher Verfahrenswert daher bereits berücksichtigt worden sei. Insbesondere könne nicht der Ansicht des Klägervertreters gefolgt werden, wonach nun in all diesen Verfahren jeweils der Streitwert entsprechend erhöht werden müsste. Die Klägerin habe noch in weiteren Verfahren jeweils Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung erhoben. Die nicht anhängigen weiteren Aufwandspauschalen seien nicht streitwerterhöhend zu berücksichtigen, da zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses die genaue Anzahl dieser Verfahren nicht bekannt gewesen sei und es sich bei der unter Ziff 3 des Vergleichs getroffenen Regelung lediglich um eine allgemeine Verfahrensabsprache und keine konkrete Regelung gehandelt habe.

II.

Die Beschwerde der Klägerin ist statthaft (§ 68 Abs 1 Satz 1 GKG), sie ist form –und fristgerecht eingelegt worden (§ 68 Abs 1 Satz 3 iVm § 63 Abs 3 Satz 2 GKG) und auch im Übrigen zulässig, sie ist jedoch nur teilweise begründet. Das SG hat den Streitwert zutreffend auf 300 EUR festgesetzt, jedoch zu Unrecht abgelehnt, jeglichen Vergleichsmehrwert festzusetzen.

Der Senat entscheidet vorliegend in der Besetzung mit drei Berufsrichtern, da die zuständige Berichterstatterin das Verfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung dem Senat übertragen hat (§ 68 Abs 1 Satz 5 iVm § 66 Abs 6 Satz 2 GKG).

Wurde in einem Verfahren (auch) ein Vergleich über nicht anhängige Verfahrensgegenstände geschlossen, hat das Gericht zwei Werte, nämlich den Verfahrenswert und den Vergleichsmehrwert festzusetzen. Denn wenn in einem Verfahren ein Vergleich über nicht anhängige Gegenstände geschlossen worden ist, kommt nach Nr 7600 KV GKG das Entstehen von 0,25 Gerichtsgebühren in Betracht. Dies betrifft jedoch nur nicht gerichtlich anhängige Gegenstände. Daneben fällt für den Prozessbevollmächtigten ua die Einigungsgebühr nach Nr 1000 des Vergütungsverzeichnisses (VV) als Anlage 1 zu § 2 Abs 2 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) an. Gemäß § 32 Abs 1 RVG ist, wenn der für die Gerichtsgebühren maßgebende Wert (wie hier bei einem nach § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) kostenpflichtigen Verfahren) gerichtlich festgesetzt wird, die Festsetzung auch für die Gebühren des Rechtsanwalts maßgebend. Ein für die Rechtsanwaltsgebühren maßgeblicher Vergleichsmehrwert kann sich dabei sowohl für mit verglichene, nicht anhängige Gegenstände ergeben als auch insoweit, wie anderweitig anhängige Verfahren von dem Vergleich umfasst sind. Im Rahmen der gerichtlichen Streitwertfestsetzung erfolgt daher die Festsetzung eines Mehrwerts einheitlich, auch wenn – bezogen auf anderweitig rechtshängige Gegenstände - eine Vergleichsgebühr insoweit nicht anfällt (vgl Stix in BeckOK, Stand 15.02.2018, GKG KV 1900 Rn 32). Die subsidiäre Vorschrift des § 33 RVG ist nicht anwendbar, weil sich die Anwaltsgebühren gem § 32 RVG nach dem Wert der Gerichtsgebühren richten (OLG Stuttgart 02.03.2011, 5 U 137/10, BeckRS 2012, 05924).

Selbst wenn man dieser Ansicht nicht folgte und für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts bezogen auf anderweitig anhängige Gegenstände eine Streitwertfestsetzung nach GKG für unzulässig hielte, wäre nach § 33 Abs 1 RVG auf Antrag der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit durch das SG festzusetzen gewesen, so dass sich im Ergebnis keine Änderung ergäbe. Eine entsprechende Antragstellung wäre dann jedenfalls im Schreiben des Bevollmächtigten der Klägerin vom 12.06.2017 zu sehen. Inhaltlich hat sich das SG zumindest in seinem Beschluss über die Nichtabhilfe mit den maßgebenden Fragen zu einem Vergleichsmehrwert auseinandergesetzt, so dass es hierüber auch entschieden hat (vgl zu einer abweichenden Konstellation Bayerisches LSG 30.10.2012, L 5 R 800/12 B, juris).

Die Festsetzung des Streitwerts iHv 300 EUR ist nicht zu beanstanden. Dies entspricht dem nach § 52 Abs 3 SGG maßgebenden Wert der streitigen Forderung.

Daneben hat hier die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts zu erfolgen. Zunächst ist klarzustellen, dass vorliegend ein einziger Gesamtvergleich geschlossen worden ist und daher die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts auch nur in einem Verfahren zu erfolgen hat. Maßgebend ist insoweit das Verfahren, in dem der Vergleich abgeschlossen worden ist. Dies ist das hier der Beschwerde zugrundeliegende Verfahren S 10 KR 4419/16. Zwar sind in der mündlichen Verhandlung vor dem SG insgesamt sieben Verfahren zur gleichen Uhrzeit aufgerufen und zeitgleich verhandelt worden. Die Verfahren sind dabei rechtlich selbstständig geblieben, eine Verbindung hat nicht stattgefunden. Im Betreff der gemeinsamen Niederschrift sind die Verfahren gestaffelt nach Verfahrenseingang aufgeführt, das älteste Verfahren S 10 KR 4419/16 zuerst. In der Akte zu diesem Verfahren findet sich auch das Original der Niederschrift, das von der zuständigen Richterin und der Urkundsbeamtin unterschrieben ist, während die anderen Akten nur Ausfertigungen der Niederschrift enthalten. Ohne dass dies von den Beteiligten oder dem SG thematisiert worden ist, ist daher davon auszugehen, dass der Vergleich in dem vorliegenden Verfahren geschlossen worden ist. Auch die Klägerin wird nicht ernsthaft argumentieren wollen, dass der Vergleich sieben oder gar 112 Mal geschlossen worden ist.

Für die Erledigung der übrigen beim SG anhängigen Verfahren (Ziff 1 und 4 des Vergleichs) ist dabei ein Vergleichsmehrwert iHv 33.300 EUR festzusetzen. Der Senat geht dabei von weiteren 111 zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses anhängigen Verfahren aus. Zwar enthält die dem Vergleich beigefügte Liste insgesamt 164 Verfahren, diese waren jedoch zu keinem Zeitpunkt vor dem SG anhängig, da die Beklagte nur in 112 dieser Fälle tatsächlich eine Aufrechnung vorgenommen hat. Auf die korrigierte Liste, welche die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 21.12.2015 übersandt hatte, wird Bezug genommen (Blatt 25 bis 27 der Senatsakte). Wie die Präambel des Vergleichs belegt, bezieht sich dieser nur auf die tatsächlich anhängigen Fälle. Da in jedem dieser Fälle sich der Streitwert auf 300 EUR beläuft, ergibt sich hieraus in der Summe der Betrag von 33.300 EUR. Nur zur Klarstellung wird nochmals darauf hingewiesen, dass insoweit die Erhebung einer Gerichtsgebühr nach Nr 7600 KV GKG nicht in Betracht kommt.

Soweit die Klägerin fordert, auch für die unter Ziff 3 des Vergleichs getroffene Regelung einen Vergleichsmehrwert festzusetzen, teilt der Senat die Auffassung des SG, dass insoweit ein Vergleichsmehrwert nicht festzustellen ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Festsetzung des Mehrwerts des Vergleichs ist der Zeitpunkt, zu welchem die nicht streitgegenständlichen Ansprüche in die Vergleichsgespräche zur Regelung (auch) der streitgegenständlichen Ansprüche einbezogen werden. Die einen Mehrwert des Vergleichs rechtfertigende Leistung besteht genau darin, dass der zu diesem Zeitpunkt bestehende Streit über die nicht streitgegenständlichen Ansprüche beseitigt wird. Unstreitige Ansprüche erhöhen den Streitwert des Vergleichs grundsätzlich nicht (OLG Stuttgart 28.03.2018, 10 W 8/18, BeckRS 2018, 5759). Zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses war den Beteiligten nicht klar, wie viele Fälle davon überhaupt betroffen sein würden. Wie sich im Nachgang bestätigt, bestehen nach wie vor große Divergenzen in der Einschätzung. So geht die Klägerin von weiteren 1.627 Fällen aus, während die Beklagte lediglich 73 Fälle annimmt. Ein verlässlicher Anhaltspunkt für eine Schätzung ist nicht vorhanden. Vielmehr spricht hier alles dafür, dass die Beteiligten mit dem abgeschlossenen Gesamtvergleich das Thema "Aufwandspauschale" endgültig bereinigen wollten. Die unter Ziff 3 festgelegte Verpflichtung der Beklagten, keine weiteren Aufwandspauschalen für Behandlungszeiträume bis 31.12.2015 streitig zu stellen, stellt insoweit lediglich eine Regelung über die weitere Vorgehensweise dar und bildet somit nur eine Komponente des "Gesamtpreises" des Beendigungsvergleichs, ohne dass hierfür ein konkreter Mehrwert des Vergleichs festzustellen wäre.

Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei (§ 68 Abs 3 Satz 1 GKG). Kosten werden nicht erstattet (§ 68 Abs 3 Satz 2 GKG).

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 68 Abs 1 Satz 5 iVm § 66 Abs 3 Satz 3 GKG).
Rechtskraft
Aus
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