Digitalisierung im Gesundheitswesen

Mit KI und Big Data wird die Medizin smart und personalisiert

03.12.2018
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Die Digitalisierung geht auch an der Medizin nicht spurlos vorbei. Zwar ersetzen KI und Big Data noch nicht den Arzt, aber sie ermöglichen neue, personalisierte Behandlungsmethoden, die vor wenigen Jahren noch undenkbar waren.
Mit der Digitalisierung explodiert das Wissen in der Medizin und neue Behandlungsmethoden entstehen.
Mit der Digitalisierung explodiert das Wissen in der Medizin und neue Behandlungsmethoden entstehen.
Foto: Alex_Traksel - shutterstock.com

Durch die Digitalisierung erlebt das Gesundheitswesen gerade einen der größten Umbrüche in der Geschichte. So explodiert etwa das Wissen in der Onkologie. Und die Digitalisierung macht dieses Wissen nutzbar. Welche Vorteile eröffnen sich für Patienten? Welche Risiken birgt die digitale Medizin und welchen Preis zahlen wir dafür?

Digitale Transformation in der Medizin

Dabei verändert die digitale Transformation die Medizin gleich in mehrfacher Weise: Die Art, wie Krankheiten diagnostiziert und behandelt werden, sowie die Vorbeugung haben teilweise nur noch wenig mit der klassischen Medizin gemein, denn Daten spielen eine immer größere Rolle.

Und mit der smarten Nutzung von Big Data und anderen IT-Techniken sollen nicht nur neue Therapien entwickelt und erforscht werden, sondern auch den Patienten eine personalisierte Therapie geboten werden, die jeweils speziell auf sein spezifisches Krankheitsbild zugeschnitten ist. Ein Ziel, das nur durch eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit realisiert werden kann.

Die Entwicklung geht in Richtung digitale, personalisierte Medizin.
Die Entwicklung geht in Richtung digitale, personalisierte Medizin.
Foto: Roche

Ein Bereich, in dem dies bereits praktiziert wird, ist die moderne Krebsmedizin. Patienten mit malignen Erkrankungen werden mehr und mehr aufgrund ihrer spezifischen genetischen Veränderungen stratifiziert und im Sinne der personalisierten Medizin behandelt.

Dazu werden molekulargenetische Daten im Kampf gegen den Krebs genutzt. Ärzte sollen so Krebs schneller erkennen, charakterisieren und effektiver behandeln können. Experten bezeichnen die digitale Medizin bereits als Präzisionsmedizin. Dabei betonten die Beteiligten, dass die Daten weiterhin voll und ganz den Patienten gehörten, und man nur mit den Daten der Tumorprofile arbeite - letztlich die Datenverarbeitung anonymisiert stattfinde.

Smarte Medizin

Dabei ist die smarte, personalisierte Medizin längst keine Vision mehr. So eröffnete der Pharmakonzern Roche 2017 am Standort Penzberg im bayrischen Voralpenland sein europäisches Foundation-Medicine-Labor. In dem Labor entstehen umfassende Tumorprofile, die Onkologen bei der Auswahl einer wirksamen Behandlung für ihre Patienten unterstützen. Hierzu können mehr als 300 krebsrelevante Gene auf genetische Veränderungen untersucht werden. Die Wahl auf den Roche-Campus Penzberg fiel nicht zufällig. Penzberg ist mit rund 6.000 Mitarbeitern eines der größten Biotechnologie-Zentren Europas und bringt pharmazeutische Forschung, Produktion und Diagnostik zusammen.

Gene sequenzieren

Aus kleinsten Gewebeproben - Bluttropfen genügen - können Informationen über Krebszellen gewonnen werden.
Aus kleinsten Gewebeproben - Bluttropfen genügen - können Informationen über Krebszellen gewonnen werden.
Foto: Giovanni Cancemi - shutterstock.com

Die Foundation Medicine (FMI) geht dabei auf ein 2010 im Großraum Boston gegründetes Biotechnologie-Start-up zurück. Ziel des Unternehmens: Große, oft ungenutzte molekulargenetische Datenmengen im Kampf gegen Krebs nutzbar machen. Möglich wird das, indem FMI neben der diagnostischen Expertise auch das Know-How und die digitalen Technologien zur Analyse dieser Daten mitbringt.

Aus kleinsten Gewebeproben, selbst aus Blut mittels Liquid Biopsy gewonnen, können die Wissenschaftler bei FMI DNA isolieren, mehrere hundert Gene sequenzieren und mit Tumorprofilen von mehr als 180.000 Patienten abgleichen. Aus molekularen Daten entstehen so molekulare Informationen, die Patienten eine personalisierte Krebstherapie ermöglichen können - auch als individuelle Tumoranalyse FoundationOne CDx bekannt. Roche ist seit 2015 an FMI beteiligt und hat 2018 gemeinsam mit FMI die strategische Partnerschaft in eine Akquisition überführt.

Hierzu sequenzieren die Roche-Mitarbeiter im Labor Gewebeproben von Patienten. Eine Untersuchung, die zwischen 3.000 und 4.000 Euro kostet und mittlerweile von vielen Krankenkassen bezahlt wird. Noch wird allerdings bei 60 Prozent der Krebspatienten kein Gentest durchgeführt und lediglich 15 Prozent erhalten einen Multi-Gen-Test.

Mit Big Data zur Krebstherapie

Die moderne smarte und personalisierte Medizin ist ohne moderne IT nicht denkbar.
Die moderne smarte und personalisierte Medizin ist ohne moderne IT nicht denkbar.
Foto: Roche

Was sich hier auf dem Papier einfach liest, löst in der Praxis eine wahre Datenflut aus. In der digitalen Pathologie können laut Roche schnell pro Bild um die 2 Terabyte an Daten entstehen. Und dabei bleibt es bei der personalisierten Medizin nicht. Hinzu kommen noch Daten aus Klinikstudien, elektronischen Patientenakten, Registern sowie eventuell Smartphone-basierte klinische Biomarkerdaten.

Die Herausforderung liegt nun in der Datenintegration dieser Informationen, denn sie ist der Schlüssel zur personalisierten Medizin. Deshalb sieht man bei Roche Informatik und Data Science im Mittelpunkt. Und hat wie viele andere Unternehmen in der digitalen Transformation mit einem Problem zu kämpfen - dem Mangel an Data Scientists. Ein Mangel, den man in Penzberg dadurch bekämpft, indem sogenannte "mixed capability teams" gegründet wurden. Und hier werden dann etwa Physiker, Biochemiker etc. in Sachen Data Science weitergebildet.

Mixed teams sind auch noch aus einem anderen Grund erforderlich. Die personalisierte Medizin bedient sich eines ganzen Bauchladens an IT-Technologien. Egal, ob Text-Mining, Maschinelles Lernen, Real World Data Analysis, Datenvisualisierung, Bioinformatik, Bildanalyse - all diese Techniken werden dazu bei Roche genutzt. Und das in der Regel on premises, denn die eigenen Rechenzentren sowie die Algorithmen zum Deep Learning seien so leistungsfähig und effizient, dass man keine Schützenhilfe von AWS oder Google Cloud brauche, so Roche.

KI und Big Data verschieben die Grenzen

Auch AI/KI sind für die Roche-Mitarbeiter keine Hype-Themen, denn die zugrunde liegende Methodik sei schon lange bekannt. Neu sei dagegen, dass heute zum einen die benötigte Rechenleistung zur Verfügung stehe und zum anderen dank fortschrittlicherer Analysethemen nun genügend Daten zur Therapie vorhanden seien. Die Herausforderung bestehe darin, von Big Data zu Smart Data zu kommen.

Ein Job, den bei Roche etwa neuronale Netze erledigen, wenn sie automatisch komplexe Tumorstrukturen erkennen. Oder wie es in Penzberg heißt: Big Data verschiebt die Grenzen dessen, was in medizinischer Forschung und Therapie möglich ist. Noch spielen KI und Maschine nur eine unterstützende Rolle und helfen dem Arzt bei seiner Entscheidung - doch wie sieht das womöglich in zehn Jahren aus?

Um an smarte Daten zu gelangen, verlässt sich Roche nicht nur auf Dritte, sondern beschreitet auch eigene Wege. Neben der Kooperation mit Foundation Medicine übernahm der Biotechnologie-Konzern im Frühjahr 2018 Flatiron Health. Das US-amerikanische Unternehmen bietet Softwarelösungen im Bereich elektronischer Gesundheitsakten und Daten aus der klinischen Routine, sogenannte Real World Evidence, an.

Diese Daten werden von Flatirons Technologieplattformen verwaltet, vernetzt sowie analysiert und können so von Roche in der Forschung genutzt werden. Für Roche ist dies ein weiterer Richtung Präzisionsmedizin - ein Schritt, der den entscheidenden Unterschied in der Krebsforschung machen kann?