Ein junger Patient hält sich ein künstliches Kniegelenk aus Metall an sein Knie, während sein Arzt mit einem Kugelschreiber auf die Prothese zeigt und etwas erklärt.

Immer mehr unter 60-Jährige erhalten künstliche Kniegelenke

Immer mehr Menschen wird bei Kniearthrose ein künstliches Kniegelenk eingesetzt. Zunehmend erhalten auch unter 60-Jährige Knieprothesen. Zwischen 2013 und 2016 sind die Operationszahlen in dieser Altersgruppe um fast ein Viertel gestiegen. Das Problem: Je jünger die Patienten, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Prothese später ausgewechselt werden muss. Wird vorschnell operiert?

In Deutschland werden wieder mehr künstliche Kniegelenke eingesetzt. Zwischen 2013 und 2016 ist die Zahl der Eingriffe von 143.000 auf 169.000 gestiegen. Dieser Anstieg um 18 Prozent folgt auf Jahre stabiler und zuletzt rückläufiger Knieprothesen-Eingriffe. Erklärbar ist dieser Trend weder durch medizinische noch durch demographische oder geografische Einflussfaktoren. Bei den unter 60-Jährigen stiegen die Operationszahlen von 27.000 auf 33.000 sogar um 23 Prozent. "Dass immer mehr jüngere Patienten Knieprothesen bekommen, lässt fragen, ob die Operationen wirklich medizinisch notwendig indiziert sind. Dies ist besorgniserregend", sagt unser Vorstandsmitglied Brigitte Mohn.

Die Zahlen hat unser neuer Kooperationspartner, das Science Media Center (SMC) in Köln, ermittelt. Zusammen mit dem SMC setzen wir uns auch nach dem Ende unseres Projektes "Faktencheck Gesundheit" dafür ein, medizinische Über- und Unterversorgung in Deutschland transparent zu machen. "Wir freuen uns, das Science Media Center als kompetenten Partner gefunden zu haben. Seine wissenschaftsjournalistische Arbeit macht es möglich, weiterhin auf über- und unterversorgte Regionen in Deutschland hinzuweisen", sagt Mohn.

Jüngere müssen häufiger erneut operiert werden

Die deutliche Zunahme von Knieprothesen-Operationen bei Jüngeren ist besonders problematisch. Denn Studien zeigen: Je jünger die Patienten bei der Erst-Operation sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Prothesen im Laufe ihres Lebens ausgetauscht werden müssen. Bei Patienten, die bereits zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr eine Knieprothese erhalten, liegt das Risiko zwischen 15 und 35 Prozent. Bei den über 70-Jährigen liegt es lediglich zwischen vier und acht Prozent. Wechseloperationen sind nicht nur belastend für die Patienten, sondern führen auch häufiger zu Komplikationen und zu schlechteren Ergebnissen als die Erst-Operation.

Bei den Erst-Operationen fördert die Analyse gravierende regionale Unterschiede zu Tage. In Bayern (260 Eingriffe je 100.000 Einwohner) und Thüringen (243) wurde 2016 am meisten operiert. Deutlich weniger Patienten erhielten in Berlin (153) und in Mecklenburg-Vorpommern (164) erstmals ein künstliches Kniegelenk. Bei den unter 60-jährigen Patienten ergeben sich ähnliche regionale Muster.

Finanzielle Anreize beeinflussen die Entscheidung zur Knieoperation

Neben den Datenanalysen hat das Science Media Center zahlreiche Interviews mit Orthopäden, Krankenkassen- und Klinikvertretern, Gesundheitsökonomen und Klinik-Controllern geführt. Dabei kristallisierten sich mehrere Erklärungsansätze für den Anstieg der Knieoperationen und die regionalen Unterschiede heraus:

So spielen finanzielle Anreize eine große Rolle. Knieprothesen-Operationen sind für die Kliniken lukrativer geworden, seitdem ab 2013 eine zentrale Fallpauschale mehrfach erhöht wurde. Außerdem fragen offenbar mehr Patienten nach künstlichen Kniegelenken. Niedergelassenen Ärzten scheint darüber hinaus nicht genügend Budget für konservative Therapieansätze wie Physiotherapie zur Verfügung zu stehen.

Empfehlungen: bessere Diagnose und Aufklärung, höhere Mindestmengen

Knieprothesen können segensreich für viele Patienten sein, bereiten jedoch oft auch Probleme. Daher sollten Ärzte und Patienten Nutzen und Risiken eines künstlichen Kniegelenks gut abwägen. Wenn Patienten sorgfältig informiert werden, entscheiden sie sich seltener für eine Operation. Auch konservative Therapien können bei Kniearthrose die Beschwerden lindern. Ist eine Operation unumgänglich, sollten Patienten spezialisierte Kliniken mit hohen Fallzahlen auswählen.

Mit folgenden Maßnahmen können Ärzte und Patienten unnötige Operationen vermeiden:

  • Ärzte müssen verständlich über Nutzen und Risiken beim Einsatz von künstlichen Kniegelenken aufklären, insbesondere bei jüngeren Patienten
  • Patienten sollten nach Behandlungsalternativen fragen und sie mit ihrem Arzt besprechen
  • Niedergelassene Ärzte sollten für konservative Behandlungen wie beispielsweise Physio- und Ergotherapie ein höheres Budget erhalten
  • Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) sollte für Krankenhäuser höhere Mindestmengen für Knieprothesen-Implantationen einführen, und die Einhaltung der Vorgaben sollte überprüft werden
  • Krankenhäuser sollten sich auf bestimmte Fachgebiete spezialisieren 

Weitere Ansprechpartnerin für die Analyse ist auf Seiten des Science Media Centers:

Meike Hemschemeier, Telefon: 0221 88 88 25 13
E-Mail: meike.hemschemeier@sciencemediacenter.de