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Wenn die Arztpraxis geschlossen ist Bremer Notfallversorgung vor dem Kollaps

Die Notaufnahmen sind am Limit: Immer mehr Patienten gehen dorthin, obwohl sie kein Notfall sind. Grüne und SPD fordern neue Notfallzentren an den Kliniken, die rund um die Uhr geöffnet sind.
21.06.2018, 05:06 Uhr
Lesedauer: 4 Min
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Bremer Notfallversorgung vor dem Kollaps
Von Sabine Doll

Die Notaufnahmen in den Bremer Kliniken platzen regelrecht aus allen Nähten: Im größten Krankenhaus Bremens, dem Klinikum Bremen Mitte, sind die Patientenzahlen in der Notaufnahme von 22 000 im Jahr 2012 auf mehr als 35.000 im vergangenen Jahr angestiegen. Das bestätigte die Sprecherin des Klinikverbundes Gesundheit Nord (Geno), Karen Matiszick, dem WESER-KURIER. "Dieser Trend geht weiter", sagte sie. Die Grünen und die SPD wollen nun handeln.

Denn auch die Rettungsdienste stehen zunehmend unter Druck, weil immer mehr Menschen die 112 wählen – auch wenn kein Notfall vorliegt. Mit 77 800 Rettungseinsätzen verzeichnete die Leitstelle der Feuerwehr Bremen im vergangenen Jahr einen neuen Rekord: Das ist ein Plus von 2200 Einsätzen gegenüber 2016.

Und auch beim Ärztlichen Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigung Bremen (KVHB) am Krankenhaus St. Joseph-Stift zeigt die Kurve nach oben. Er ist Anlaufstelle, wenn Haus- und Facharztpraxen abends und nachts, an Wochenenden und Feiertagen geschlossen sind. 2017 registrierte die Zentrale 23 544 Behandlungen, drei Jahre zuvor waren es noch 19.030.

Patientenzahlen im ganzen System der Notversorgung steigen

"Im ersten Quartal dieses Jahres sind es schon 1000 Behandlungen mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres", sagte KVHB-Sprecher Christoph Fox. "Das ist zwar auch ein Zeichen dafür, dass die bundesweite Rufnummer für den Bereitschaftsdienst 116 117 in der Bevölkerung inzwischen bekannter ist. Aber die Patientenzahlen im ganzen System der Notversorgung steigen; vor allem auch der Anteil von Menschen, die nicht zwingend ein Notfall sind", bestätigte er.

"Diese Struktur, die viele Menschen vor allem auch nicht durchblicken, funktioniert so nicht mehr. Wir brauchen einen Systemwechsel in der ambulanten Notfallversorgung", forderte daher die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Stephanie Dehne. "Das Versorgungsmodell ist nicht mehr an die aktuelle Entwicklung angepasst." Lange Wartezeiten auf einen Termin beim Haus- oder Facharzt seien ein Grund, warum immer mehr Menschen direkt in die Notaufnahme eines Krankenhauses gingen oder den Rettungsdienst alarmierten.

Ein anderer: "Viele Menschen kennen das Angebot der ambulanten Bereitschafts- und Notfallversorgung nicht. Sie wissen nicht, wer zuständig für welche Beschwerden ist, wohin sie sich wenden sollen. Deshalb führt für viele der Weg direkt in die Notaufnahme", betonte auch der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Nima Pirooznia.

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Die Fraktionen haben jetzt einen gemeinsamen Antrag in die Bürgerschaft eingereicht, der dem WESER-KURIER vorliegt: Darin fordern sie den Senat auf, eine grundlegende Reform der ambulanten Notfallversorgung auf Bundesebene voranzutreiben. Die Länder können dies nicht in Eigenregie, "alle anderen Bundesländer haben aber alle die gleichen Probleme, und es gibt bereits ähnliche Vorstöße", sagte Dehne.

Die Kernforderung in dem Antrag: An Kliniken sollen sogenannte integrierte Notfallzentren geschaffen werden, die im Gegensatz zu den bestehenden Bereitschaftsdiensten der Kassenärztlichen Vereinigungen nicht nur außerhalb der Praxiszeiten geöffnet sind. "Die Anlaufstellen müssen Patienten 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche zur Verfügung stehen.

Außerdem muss die Trennung zwischen ambulant und stationär aufgehoben werden, die Anlaufstelle muss sektorenübergreifend funktionieren", forderte Pirooznia. Konkret heißt das: Kommt ein Patient in das integrierte Notfallzentrum an einer Klinik, wird in einer Ersteinschätzung geklärt, ob der Patient eine ambulante Behandlung in der Klinik, später bei seinem Haus- oder Facharzt oder eine stationäre Behandlung benötigt. Nach dieser Ersteinschätzung wird der Patient entsprechend weitergeleitet.

Wohnortnahe Versorgung muss sichergestellt sein

Eine Abkehr von dem bisherigen Modell, wonach die ambulanten Bereitschaftsdienste mit den eingeschränkten Öffnungszeiten von den Kassenärztlichen Vereinigungen getragen werden, halten die beiden gesundheitspolitischen Sprecher in ihrem Antrag offen: "Sie könnten auch von den Krankenhäusern selbst, aber auch durch Kommunen und Ärztenetzwerke betrieben werden", sagte Pirooznia.

Ebenso offen sei, wie viele solcher Zentren an Bremer Kliniken geschaffen werden sollten. "Man muss erst einmal die Zahlen kennen. Sicherlich aber nicht an jedem Krankenhaus, das macht keinen Sinn und ist nicht finanzierbar", betonte Dehne. Immerhin gebe es auch einen bundesweiten Ärztemangel. Eine wohnortnahe Versorgung müsse aber sichergestellt sein.

Und: Die besonderen Bedürfnisse von Kindern, alten Menschen und psychisch Kranken müssten bei einer Reform der ambulanten Notfallversorgung stärker berücksichtigt werden, als es bisher der Fall sei, forderte Pirooznia. Im Ärztlichen Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigung übernehmen derzeit niedergelassene Ärzte im Wechsel die Dienste.

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Da die integrierten Notfallzentren rund um die Uhr besetzt sein sollen, wären angestellte Ärzte eine Lösung. Entsprechend müsse aber auch die Vergütung für das sektorenübergreifende Konzept geregelt werden, forderten die beiden gesundheitspolitischen Sprecher. Die CDU-Fraktion hatte bereits im Mai einen Antrag eingereicht, in dem sie die Entlastung der Notfallambulanzen durch sogenannte Portalpraxen fordert.

Kritikpunkt ist darin ebenfalls, dass der aktuelle Notdienst lediglich die sprechstundenfreien Zeiten abdecke. Die telefonische Erreichbarkeit des Bereitschaftsdienstes unter der bundesweit gültigen Nummer 116 117 sei ebenfalls auf diese Zeiten beschränkt – beides solle erweitert werden, heißt es in dem Antrag. Die Fraktion fordert den Senat auf, sich einem entsprechenden Antrag Schleswig-Holsteins anzuschließen.

In der vergangenen Woche hatte das Gesundheitsressort in einer Antwort auf eine Anfrage der SPD-Fraktion angekündigt, die Kommunikation der Feuerwehr-Leitstelle mit Menschen zu verändern, die die 112 wählen. Ab 2019 sollen danach die Mitarbeiter in der Leitstelle die Anrufer nach einer ersten Klärung ihrer Beschwerden auf andere Angebote wie den kassenärztlichen Bereitschaftsdienst verweisen.

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