Einleitung

Die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (International Classification of Diseases – ICD) wird mittels eines Vorschlagsverfahrens jährlich aktualisiert. Dennoch ist eine regelmäßige umfassende Revision der ICD erforderlich, um diese an den medizinischen Kenntnisstand und den technischen Fortschritt, z. B. die zunehmende digitale Erfassung und Verarbeitung von Gesundheitsdaten und die Weiterentwicklung von IT-Tools für die Codierung, anzupassen. Durch die 11. Revision der ICD, die derzeit in einer Entwurfsversion vorliegt und im Jahr 2019 von der World Health Assembly verabschiedet werden soll, soll zudem die Interoperabilität mit anderen Klassifikationssystemen und Terminologien verbessert werden. Dabei ist die Möglichkeit der Fortschreibung von statistischen Trends, u. a. der Todesursachenstatistik, eine der wichtigsten Prämissen [1].

Ziel dieses Beitrages ist es, am Beispiel der Codierung von Infektionskrankheiten mittels ICD und ihrer Anwendung in der Praxis, insbesondere im Bereich Infektionsepidemiologie, Schwächen zu identifizieren und mögliche Verbesserungen aufzuzeigen, die bei der Entwicklung der ICD-11 und der anschließenden Implementierung in Deutschland berücksichtigt werden sollten.

Codierung von Infektionskrankheiten

Infektionskrankheiten sind in der 10. Revision der ICD (ICD-10) vor allem im Kapitel I (Bestimmte infektiöse und parasitäre Krankheiten – A00-B99) zu finden, aber auch weitere Codes, insbesondere in den Kapiteln X (Krankheiten des Atmungssystems – J00-J99, z. B. J09-11 Influenza) und XVI (Bestimmte Zustände, die ihren Ursprung in der Perinatalperiode haben – P00-P96), können zur Verschlüsselung bestimmter Infektionskrankheiten genutzt werden. Die Zuordnung zu den Kapiteln in der aktuellen ICD erfolgt demnach aufgrund unterschiedlicher Konzepte, teilweise nach auslösendem Agens, nach betroffenem Organsystem oder nach Lebensperiode. Schon in den ersten Versionen der ICD wurde deutlich, dass eine Zuordnung zu einzelnen Organsystemen gerade bei den Infektionskrankheiten schwierig ist. In der ersten ICD-Version im Jahr 1893, damals noch das „Internationale Todesursachenverzeichnis“ (International List of Causes of Death – ILCD), wurden Infektionskrankheiten wie die Tuberkulose und die Syphilis, bei denen verschiedenste Organmanifestationen möglich sind, als Allgemeinkrankheit und darunter ätiologisch klassifiziert [2].

Die Detailtiefe bei der Codierung der Infektionskrankheiten ist sehr unterschiedlich. Während die z. B. in Deutschland sehr häufige Infektionskrankheit Campylobacter-Enteritis nur als einzelner vierstelliger Code (A04.5) als sonstige bakterielle Darminfektion codiert wird, werden für die Tuberkulose, deren Inzidenz in Deutschland deutlich geringer ist, fünf verschiedene dreistellige Codes (A15-A19) verwendet.Footnote 1

ICD und meldepflichtige Infektionskrankheiten

Am Robert Koch-Institut (RKI) werden die Daten zu meldepflichtigen Infektionskrankheiten bundesweit zusammengeführt, ausgewertet und veröffentlicht. Für die Abbildung der meldepflichtigen Tatbestände mittels der ICD sind teilweise zusätzliche Informationen notwendig. So ist für die Bewertung der epidemiologischen Situation von Infektionskrankheiten die Unterscheidung zwischen Inzidenz und Prävalenz und somit auch die Unterscheidung zwischen akuten und chronischen Infektionen erforderlich, die z. B. für Hepatitis (B17.1 Akute Virushepatitis C und B18.2 Chronische Virushepatitis C), nicht jedoch z. B. für die Brucellose (A23.-) verfügbar ist. Ebenso ist für einige Meldetatbestände das Material, in dem der Erreger nachgewiesen worden ist, oder die Nachweismethode relevant (z. B. Meldepflicht für den direkten Nachweis aus Liquor oder Blut von Haemophilus influenzae). Dies kann in der derzeitigen ICD nicht abgebildet werden. Für die Identifizierung einiger Meldetatbestände ist zudem eine Kombination aus mehreren ICD-Codes notwendig (z. B. invasive MRSA-Infektionen: A41.0 Sepsis durch Staphylococcus aureus in Kombination mit U80.00! Staphylococcus aureus mit Resistenz gegen Oxacillin oder Methicillin). Mit dem Kreuz-Stern-System können neben der Ätiologie (in der Regel der verursachende Erreger) auch Manifestationen verschlüsselt werden (z. B. die G01* Meningitis bei anderenorts klassifizierten bakteriellen Krankheiten in Kombination mit A32.1† Meningitis und Meningoenzephalitis durch Listerien). Dies erleichtert z. B. die Identifizierung von invasiven Infektionen (so ist z. B. bei Listeriose nur der Nachweis von Listeria monocytogenes aus Blut, Liquor oder anderen normalerweise sterilen Substraten sowie aus Abstrichen von Neugeborenen gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 29 IfSG meldepflichtig).

Anpassungsbedarf durch neue Erreger

Im Bereich der Infektionskrankheiten werden immer wieder neue Erreger oder deren Subtypen entdeckt (z. B. das Middle East Respiratory Syndrome Coronavirus – MERS-CoV, neue Influenzaviren) oder bereits bekannte Erreger zeigen eine veränderte Verbreitung (z. B. Zikavirus) oder veränderte Eigenschaften (z. B. Resistenzen). Dafür können bereits vorhandene übergeordnete oder wenig spezifische Kategorien verwendet werden (z. B. B34.2 Infektion durch Coronaviren nicht näher bezeichneter Lokalisation im Fall von MERS). Zudem gibt es spezielle Schlüsselnummern im Kapitel XXII Schlüsselnummern für besondere Zwecke. Dort können z. B. vorläufig bisher nicht belegte Schlüsselnummern für neue Erreger nach Entscheidung durch die WHO genutzt werden, z. B. unter U00-U49 Vorläufige Zuordnungen für Krankheiten mit unklarer Ätiologie und nicht belegte Schlüsselnummern, so wie es für die Zikaviruskrankheit (U06.-)Footnote 2 und das Schwere Akute Respiratorische Syndrom (SARS, U04.-)Footnote 3 umgesetzt wurde. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, unter U69.2-! sekundäre Schlüsselnummern für besondere epidemiologische Zwecke (z. B. U69.20! Influenza A/H1N1 Pandemie 2009 (Schweinegrippe), U69.21! Influenza A/H5N1 Epidemie (Vogelgrippe)) zu verwenden. Diese Schlüsselnummern dienen der Spezifizierung besonderer epidemiologischer Ereignisse. Eine Einschränkung des Anwendungszeitraums der Schlüsselnummern kann vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) bei Bedarf bekannt gegeben werden. Langfristig kann über das Vorschlagsverfahren ein regulärer ICD-Code vergeben werden; dies kann entweder allein in der deutschen Version (ICD-10-GM – German Modification), die für die Codierung im ambulanten und stationären Bereich eingesetzt wird, oder weltweit in der ICD-10-WHO, die in Deutschland für die Verschlüsselung der Todesursachen verwendet wird, umgesetzt werden.

Derzeitige Anwendung der ICD-Klassifikation im Bereich Infektionskrankheiten

In der Abteilung für Infektionsepidemiologie am RKI werden die mithilfe von ICD codierten Daten zu Infektionskrankheiten in verschiedenen Zusammenhängen verwendet. Die ICD ermöglicht den weltweiten Vergleich von Statistiken zu Infektionskrankheiten, so werden regelmäßig Daten an internationale Organisationen, wie z. B. die WHO, übermittelt. Zunehmend wird die ICD jedoch auch für die Erhebung von Surveillance- und Forschungsdaten eingesetzt, z. B. im Rahmen des Meldewesens (Identifizierung von Meldetatbeständen), aber auch in der syndromischen Surveillance akuter Atemwegsinfektionen, für den Aufbau neuer Surveillance-Systeme sowie für die Evaluation der Datenqualität vorhandener Systeme durch Abgleich mit Sekundärdaten.

Evaluation und Anreicherung der Meldedaten durch Sekundärdaten

Das Meldesystem gemäß Infektionsschutzgesetz (IfSG) ermöglicht neben dem eigentlichen Ziel, der Durchführung von Infektionsschutzmaßnahmen vor Ort durch das Gesundheitsamt, die Fortschreibung von zeitlichen Trends von Infektionskrankheiten. Die Daten zu Infektionskrankheiten, die durch das Meldesystem gemäß IfSG erfasst werden, unterliegen jedoch vielen Limitationen. Insbesondere ist, in Abhängigkeit von der jeweiligen Krankheit, von einer Untererfassung auszugehen [3,4,5]. Um die Sensitivität des Meldewesens zu evaluieren, ist es daher erforderlich, weitere Datenquellen heranzuziehen. Durch den Abgleich mit Sekundärdaten kann das Ausmaß der Untererfassung quantifiziert werden, dies geschieht in Abhängigkeit von der Datenquelle auch teilweise unter Nutzung von ICD-Codes, z. B. bei der Nutzung von Abrechnungsdaten [4]. Aber z. B. auch Routinedaten der gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen, der deutschen Rentenversicherung und der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung sowie des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA) stellen eine mögliche Datenquelle zur Abschätzung und zum Vergleich von Krankheitshäufigkeiten dar.

Allerdings gehen diese auch mit verschiedenen Limitationen einher. Häufig beziehen sich die Datenquellen nur auf einen Teil der Gesamtbevölkerung; z. B. bilden die Daten von gesetzlichen Krankenkassen nur Behandlungsgeschehen ab, die dem Leistungskatalog der Kassen entsprechen. So werden private Zusatzleistungen und Privatverordnungen für Arzneimittel nicht abgebildet. Manche Datenquellen decken, bedingt durch ihre Mitgliederstruktur, auch nicht die gesamte Bevölkerung Deutschlands ab und sind damit nicht ausreichend repräsentativ. Die Daten werden primär zu anderen Zwecken erhoben, daher sind häufig nicht alle nötigen Angaben verfügbar. Da die ICD-10 in der ambulanten und stationären Versorgung vor allem für Abrechnungszwecke eingesetzt wird, ist z. B. davon auszugehen, dass selbst wenn eine genauere Codierung möglich wäre, diese nicht angewendet wird. So kann es sein, dass nur die Hauptdiagnose codiert wird, da diese abrechnungsrelevant ist, weitere wichtige Nebendiagnosen oder ergänzende Codierungen (z. B. Kreuz-Stern-System s. oben) nicht vorgenommen werden, da diese keine Auswirkungen auf die Abrechnung und somit keinen unmittelbaren Nutzen für die Codierenden haben, sondern nur der besseren Darstellung der klinischen Diagnosen bzw. epidemiologischen Bewertung und Auswertung von Daten dienen.

Auch enthalten Routinedaten keine klinischen Angaben, Laborwerte oder Angaben zum Schweregrad der Erkrankung. Eine weitere Limitation kann der fehlende Personenbezug sein, sodass verschiedene Datensätze bezüglich Diagnose und Behandlung nicht zusammengeführt und bestimmte Analysen, wie z. B. Capture-Recapture-Studien, nicht durchgeführt werden können. Bei einigen Datenquellen kann eine Darstellung des zeitlichen Verlaufs ggf. nicht möglich sein, da die Daten nur für einen bestimmten Zeitraum verfügbar sind. Des Weiteren können Änderungen in der Datengenerierung aufgrund von gesundheitspolitischen oder abrechnungstechnischen Regularien eintreten, die beim Jahresvergleich berücksichtigt werden müssen [6]. Vor Durchführung einer Studie ist deshalb immer zu prüfen, ob die avisierten Routinedaten für die Bearbeitung der Studienfrage geeignet sind.

Um das Vorgehen bei der Sekundärdatenanalyse zu standardisieren und transparenter zu machen, wurden entsprechende Berichtsstandards entwickelt, z. B. die STandardisierte BerichtsROutine für Sekundärdatenanalysen (STROSA; [7]). Die Limitationen der Daten sollten jeweils ausführlich diskutiert und bei der Bewertung der Daten berücksichtigt werden.

Todesursachen

Die heutige ICD hat sich aus dem Internationalen Todesursachenverzeichnis (ILCD, s. oben) entwickelt [2]. Auch heute noch ist die Todesursachenstatistik eine der wichtigsten Anwendungen der ICD. Durch die monokausale Statistik, bei der nur das Grundleiden eingeht, wird auch die Erfassung der Todesfälle durch Infektionskrankheiten erschwert [8]. So werden z. B. Sterberaten und Anzahl von Todesfällen durch schwere akute respiratorische Infektionskrankheiten auf der Grundlage der Todesursachenstatistik unterschätzt [9].

Syndromische Surveillance (z. B. SEEDARE, ICOSARI)

Für die Erfassung der Influenzaaktivität in der jeweiligen Saison sind neben der Datenerfassung über das Meldesystem weitere Erhebungsinstrumente erforderlich. Im Sentinel der Arbeitsgemeinschaft Influenza (AGI) werden seit 2013 akute Atemwegserkrankungen auch über ICD-10-Codes erfasst. Zusätzlich können neben der Einschätzung der Krankheitslast von akuten respiratorischen Erkrankungen auch weitere Parameter zur Einschätzung von Krankheitsschwere, Risikofaktoren, Komplikationen und Folgeerkrankungen (z. B. Lungenentzündung, Beatmungspflicht, akutes schweres Atemnotsyndrom) erfasst und analysiert werden. Diese elektronische Datenerhebung erfolgt im ambulanten Bereich im Rahmen der AGI über das SEEDARE-Modul (Sentinel zur elektronischen Erfassung von Diagnosecodes akuter respiratorischer Erkrankungen) sowie in Krankenhäusern über die ICD-10-codebasierte Krankenhaus-Surveillance schwerer akuter respiratorischer Infektionen – ICOSARI. Im ambulanten Bereich wird die syndromische Surveillance seit Gründung der AGI durch virologische Daten ergänzt [10,11,12]. Die syndromische Erhebung gewährleistet in Krisensituationen eine stabile Datengrundlage und kann durch die zum Meldesystem ergänzende Datenerhebung die Ärzteschaft und den Öffentlichen Gesundheitsdienst von höheren Meldeaufwänden entlasten [13, 14].

Elektronische Meldung (DEMIS)

Mit dem Deutschen Elektronischen Melde- und Informationssystem für den Infektionsschutz (DEMIS) soll die elektronische Meldung von gemäß Infektionsschutzgesetz meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserregern implementiert werden. Dabei sollen meldepflichtige Tatbestände unter anderem über die Verwendung der ICD automatisch identifiziert werden und der Meldepflichtige durch das Arzt- oder Krankenhausinformationssystem bereits bei Eingabe der (Verdachts‑)Diagnose an seine Meldepflicht erinnert sowie im Meldeprozess unterstützt werden [15]. Der Großteil der Meldungen wird durch Labore erzeugt [16]. Da die Laborinformationssysteme häufig andere Klassifikationssysteme bzw. Ontologien (z. B. die Logical Observation Identifiers Names and Codes – LOINC, Systematized Nomenclature of Medicine – SNOMED, häufig aber auch eigene Nomenklaturen) verwenden, ist die Interoperabilität mit anderen Klassifikationssystemen als ICD ein nicht zu unterschätzender Faktor für die erfolgreiche Implementierung von DEMIS. Dafür ist ein Mapping zwischen den verschiedenen Klassifikationssystemen unter Nutzung semantischer Verfahren erforderlich [17, 18].

Anforderungen und Erwartungen an die ICD‑11

Das RKI ist Mitglied in der ICD-11-Arbeitsgruppe des Kuratoriums für Fragen der Klassifikation im Gesundheitswesen (KKG), das derzeit die Implementierung der ICD-11 in Deutschland mit den relevanten Akteuren des Gesundheitssystems vorbereitet. In diesem Rahmen können die im Folgenden genannten Anforderungen sowohl in den internationalen Gremien als auch national eingebracht werden.

Die grundlegende Umstrukturierung der ICD bietet viele Chancen, insbesondere die einer differenzierteren und korrekten Abbildung von Krankheiten. Gleichzeitig birgt die hohe Komplexität Gefahren wegen der durch sie bedingten Verzögerungen bei der Implementierung und der erschwerten Anwendbarkeit in der Praxis [1]. Dabei sollte die ICD-11 im Bereich Infektionskrankheiten folgende Anforderungen erfüllen:

  • Möglichkeit zur Fortschreibung der bisherigen Zeitreihen,

  • bessere Abbildung der Infektionskrankheiten, insbesondere der Meldetatbestände,

  • Flexibilität bezüglich der sich verändernden epidemiologischen Situation und neu auftretender Erreger,

  • Ermöglichen einer multikausalen Todesursachenstatistik.

Fortschreibung von Trends

Die wichtigste Anforderung an die aktualisierte ICD im Bereich Infektionskrankheiten ist die Fortschreibung der bisherigen Zeitreihen für die Gesundheitsberichterstattung, die Veröffentlichung der Meldedaten, die bisher auf ICD-10-Basis betriebenen syndromischen Surveillance-Systeme und die Todesursachenstatistik. Gleichzeitig begrenzt diese Anforderung aber die Freiheiten für die grundlegende konzeptionelle Umstrukturierung. Ebenso ist zu beachten, dass sich bereits bei der Einführung einzelner neuer Codes und in noch größerem Maße bei der Implementierung der neuen ICD-Version das Codierverhalten der Anwender ändert und auch bei Abwesenheit inhaltlicher Änderungen Surveillance-Artefakte zu erwarten sind [19]. Andererseits wird durch die ICD-11 nun die Möglichkeit geschaffen, auch seltene Krankheiten zu codieren und dadurch die Gesundheitsberichterstattung für Ereignisse, die bisher nicht ausreichend in den Gesundheitsdaten erfasst werden konnten, zu ermöglichen [20].

Bessere Abbildung der Infektionskrankheiten, insbesondere der Meldetatbestände

Auch bei der Umstellung von ICD-9 auf ICD-10 hatte man das Ziel verfolgt, das Spektrum bestimmter Krankheiten, darunter das der Infektionskrankheiten, besser zu erfassen. So verbesserte sich zwar die Erfassung deutlich, doch schon bei Einführung der ICD-10 konnten einige Infektionskrankheiten identifiziert werden, die nicht vollständig abgebildet wurden [21]. Gerade komplexe Krankheitsbilder, wie z. B. das der Sepsis, werden durch systematische Fehlcodierungen in den Gesundheitsdaten untererfasst [22]. Zwar können durch eine Validierung die Codes identifiziert werden, die die Krankheit bzw. das Syndrom am besten repräsentieren, allerdings hat auch das Codierverhalten der Anwender Einfluss auf die Validität der Daten [23].

Um die Ressourcen im Gesundheitswesen effektiv einsetzen zu können, sollte in Abhängigkeit von der Krankheit bzw. des auslösenden Erregers eine angemessene Balance zwischen Sensitivität und Spezifität bei der Nutzung der ICD-Codes als Meldeauslöser berücksichtigt werden. Während die Spezifität z. B. für Influenza, Keuchhusten und Clostridium-difficile-Infektionen recht gut ist, ist die Sensitivität u. a. aufgrund des variablen und wenig eindeutigen klinischen Bildes teilweise nicht hoch genug [24, 25]. Ein wichtiger Parameter ist hier auch der positive Vorhersagewert („positive predictive value“ – PPV), der angibt, wie viele der eingegangenen Meldungen tatsächliche Fälle werden [26]. Während der PPV der ICD-9 noch sehr stark zwischen den einzelnen Infektionskrankheiten schwankte ([27]: 20,3 %–96,0 %), wird durch die verschiedenen Dimensionen der ICD-11 gerade in diesem Bereich eine Besserung erwartet. Die Nutzung von semantischen Technologien bei der Entwicklung der ICD-11 gewährleistet, dass die ICD-11 leichter um weitere Dimensionen ergänzt, aber auch besser mit anderen Klassifikationssystemen und Ontologien referenziert werden kann, allerdings wird dadurch auch die Komplexität erhöht [28].

Flexibilität

Gerade im Bereich der Infektionskrankheiten sollte die ICD-11 ausreichend Flexibilität für die sich verändernde epidemiologische Situation, z. B. in Ausbruchssituationen, sowie für neu auftretende Erreger bieten. Hierbei ist zu prüfen, ob dies durch die zeitnahe Umwidmung von nichtvergebenen Schlüsselnummern weltweit oder im Rahmen der Anpassung der German Modification (GM) erfolgen sollte.

Multikausale Todesursachenstatistik

Mit dem Überarbeitungsprozess der ICD-11 soll auch die multikausale Todesursachenstatistik gestärkt werden. Durch Einführung von unterstützender Software soll das Codierverhalten durch die Bereitstellung von Codierungsalgorithmen möglichst vereinheitlicht und gleichzeitig eine multikausale Todesursachenstatistik ermöglicht werden. Dies kann insbesondere Auswirkungen auf die Analyse seltener Todesursachen haben [29].

Zusammenfassung und Ausblick

Die Chancen der ICD-11 liegen vor allem darin, dass Infektionskrankheiten zukünftig eindeutiger codiert werden können und ihre Codierung mehr relevante Informationen für die epidemiologische Bewertung enthält. Allerdings sollte bei der Auswertung von ICD-11-Codes aus Sekundärdaten berücksichtigt werden, dass die Datenerhebung in der Regel Abrechnungszwecken dient und die Daten hinsichtlich Repräsentativität, Vollständigkeit und Validität Limitationen aufweisen können. Durch die hohe Komplexität sowie Änderungen im Codierverhalten und Codierartefakte können zudem Verzerrungen in den Daten entstehen, die die Fortschreibung der Morbiditäts- und Mortalitätsstatistiken erschweren. Die ICD-11 wird derzeit in Feldstudien getestet und soll auf Grundlage der Ergebnisse angepasst und verbessert werden. Aus Sicht des RKI müssen die Auswirkungen der Änderung der Klassifikation auf die Trends von Infektionskrankheiten, z. B. im Rahmen von Mapping-Studien, evaluiert werden, um eine bessere Interpretation der Zeitreihen zu ermöglichen und ggf. Empfehlungen für die Anpassung der ICD-11 geben zu können.