L 1 KR 19/16

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 48 KR 2308/13
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 19/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 14. Januar 2016 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.706,80 Euro nebst 5% Zinsen seit dem 28. November 2012 zu zahlen. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung.

Bei dem 1929 geborenen und bei der Beklagten Versicherten A. bestand im April 2009 eine blasenbildende Autoimmundermatose, welche als Schleimhautpemphigoid identifiziert wurde. Vom 16. April 2009 bis 12. Mai 2009 befand sich der Versicherte deshalb in der Dermatologie im Klinikum B., wo eine Therapie zunächst mit einer Hochdosis-Steroidtherapie, anschließend bei Nichtansprechen mit Dapson, dann mit Imurek, anschließend dann erneut mit Dapson eingeleitet wurde. Im Entlassungsbericht heißt es, hierunter sei eine rasche Besserung des Hautbefundes eingetreten, unter Weiterführung der Dapson-Therapie solle regelmäßig Haut- und Blutbildkontrolle durch den Hautarzt erfolgen. Bereits eine Woche nach der Entlassung aus dem Klinikum B. wurde der Versicherte jedoch bei erneuter Blasenbildung unter der fortgeführten Therapie mit Dapson und Urbason in das Krankenhaus der Klägerin eingewiesen, wo er in der Zeit vom 20. Mai 2009 bis zum 18. Juni 2009 vollstationär behandelt wurde.

Die von der Klägerin per Datenträgeraustausch übermittelte Rechnung in Höhe von 12.315,08 EUR beglich die Beklagte zunächst, verrechnete jedoch 6.706,80 EUR am 28.11.2012 nach Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) mit einer anderen Forderung, weil sie das Zusatzentgelt (ZE) für das Medikament Rituximab im Off-Label-Use nicht übernehmen könne. Nach Ausführungen des MDK sei Rituximab weder zur unspezifischen Immunmodulation noch zur Behandlung eines Pemphigoids mit Autoantiköperbildung zugelassen. Die Behandlung mit Rituximab habe nach 3 Applikationen wegen Nebenwirkungen abgebrochen werden müssen. Ein Anspruch nach den Off-Label-Use Grundsätzen bestehe nicht, weil dazu keine Phase III-Studien vorlägen und der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) in der Arzneimittel-Richtlinie auch dazu keine indikationsbezogene Anwendung erlaubt habe. Eine grundrechtsorientierte Auslegung scheitere hier bereits daran, dass sich der Versicherte in keiner notstandsähnlichen Situation befunden habe, weil er an keiner regelmäßig tödlich verlaufenden oder wertungsmäßig damit vergleichbaren Erkrankung gelitten habe.

Hierauf nahm die Klägerin dahingehend Stellung, dass es sich bei dem Schleimhautpemphigoid um eine sehr seltene Erkrankung handele, über deren Behandlung keine kontrollierten prospektiven Therapiestudien zur Verfügung stünden. In der Literatur fänden sich Publikationen auf dem Niveau von Fallserien, welche für leichte bis mittelschwere Erkrankungen eine Effektivität für die Anwendung einer Kombinationstherapie aus Steroiden und Dapson beschrieben, wobei längerfristig zusätzlich Immunsuppressiva (Azathioprin oder Mycophenolat Mofetil) zum Einsatz kämen. In schweren bzw. therapierefraktären Fällen sei die erfolgreiche Anwendung von Cyclophosphamid beschrieben. Darüber hinaus lägen erste Fallserien vor, in denen eine hohe Effektivität von Rituximab in der Behandlung des Schleimhautpemhigoids beschrieben werde (mittel- langfristige Abheilung der Läsionen in ca. 80 % der Fälle). Grund für die Anwendung des streitigen Medikaments sei die Notwendigkeit einer zügigen Remission gewesen, welche durch konventionelle Immunsuppressiva nicht erreichbar gewesen wäre. Von der Behandlung mit dem Medikament Cyclophosphamid sei wegen der sichereren Nebenwirkungen gerade bei älteren Patienten abgesehen worden. Nach Abbruch der Behandlung mit Rituximab aufgrund einer immunallergischen Reaktion sei im weiteren Verlauf eine Kombinationstherapie aus Steroiden und Dapson durch eine zusätzliche Gabe von Mycophenolat Mofetil ergänzt worden.

Das Sozialgericht hat auf die Klage hin ein Gutachten des Dermatologen Prof. Dr. B1 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, dass es bei dem Versicherten im April 2009 unter einer systemischen Therapie mit Dapson und Cortison zu einer akuten Verschlechterung des Hautzustandes gekommen sei, weshalb eine stationäre Behandlung im Krankenhaus B. notwendig geworden sei. Dort sei das Glukokortikosteroid Methylprednisolon (Urbason) systematisch in einer Dosierung von 100 mg täglich in Kombination mit einem hochpotenten Glukokortikoid (Dermoxin) eingesetzt worden, ohne dass es zu einer substanziellen Verbesserung des Hautzustandes geführt hätte. Daher sei versucht worden, Dapson durch das Immunsuppressivum Azathioprin (Imurek) zu ersetzen. Unter dieser Therapie habe sich der Hautzustand des Versicherten weiter verschlechtert. Erst die erneute Umsetzung auf Dapson habe zu einer Verbesserung des Hautzustandes geführt, so dass der Patient dann habe entlassen werden können. Bei der erneut erforderlichen Aufnahme in der Klinik der Klägerin hätten sich über die gesamte Hautoberfläche verteilte Läsionen im Sinne eines Schleimhautpemphigoids gezeigt. Diese Erkrankung sei als Mitglied des bullösen Pemphigoids zu klassifizieren, welches relativ selten sei (10 neue Fälle pro eine Million Menschen pro Jahr); das Schleimhautpemphigoid sei 10-mal seltener. Sowohl der Schweregrad als auch der individuelle Verlauf über Jahre hinweg sei außerordentlich variabel, wobei das Schleimhautpemphigoid tendenziell progredient verlaufe. Zwar führe die Erkrankung nicht zum Tod, aber es komme häufig zu Komplikationen, speziell in Form von Infektionen und Sepsis. Es existiere eine Therapieleitlinie der Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlich-Medizinischer Fachgesellschaften zu Diagnostik und Therapie von Pemphigus vulgaris und bullösem Pemphigoid, jedoch nicht für das Schleimhautpemphigoid. In der Leitlinie "hochdosierte intravenöse Immunglobuline in der Dermatologie" werde einmalig das benigne Schleimhautpemphigoid erwähnt, bei dem eine gute Evidenz für die Wirksamkeit dieser Therapie vorliege. Bei den in einschlägigeren Übersichtsarbeiten empfohlenen Medikamenten handele es sich ausschließlich um formal nicht für diese Indikation zugelassene Immunsuppressiva. Rituximab sei ein monoklonaler Antikörper gegen das Molekül CD20. Diese Struktur fände sich auf B-Lymphozyten, welche u.a. bei Leukämie und rheumatischer Arthritis eine wichtige Rolle spiele, für die Rituximab inzwischen zugelassen sei. Seit 2007 fänden sich in der Literatur zunehmend Berichte über den erfolgreichen Einsatz von Rituximab beim Schleimhautpemphigoid. Es lägen keine Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III vor, weil eine Erweiterung der Zulassung auf das Schleimhautpemphigoid wegen der geringen Fallzahl nicht beantragt sei. Außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse seien veröffentlicht und ließen über die Qualität und Wirksamkeit von Rituximab bei Schleimhautpemphigoid insofern zuverlässige und nachprüfbare Aussagen zu, als es sich um eine wachsende Zahl von Fallberichten handele, aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken bestehe. Es handele sich bei der bei dem Versicherten bestehenden blasenbildenden Autoimmundermatose um eine sehr seltene, einer systematischen Erforschung von darauf bezogenen Therapiemöglichkeiten nicht zugängliche, d.h. nicht systematisch erforschbare und systematisch behandelbare Krankheit. Die bei Behandlungsbeginn am 29. Mai 2009 verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse rechtfertigten im Allgemeinen und im Hinblick auf den Versicherten die Annahme, dass der voraussichtliche Nutzen der Maßnahme die möglichen Risiken überwiegen würden. Mit Urteil vom 14. Januar 2016 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt, Rituximab sei für die Behandlung der bei dem Versicherten vorliegenden Erkrankung nicht zugelassen. Die Voraussetzungen für einen OFF-Label-Use hätten bei dem Versicherten nicht vorgelegen. Eine Leistungspflicht der Beklagten im Rahmen des Off-Label-Use komme grundsätzlich nur in Betracht bei einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung, für die im Behandlungszeitpunkt keine andere anerkannte Therapie verfügbar sei, wenn aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht bestehe, dass mit dem Arzneimittel ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden könne. Eine Kostenübernahme für das strittige ZE 82.14 komme im vorliegenden Fall bereits deshalb nach den o.a. Grundsätzen nicht in Betracht, weil nach dem Sachverständigengutachten Behandlungsalternativen in Form verschiedener Immunsuppressiva verfügbar gewesen seien. Der Gutachter habe nicht dargelegt, dass diese Behandlungsmöglichkeiten, insbesondere in der Kombination mit Steroiden und Dapson ausgeschöpft gewesen seien. Zwar habe er darauf hingewiesen, dass der Patient, der zunächst bis zum 12. Mai 2009 in der Dermatologie B. behandelt werden musste, bereits 8 Tage später erneut gezwungen gewesen sei sich in der Klinik der Klägerin behandeln zu lassen, weil sich bei ihm über die gesamte Hautoberfläche verteilte Läsionen zeigten. Dass sich daraus aber eine therapierefraktäre Situation ergeben habe, habe der Sachverständige zur Überzeugung des Gerichts nicht substantiiert dargelegt. Dem Rechtssatz des Sozialgerichts Dresden (Urteil vom 24.10.2012, S 18 KR 377/11: Juris), wonach in Fällen, in denen der Einsatz von Arzneimitteln ohnehin nur außerhalb deren arzneimittelrechtlicher Zulassung in Betracht kommt, die Auswahl der Behandlung in der Verantwortung des Arztes liege, ohne dass insoweit eine Rangfolge rechtlich vorgegeben werde, sei nicht zu folgen. Denn es sei unerheblich, dass die eine Behandlungsalternative darstellenden Medikamente für die Erkrankung des Klägers formal nicht zugelassen seien. Des Weiteren sei im Gerichtsgutachten nicht schlüssig dargelegt, dass außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht worden seien, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels für die betreffende neue Indikation zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zuließen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen bestehe. Die Berichte auf dem Niveau von ersten Fallserien, in denen eine hohe Effektivität von Rituximab in der Behandlung des Schleimhautpemphigoid beschrieben werde, genügten diesen Anforderungen nicht. Ein Leistungsanspruch der Klägerin lasse sich auch nicht unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für neue Behandlungsmethoden in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung begründen. Eine für die Bejahung des Leistungsanspruchs unter diesem Gesichtspunkt erforderliche notstandsähnliche Situation liege nur dann vor, wenn ohne die streitige Behandlung sich ein tödlicher Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen werde oder ein nicht kompensierbarer Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion akut drohe. Gerechtfertigt sei eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen nur, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliege, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen müsse, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen werde. Ähnliches gelte für den gegebenenfalls gleichzustellenden, akut drohenden und nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion. Eine solche notstandsähnliche Situation sei im vorliegenden Fall des Versicherten nicht gegeben gewesen. Allein die Gefahr einer Komplikation in Form einer Sepsis oder einer Infektion stelle keine akut lebensbedrohliche Erkrankung dar. Auch ein Seltenheitsfall liege nicht vor, denn der Gutachter habe nicht substantiiert dargelegt, inwieweit eine systematische Erforschbarkeit der Erkrankung ausgeschlossen sei. Gegen das Vorliegen eines Seltenheitsfalls im Sinne der Rechtsprechung des BSG spreche, dass es sich bei dem Schleimhautpemphigoid um ein Mitglied des bullösen Pemphigoids handelt, dessen Ähnlichkeit eine wissenschaftliche Erforschung der Erkrankung des Versicherten als möglich erscheinen lasse. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat gegen das der Klägerin am 2. Februar 2016 zugestellte Urteil am 11. Februar 2016 Berufung eingelegt, mit welcher er vorträgt, das Sozialgericht habe den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt, indem es, ohne dem Antrag, Prof. Dr. B1 nochmals zu seinem Gutachten zu befragen, zu folgen, von dessen Gutachten abgewichen sei und eigene Auffassungen an die Stelle medizinischen Sachverstandes gesetzt habe. Der Gutachter habe alle Fragen zutreffend und sachverständig beantwortet; bei Fragen oder Zweifeln hätte ihm Gelegenheit gegeben werden müssen, sein Gutachten weiter zu erläutern. So aber sei das Gericht zu einer fehlerhaften Beweiswürdigung gekommen. Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 14. Januar 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 6.706,80 Euro nebst 5% Zinsen seit dem 28. November 2012 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Das Berufungsgericht hat eine ergänzende Stellungnahme des Dr. B1 eingeholt, welcher am 17. Oktober 2016 ausgeführt hat, das Schleimhautpemphigoid sei pathogenetisch als blasenbildende Autoimmunkrankheit einzuordnen und sei als Mitglied des bullösen Pemphigoids klassifiziert. Schon das klassische bullöse Pemphigoid als "häufigste", besser gesagt als am wenigsten seltene blasenbildende Autoimmunkrankheit sei mit ca. 10 neuen Fällen im Jahr pro 1 Mio. Menschen relativ selten, das Schleimhautpemphigoid sei noch 10mal seltener, mit einer Neuerkrankung pro 1 Mio Menschen pro Jahr. Grob geschätzt fänden sich unter 1 Mio. Menschen ca. 100 Patienten, bei einer häufigen Hautkrankheit wie der Schuppenflechte seien es dagegen 20.000 Patienten. Der Schweregrad blasenbildender Autoimmunkrankheiten sei außerordentlich variabel. Speziell für das Schleimhautpemphigoid gelte, dass es tendenziell progredient verlaufe, also mit der Zeit immer schwerere Symptome verursache und immer größere Areale der Haut befalle. Das Schleimhautpemphigoid als solches führe nicht zum Tod, allerdings komme es häufig zu Komplikationen speziell in Form von Infektionen und Sepsis, zum einen aufgrund der starken Reduzierung der Barrierefunktion der Haut durch Blasenbildung und anschließende Erosionen, zum anderen aufgrund der erforderlichen Therapien. In dem zu beurteilenden Einzelfall belegten die Fotos einen besonders schweren Schub des Schleimhautpemphigoids mit Befall großer Teile der Hautoberfläche. Es existierten in Deutschland keine Therapieleitlinien für das Schleimhautpemphigoid. In der Leitlinie "hochdosierte intravenöse Immunglobuline in der Dermatologie" werde einmalig das benigne Schleimhautpemphigoid erwähnt, bei dem eine gute Evidenz für die Wirksamkeit dieser Therapie vorliege. In einer aktuellen Übersichtsarbeit seien lediglich zwei kleine kontrollierte Therapiestudien dokumentiert. Die in einschlägigen Übersichtsarbeiten empfohlenen Medikamente seien ausschließlich Immunsuppressiva. Keines dieser Medikamente sei für diese Indikation formal zugelassen, ihr Einsatz sei jedoch allgemein anerkannt. Medikamente würden nur ausnahmsweise für seltene Erkrankungen zugelassen, daher würden die meisten Therapien "Off Label" durchgeführt. Rituximab sei ein monoklonaler Antikörper gegen das Molekül CD20 und spiele u.a. bei Leukämie und rheumatoider Arthritis eine wichtige Rolle. Für diese Erkrankungen sei das Medikament inzwischen zugelassen, es würden aber auch Therapieversuche bei anderen Antikörper-vermittelten Erkrankungen durchgeführt, so auch bei blasenbildenden Autoimmunkrankheiten. Seit 2007 fänden sich in der wissenschaftlichen Literatur zunehmend Berichte über den erfolgreichen Einsatz von Rituximab bei Schleimhautpemphigoid. Die Therapie dieser Erkrankung erfolge grundsätzlich durch den Off Label Einsatz immunsuppressiver Medikamente, da es kein einziges Medikament gebe, das speziell für diese Indikation zugelassen sei. Allgemein anerkannt sei, dass zunächst klassische Immunsuppressiva wie Glukokortikosteroide oder Aziathioprin eingesetzt würden, bei Kontraindikationen, Unverträglichkeiten oder Nichtansprechen würden dann Biologics wie Rituximab erwogen. Bei dem Schleimhautpemphigoid mit Autoantikörpern gegen Laminin 5 drohe der nicht umkehrbare und nicht kompensierbare Verlust von Körperfunktionen. Dies gelte insbesondere für das Sehen. Die Augen seien in 65 % der Fälle betroffen. Durch narbige Abheilung der sich in den akuten Schüben der Krankheit ausbildenden Läsionen im Bereich der Bindehaut der Augen resultiere Blindheit. Insbesondere die Augenbeteiligung des Schleimhautpemphigoids spreche generell schlecht auf Therapien an, zudem sei eine konjunktivale Fibrose irreversibel, so dass im Gegensatz zu anderen bullösen Autoimmunkrankheiten bei verzögerter oder ineffektiver Therapie permanenter Schaden resultiere. Darüber hinaus handele es sich insofern um eine einer lebensgefährlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung, als die durch die Blasenbildung resultierenden Substanzdefekte Eintrittspforten für bakterielle Infektionen darstellten. Diese verliefen unter der obligat immunsuppressiven Therapie extrem schnell und schwer und führten nicht selten aufgrund der resultierenden Sepsis zum Tod. Behandlungsalternativen zu Rituximab seien bei einem schweren Fall wie dem vorliegenden ein hochdosiertes systemisches Glukokortikosteroid in Kombination mit Cyclophosamid oder Mycophenolal Motefil oder Dapson. Bei allen Optionen handele es sich formal um einen Off-label-Einsatz und bei allen Optionen sei die Evidenzlage schlecht. Im vorliegenden Fall konnten die Therapieoptionen im Zeitpunkt der Entscheidung für Rituximab bis auf das Mycophenolal Motefil als ausgeschöpft angesehen werden, da sich in der Zeit vom 16. April bis 20. Mai 2009 ein insgesamt dramatisch progredienter Verlauf gezeigt habe, obwohl die genannten Therapeutika gemäß den Empfehlungen bereits hoch dosiert eingesetzt worden waren. Der Zustand des Patienten zum Zeitpunkt der Entscheidung für Rituximab sei als therapierefraktär anzusehen. Da Rituximab spezifisch CD20+ Zellen angreife, also B-Leukozyten zerstöre, greife dieses Medikament direkt in den zentralen Pathomechanismus aller blasenbildenden Autoimmunkrankheiten ein, da es diese Zellen seien, welche für die Blasenbildung verantwortliche Antikörper bildeten und freisetzten. Diese Erkenntnis sei zwar im Jahr 2009 noch relativ neu, jedoch bereits gesichert gewesen. Einschlägige Übersichtsartikel in weltweit führenden Fachzeitschriften hätten bereits damals vorgeschlagen, Rituximab bei therapierefraktären Formen blasenbildender Autoimmunkrankheiten einzusetzen. Für die Indikation Schleimhautpemphigoid gebe es bis heute kaum kontrollierte Studien und keine Therapieleitlinie, die Therapieentscheidung werde jeweils vom behandelnden Arzt getroffen, der sich dabei auf seine Erfahrung stütze und einschlägige Fachliteratur zu Rate ziehe. Die Erkrankung sei aufgrund ihrer Einzigartigkeit nicht erforscht in dem Sinne, dass zwar Ursachen, nicht jedoch Therapiewirkungen und Therapiemöglichkeiten der Erkrankung wegen ihrer Seltenheit systematisch erforscht und behandelt werden könnten. Eine Ähnlichkeit zum Pemphigus vulgaris/ foliaceus bzw. zum bullösen Pemphigoid sei durchaus gegeben, der entscheidende Unterschied liege allerdings darin, dass das Schleimhautpemphigoid bleibende Schäden, wie z.B. Erblindung hinterlasse und dass deshalb die verzögerte Initiierung einer effektiven Therapie irreparable Konsequenzen habe, wohingegen bei den anderen Formen der Patient "nur" länger leiden müsse bis man die Krankheit schließlich im Griff habe. Beim Schleimhautpemphigoid herrsche bei "high risk" Patienten und schweren Fällen unmittelbarer und dringender Handlungsbedarf, stationäre Aufnahme und Maximalversorgung in einer Universitätsklinik eingeschlossen. Der hier zu prüfende Fall sei eindeutig als schwer und perakut verlaufend einzustufen. Die Klägerin teilt die Auffassung des Gutachters und trägt vor, es seien alle Therapieoptionen ausgeschöpft gewesen und es habe ein dringender Behandlungsbedarf bestanden, was den Einsatz von Rituximab im Off-Label-Use rechtfertige. Die Kriterien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seien vom Sachverständigen berücksichtigt und dargelegt worden, dass es sich um eine Erkrankung handele, bei der ein nicht kompensierbarer Verlust der Sehfähigkeit drohe. Zudem sei die Krankheit auch mit einer lebensgefährlich oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung wertungsmäßig vergleichbar, da es durch die Blasenbildung nicht selten zu extrem schnell und schwer verlaufenden bakteriellen Infektionen mit letalem Ausgang komme. Dies reiche aus, um den Einsatz von Rituximab im vorliegenden Fall als zulässigen Off-Label-Use einzustufen. Die Beklagte schließt sich einer weiteren Stellungnahme des MDK an, welcher am 13. Oktober 2017 ausgeführt hat, die vorgelegten Unterlagen erlaubten nicht die Annahme einer notstandsähnlichen Situation bzw. einer durch nahe Lebensgefahr gekennzeichneten individuellen Notlage oder einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung. Bei dem Versicherten seien zu keiner Zeit Beteiligungen der Schleimhäute bzw. der Augen beschrieben worden. Eine entsprechende Untersuchung habe erst nach Abschluss der stationären Behandlung erfolgen sollen. Zum Behandlungszeitpunkt 2009 seien neben Kortikosteroiden Cyclophosphamid, Dapson, Fatol und Imurek (Azathioprin) zur Behandlung des Schleimhautpemphigoids zugelassen gewesen. In der Fachliteratur werde für Hochrisikopatienten als Erstlinientherapie eine Kombination von Prednisolon, Cyclophosphamid und alternativ Azathioprin vorgeschlagen. Als weitere Alternative werde Dapson genannt. Hinsichtlich der Wirksamkeit von Cyclophosphamid und Dapson lägen kontrollierte Studien vor. Auf der Grundlage der vorliegenden Unterlagen sei nicht ersichtlich, dass die zugelassenen Therapieoptionen ausgeschöpft gewesen seien. Es sei medizinisch nicht nachvollziehbar, warum zunächst eine weitere Fortführung der niedrigen Steroid-Dosis erfolgt sei. Erst nach der dritten Rituximab-Infusion sei ein oraler Kortisonstoß erfolgt. Unter anschließender Therapie mit CellCept und der Erhöhung der Dapson-Dosis sei es dann zu einem konstant blasenfreien Erscheinungsbild des Versicherten gekommen. Die im Entlassungsbericht geäußerte Annahme, das Rituximab habe sich begünstigend ausgewirkt, sei rein spekulativ. Auch eine Seltenheit liege nicht vor, an eine solche würden vom BSG hohe Anforderungen gestellt. Die vorliegende Erkrankung betreffe einen von 15.000-40.000 Patienten. Damit sei dies zwar eine seltene, jedoch nicht eine singuläre, nicht erforschbare Erkrankung im Sinne der Rechtsprechung. Hierfür spreche auch das Vorliegen einer kontrollierten randomisierten Studie zur Anwendung von Cyclophosphamid beim vernarbenden Schleimhautpemphigoid mit okulärer Beteiligung. Da die Erkrankung zudem laut vorliegender Fachliteratur als Variante des bullösen Pemphigoids aufgefasst werden könne, könnten daher die auch von dem Sachverständigen angeführten Therapieempfehlungen bzw. Therapieoptionen anderer blasenbildender Erkrankungen auf das Schleimhautpemphigoid übertragen werden. Hierzu hat der Sachverständige nochmals Stellung genommen und ausgeführt, soweit das MDK Gutachten Erstlinientherapie sowie Leitlinien erwähne, gebe es diese nicht. Auch gebe es in der gesamten wissenschaftlichen Weltliteratur bislang nur zwei kleine Therapiestudien; es erscheine nicht wahrscheinlich, dass in absehbarer Zeit eine evidenzbasierte Therapieleitlinie zum Schleimhautpemphigoid erstellt werden könne. Im Übrigen halte er an seiner Einschätzung fest. Die Therapieoptionen topische Glukokortikoide, systemische Glukokortikoide, Azathioprin und Dapson seien zum Zeitpunkt der Therapieentscheidung für Rituximab ausgeschöpft gewesen. Für eine solche Konstellation werde, wenn man sich denn an die Leitlinie zum bullösen Pemphigoid anschließen wolle, Rituximab empfohlen. Im Übrigen handele sie es sich bei allen Therapieoptionen für das Schleimhautpemphigoid um Off Label Use. Die Frage, ob man das Schleimhautpemphigoid als Variante des bullösen Pemphigoids ansähe, ändere nichts an der prinzipiell unterschiedlichen Prognose. Das Schleimhautpemphigoid hinterlasse im Gegensatz zum bullösen Pemphigoid bleibende Schäden, wie z.B. Erblindung, weshalb die verzögerte Initiierung einer effektiven Therapie irreparable Konsequenzen habe. Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 3. Mai 2018 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten und Unterlagen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige (§§ 143, 144 und 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG) Berufung hat auch in der Sache Erfolg.

Die zutreffend als allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) erhobene Klage ist begründet. Die Klägerin hat für die stationäre Behandlung des Versicherten A. in der Zeit 20. Mai 2009 bis zum 18. Juni 2009 einen weiteren Vergütungsanspruch in Höhe von 6.706,80 EUR für das Zusatzentgelt ZE 82.14, den die Beklagte zu Recht zunächst erfüllt hat. Sie war daher nicht berechtigt, einen Betrag in dieser Höhe gegen einen späteren unstreitigen Vergütungsanspruch aufzurechnen, denn ihr stand insoweit ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch nicht zu. Rechtsgrundlage des - dem Grunde nach unstreitigen - Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V, § 17b Abs. 1 Satz 10 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) und § 7 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) in Verbindung mit der hier maßgeblichen Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2010 (Fallpauschalenvereinbarung 2009 - FPV 2009) sowie dem am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Vertrag Allgemeine Bedingungen Krankenhausbehandlung vom 19. Dezember 2002 zwischen der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft e.V. und u.a. der Beklagten (Vertrag nach § 112 SGB V). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entsteht die - dem Grunde nach hier auch nicht streitige - Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme einer Leistung durch den Versicherten (BSG, Urteil vom 18.09.2008 - B 3 KR 15/07 R - Juris). Vorliegend geht es um die Abrechnung von Fallpauschalen nach dem auf Bundesebene vereinbarten Entgeltkatalog (§ 7 S. 1 Nr. 1 i.V.m. § 9 KHEntgG), hier der FPV 2009. Die Klägerin hat dabei zutreffend und zu Recht das Zusatzentgelt (ZE) 82.14 des Fallpauschalenkataloges "Gabe von Rituximab, parenteral 1850 mg bis unter 2050 mg" abgerechnet. Dass der Versicherte mit Rituximab in dem genannten Umfang behandelt worden ist, steht zwischen den Beteiligten nicht im Streit. Zugelassen ist Rituximab (MabThera®) seit dem 02.06.1988 (mit Erweiterungen der Zulassung in 2002, 2004 und 2009) europaweit zur Behandlung des Non-Hodgkin-Lymphoms, der chronischen lymphatischen Leukämie sowie zur Behandlung erwachsener Patienten mit schwerer, aktiver rheumatoider Arthritis, die ungenügend auf andere krankheitsmodifizierende Antirheumatika einschließlich einer oder mehrerer Therapien mit Tumornekrosefaktor-Hemmern angesprochen oder diese nicht vertragen haben. Des Weiteren ist die Zulassung für die Behandlung der schnell tödlich verlaufenden aggressiven Lymphome in Kombination mit der CHOP-Chemotherapie (Cyclophosphamid, Doxorubicin, Vincristin und Prednisolon) und für die Erstbehandlung indolenter Lymphome erweitert worden. Da der Versicherte unter keiner dieser Erkrankungen litt, handelt es sich hier um einen Einsatz des Arzneimittels außerhalb des Anwendungsgebiets der Zulassung (sog. Off-Label-Use). Die Verordnung in einem von der Zulassung nicht erfassten Anwendungsgebiet kommt grundsätzlich (auch vor Inkrafttreten des § 2 Abs. 1a SGB V zum 1. Januar 2012) nur in Betracht, wenn es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, keine andere Therapie verfügbar ist und auf Grund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein kurativer oder palliativer Behandlungserfolg erzielt werden kann. Von hinreichenden Erfolgsaussichten ist nur dann auszugehen, wenn Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das konkrete Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Dies kann angenommen werden, wenn entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht (Bundessozialgericht, Urteil vom 19.03.2002, Az. B 1 KR 37/00 R; Urteil vom 30.06.2009, Az. B 1 KR 5/09 R). Außerhalb und während eines Zulassungsverfahrens muss die Qualität der wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Behandlungserfolg, die für eine zulassungsüberschreitende Pharmakotherapie auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung nachgewiesen sein muss, derjenigen für die Zulassungsreife des Arzneimittels im betroffenen Indikationsbereich entsprechen. Der Schutzbedarf der Patienten, der dem gesamten Arzneimittelrecht zu Grunde liegt und in das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung einstrahlt, unterscheidet sich in beiden Situationen nicht. Dies bedeutet, dass der während und außerhalb eines Zulassungsverfahrens zu erbringende wissenschaftliche Nachweis durch Studien erbracht werden muss, welche die an eine Phase III-Studie zu stellenden qualitativen Anforderungen erfüllen (Bundessozialgericht, Urteil vom 08.11.2011, Az. B 1 KR 19/10 R). Eine derartige Studienlage liegt vorliegend – was zwischen den Beteiligten wegen der (zahlenmäßig) verhältnismäßig seltenen Erkrankung unstreitig sein dürfte und auch vom Gutachter so bestätigt wird – nicht vor. Dass diese Anforderungen an den wissenschaftlichen Nachweis einer hinreichend begründeten Aussicht auf einen Behandlungserfolg verfehlt werden, schließt einen Anspruch dann nicht aus, wenn die Erkrankung des Versicherten besonders schwerwiegend ist, und es sich insbesondere um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung handelt. In einem solchen Fall sind die Anforderungen an den wissenschaftlichen Nachweis zu reduzieren. Diese grundrechtsorientierte Auslegung einer Regelung des SGB V über einen Anspruch auf Übernahme einer Behandlungsmethode zulasten der GKV setzt nach der Rechtsprechung des BSG voraus, dass folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: (1.) Es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung oder wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vor. (2.) Bezüglich dieser Krankheit steht eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung. (3.) Bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode besteht eine "auf Indizien gestützte", nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. (1) Gerechtfertigt ist eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen nur, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegt, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird. Ähnliches gilt für den ggf. gleichzustellenden, nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2013 – B 1 KR 70/12 R –, mwN). Nach Auffassung des erkennenden Senats war es mit diesen Maßstäben nicht zu vereinbaren, dem Versicherten in seiner speziellen Situation eine Versorgung mit Rituximab zu versagen, weshalb der Klägerin das begehrte Zusatzentgelt zu gewähren war. Vor dem Hintergrund des strengen Ausnahmecharakters der Voraussetzungen ergibt sich eine Leistungspflicht der Beklagten - aufgrund der durchgeführten Güterabwägung - aus folgender Erwägung: Ausgangspunkt der Rituximabgabe war der Umstand, dass sich der Hautzustand des Versicherten unter allen zuvor ausgeschöpften Therapien kontinuierlich zT dramatisch verschlechtert hatte. Große Teile der Hautoberfläche waren von der Blasenbildung befallen, die Schutzfunktion der Haut daher bereits erheblich beeinträchtigt, während das hohe Lebensalter des Patienten und insbesondere die parallel durchgeführte immunsuppressive Therapie die aufgrund dessen drohenden bakteriellen Infektionen besonders gefährlich machten. Als lebensbedrohlich im Sinne der Rechtsprechung des BSG wird deshalb vorliegend die erhöhte Infektanfälligkeit angesehen, die zu einem nicht typischen, beschleunigten und dramatischen Verlauf drohender Infekte mit Todesgefahr zu führen drohte (vgl. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 24. Januar 2017 – L 4 KR 456/14 –, Rn. 41, juris). Die Erkrankung war zwar im Zeitpunkt der Behandlung nicht unmittelbar lebensbedrohlich in dem Sinne, dass die Gefahr des Todes bereits unmittelbar bevorstand. Sie ist indes nach Auffassung des Senats wertungsmäßig mit einer solchen Erkrankung vergleichbar. Denn der Zustand des Versicherten konnte auch unter Fortführung der bisherigen Behandlung aufgrund der nicht mehr vorhandenen Barrierefunktion der Haut mit erheblich gesteigerter Sepsisgefahr jederzeit umschlagen in einen dann sich rasant entwickelnden und deshalb mit einiger Wahrscheinlichkeit unumkehrbaren und im Ergebnis tödlichen Prozess. An dieser Stelle ist nach Auffassung des Senats des Weiteren zu berücksichtigen, dass bis auf das Cyclophosphamid (ggfs. in Verbindung mit Mycophenolat Motefil als Immunsuppressivum), welches aufgrund der zu befürchtenden Nebenwirkungen ausgeschlossen wurde und ebenfalls lediglich Off Label hätte verabreicht werden können, bereits alle Therapieoptionen in den verschiedenen Kombinationen ausgeschöpft waren und dass es sich im Übrigen bei diesen Alternativen gleichfalls jeweils um "Off-Label-Use" handelte. Entgegen der Auffassung des SG war dies der Fall und muss dieser Umstand in dem Sinne berücksichtigt werden, dass keine Standardtherapie zur Verfügung stand und die "Off Label Use" Medikamente solange gleichberechtigt nebeneinander stehen, wie nicht eine dieser Therapien nach anerkanntem medizinischem Standard und breitem Fachkonsens als "Goldstandard" gewertet wird. Diese Situation begründet die lebensbedrohliche Gefährdung des Klägers, bei der sich ohne weitere Behandlung ein tödlicher Krankheitsverlauf innerhalb eines kurzen, überschaubaren Zeitraumes mit einiger Wahrscheinlichkeit hätte verwirklichen können. (2) Bezüglich dieser Krankheit stand eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht mehr zur Verfügung. Prednisolon, Dapson und Glukokortikosteroide als zugelassene Behandlungsoptionen waren ausgeschöpft und standen im Krankheitsstadium, in dem sich der Versicherte befand, nicht mehr zur Verfügung. Dieser auch von dem Sachverständigen bestätigte Umstand ergibt sich unzweifelhaft aus der Krankenakte der Beklagten, insbesondere auch in Bezug auf die vom Sozialgericht angeführte Therapie mit Steroiden und Dapson. (3.) Bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode besteht eine "auf Indizien gestützte", nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Dass das Medikament für die Erkrankung des Versicherten eine hohe Effektivität hat, die durch die wenigen vorhandenen Fallstudien bestätigt wird und über die in Fachkreisen Konsens besteht, wird vom Gutachter so bestätigt und auch von der Beklagten bzw. vom MDK nicht substanziell angegriffen.

Bei alledem bleibt ungeprüft und kann dahinstehen, ob zudem eine einer lebensbedrohlichen Erkrankung gleichzustellende Krankheit mit dem Verlust eines (lebens-) wichtigen Sinnesorgans dadurch drohte, dass nach sachverständiger Feststellung eine mögliche Beteiligung der Augen, die in 65 % der Fälle mit der Erkrankung einhergeht, beim Versicherten jedoch (noch) nicht festgestellt war und von der Beklagten bestritten wird, Blindheit hervorrufen kann. Auch ob ein Seltenheitsfall vorliegt, kann daher dahinstehen. Es ist aber dem SG darin zu folgen, dass es ausgeschlossen ist, für die genannten Seltenheitsfälle allein auf die Häufigkeit einer Erkrankung abzustellen. Allein geringe Patientenzahlen stehen einer wissenschaftlichen Erforschung nicht entgegen, wenn etwa die Ähnlichkeit zu weit verbreiteten Erkrankungen eine wissenschaftliche Erforschung ermöglicht. Das gilt erst recht, wenn - trotz der Seltenheit der Erkrankung - die Krankheitsursache oder Wirkmechanismen der bei ihr auftretenden Symptomatik wissenschaftlich klärungsfähig sind, deren Kenntnis der Verwirklichung eines der in § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V genannten Ziele der Krankenbehandlung dienen kann. Ausnahmen kommen nur in engen Grenzen aufgrund einer Güterabwägung in Betracht, die der Gefahr einer krankenversicherungsrechtlichen Umgehung arzneimittelrechtlicher Zulassungserfordernisse entgegenwirkt (BSG, Urteil vom 03. Juli 2012 – B 1 KR 25/11 R – Juris). Dass die Erkrankung einer systematischen Untersuchung und Erforschung nicht zugänglich sei, beschreibt Prof. Dr. B1 zwar in seinen Gutachten und Stellungnahmen, eine Begründung hierfür findet sich indes explizit nicht. Diese mag darin begründet sein, dass wie der Gutachter schreibt, das Schleimhautpemphigoid in Schweregrad und Ausprägung außerordentlich variabel ist und es mag sich darin zeigen, dass es in der gesamten wissenschaftlichen Literatur weltweit nur zwei kleine Therapiestudien gibt und eine weitere Forschungstätigkeit nicht zu verzeichnen ist. Andererseits beschreibt der Gutachter selbst eine gewisse Nähe zum bullösen Pemphigoid, für welches eine Leitlinie existiert. Warum die Ähnlichkeit grundsätzlich gegeben ist, bezüglich der Wirksamkeit der Pharmakotherapie jedoch nicht, erschließt sich indes nicht ohne Weiteres und kann allenfalls aus der Beobachtung abgeleitet werden, dass in therapierefraktären Fällen Rituximab beim Schleimhautpemphigoid eben ähnlich effektiv ist wie bei Erkrankungen, bei denen die Pathogene eine ganz andere ist. Obwohl mithin einiges dafür spricht, dass vorliegend auch ein Seltenheitsfall vorliegt, besteht über die Nähe zu einer gut erforschten Erkrankung, dem bullösen Pemphigoid, indes unter den im Verfahren gehörten Fachärzten keine Einigkeit.

Der Zinsanspruch der Klägerin ergibt sich aus den §§ 12 und 14 des zwischen den Beteiligten geltenden Vertrages nach § 112 SGB V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO. Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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