Gesundheitsreform und Pflege: Backe, backe Kuchen

Jens Spahn (CDU) Bild: Stephan Baumann / CC BY-SA 3.0

Jens Spahn will was anpacken. Sagt er.

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Als ich 2006 über die anstehende Scharfstellung des DRG-Abrechnungssystems (DRG steht für diagnosebezogene Fallgruppierung) in den deutschen Krankenhäusern schrieb, beendete ich den Artikel mit folgendem Satz:

Geht man nach den Reformerfahrungen der Vergangenheit, sollte man in Deutschland die Reform, die mit diesen Langzeitwirkungen [des DRG-Desasters, MH] zurechtkommen muss, für das Jahr 2015 gleich mitplanen.

Das Raster der Krankheit

Es hat dann drei Jahre länger gedauert, aber jetzt wird endlich alles gut: Die Reform ist da. Oder vielleicht eher das Reförmchen. Die Zeit schreibt:

Ab 2020 soll die Finanzierung der Pflege in den Krankenhäusern dann grundsätzlich neu geregelt werden. Bisher bekamen diese Fallpauschalen für bestimmte ärztliche Leistungen, darin war ein Anteil für Pflege enthalten, unabhängig davon, wie viel Pflege jemand wirklich brauchte. Pro Blinddarmoperation oder Kaiserschnitt gab es einen festgelegten Betrag.

Für die Krankenhäuser, die letztlich auch wirtschaftende Unternehmen sind, lohnte es sich deswegen, an der Pflege zu sparen. Das soll sich ändern, indem die Pflege künftig unabhängig von den Fallpauschalen vergütet wird. Jedes Krankenhaus bekäme dann ein eigenes Budget für Pflege, das seine realen Kosten deckt.

Die Zeit

Das ist, ernst genommen, nichts anderes als eine Rücknahme der DRG-Reform in Bezug auf die Pflege, was man aber natürlich nicht offen zugeben will, denn der DRG-Spuk war ein zentrales Mittel zur Erstellung und Bemessung der Ware Gesundheit, die Blaupause zur Durchsetzung einer komplett ökonomisierten Krankenhauslandschaft.

Das Paradigma des Krankenhauses als Wirtschaftsbetrieb

Dass die idiotische Hochtaktung der "weißen Fabrik" in der Pflege und auch insgesamt gescheitert ist, möchte man natürlich nicht öffentlich debattieren, weil das Paradigma des Krankenhauses als Wirtschaftsbetrieb insgesamt nicht in Frage gestellt werden soll. Das ist schon der erste grobe Fehler am Reförmchen aus dem Hause Spahn.

Es folgen weitere. Zwar sollen die Krankenhäuser jetzt so viel Pflegekräfte einstellen müssen, wie tatsächlich gebraucht werden, und in den Pflege- und Altenheimen sollen 13.000 neue Stellen geschaffen werden. Aber erstens fehlen in den deutschen Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen laut ver.di insgesamt 80.000 Pflegekräfte, und zweitens werden schon die 13.000 Altenpfleger und die zusätzlichen Pflegekräfte für die Krankenhäuser nur schwer aufzutreiben sein.

36.000 Stellen in der Kranken- und Altenpflege unbesetzt

Das kann man schon allein daran erkennen, dass laut Agentur für Arbeit derzeit 36.000 Stellen in der Kranken- und Altenpflege unbesetzt sind. Das heißt, man hat einen infrastukturell unverzichtbaren Berufsstand so dermaßen hart an die Wand gefahren, dass den Job keiner mehr machen will. Die aktuelle Initiative aus dem Gesundheitsministerium würde bei ihrem Gelingen nicht einmal die Stellen abdecken, die die Agentur für Arbeit gern gestern besetzt hätte.

Auch wenn der Spahn-Plan pünktlich verwirklicht wird, gibt es also für exzessiven Optimismus keinen Anlass. Steigende Kosten trotz Spardiktaten, Krankenhausschließungen, Todespfleger, völlig erschöpfte Pflegekräfte, verschlampte und verzögerte Operationen, lächerliche Wartezeiten bei den Klinikambulanzen - niemand braucht zu hoffen, dass man davon bald nichts mehr hört. Der Augenheilkunde an der Uniklinik in Rostock zum Beispiel werden die Reformspänchen wenig nützen.

Um das deutsche Gesundheitswesen und insbesondere die Krankenhäuser und Pflegeheime zu reparieren, bedürfte es einer gesamtgesellschaftlichen Kraftanstrengung. Die würde einschließen, dass die irrsinnige Ökonomisierung zurückgedrängt würde, die im Gesundheitssektor Einzug gehalten hat; es ist schlicht nicht einzusehen, dass eine gute Gesundheitsversorgung in Deutschland kein Grundrecht ist.

Rettung Zivildienst ...

Aber ein gesellschaftliches Selbstgespräch in dieser Richtung soll um jeden Preis vermieden werden. Deswegen fuchtelt man im Gesundheitsministerium mit ein paar Zahlen herum und gleichzeitig kommt wie aus dem Nichts die Debatte über die Wehrpflicht wieder auf.

Ein Heer an Zivildienstleistenden, die die Pflege wie früher für wenig Geld entlasten, die Lohnspirale weiter nach unten treiben und den Laden mehr schlecht als recht zusammenhalten, wäre anscheinend für einige im Moment die Ideallösung.

Der Kalauer drängt sich auf: Die einen spielen im Sandkasten mit Förmchen, die anderen in der Politik mit Reförmchen. Dass am Ende beim Backe, backe Kuchen etwas anderes als unförmiger Matsch herauskommt, ist extrem unwahrscheinlich.