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Altbekannter Unsinn

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Ärzte fordern eine „Notfallgebühr“ in Rettungsstellen. Noch nirgends konnten Zuzahlungen zwischen notwendig und überflüssig unterscheiden, sehr wohl aber zwischen arm und reich.

Nach der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Rheinland-Pfalz fordert nun auch die KV Niedersachsen Zuzahlungen in Rettungsstellen. Unterstützung bekommt sie von Kassenärzte-Chef Andreas Gassen: „Wenn sich bestimmte Patienten dem Angebot der niedergelassenen Ärzte dauerhaft entziehen und das System nach Gusto nutzen, wie es ihnen gerade einfällt, muss das finanzielle Sanktionen nach sich ziehen.“ Steuerung über das Portemonnaie der Versicherten sei der richtige Hebel.

Beifall erhält Gassen in einschlägigen Foren, in denen niedergelassene Ärzte über Patienten lamentieren, die „mit jedem Wehwehchen zu jeder Tages- und Nachtzeit einen Doktor aufsuchen können“ und daher „völlig unangemessen und mitunter rücksichtslos“ die ambulante Versorgung in Anspruch nähmen. Ärzte fühlen sich überrannt „wie die Hunnen“ von anspruchsvollen „Gelegenheitspatienten“ und einem „unmündigen Haufen von Flatrate-Konsumenten“.

Die emotionale Analyse aus der engen Praxisperspektive verstellt offenbar den Blick. Patienten gehen nicht nur in Rettungsstellen, weil sie Wartezeiten bei Haus- und Fachärzten scheuen; viele haben keinen Hausarzt, kennen keine andere Anlaufstelle oder fühlen sich in einer Notaufnahme besser behandelt. Oft schleusen Niedergelassene ihre Patienten im Zweiminutentakt durch die Praxen, vergeben möglichst nur einen Termin pro Quartal oder überweisen rasch weiter. Aber nicht ihr eigenes, ökonomisch rationales Verhalten, sondern das System ambulanter Pauschalvergütung mit Deckelung der Gesamtausgaben machen die Ärzte für das „Freibiersystem der ambulanten GKV-Medizin“ verantwortlich.

Wer von Freibier redet, will Patienten zur Kasse bitten. Gassen und Co. möchten vermeintliche Bagatellfälle mit einer „Notfallgebühr“ von 50 Euro eindämmen; bei „berechtigter“ Nutzung erhalten Patienten das Geld zurück. Abgesehen von der unvermeidlichen Willkür solcher Entscheidungen angesichts von Hunnen- und Flatrate-Stürmen, zeugt diese Forderung von Realitätsverweigerung. Noch nirgends konnten Zuzahlungen zwischen notwendig und überflüssig unterscheiden, sehr wohl aber zwischen arm und reich. Aber fast immer kommen sie das System teuer zu stehen.

Der Autor ist Facharzt für Innere Medizin, Gesundheitswissenschaftler und gesundheitspolitischer Berater; er hat eine Vertretungsprofessur an der Hochschule Fulda.

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